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Zu viele: Über vier Millionen Milchkühe leben in Deutschland, sie geben zu viel Milch.

© picture alliance / dpa

Die Folgen der billigen Milch: Immer mehr Kühe landen auf der Schlachtbank

46 Cent für einen Liter? Immer mehr Betriebe geben auf. Bauern rufen nach Hilfe. Ein Milchgipfel soll Lösungen bringen.

Am schlimmsten ist der Umgang mit den Milchkühen, der seit dem jüngsten Einbruch der Milchpreise noch unterirdischer als zuvor sein soll. Letztlich bezahlen wir sowieso alle den Preis für landwirtschaftliche Billigstproduktion - ich nenne nur die Zunahme multiresistenter Keime. Dazu kommen verödete, artenarme Landschaften, vergiftetes Grundwasser etc.

schreibt NutzerIn Manni2

Wenn Milch billiger ist als Mineralwasser, dann stimmt etwas nicht. 46 Cent für einen Liter frische Vollmilch, davon kann niemand leben. Das sieht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) so, die den Bauern helfen will, und natürlich auch ihr Bundesagrarminister. Christian Schmidt (CSU) hat für Ende Mai Bauern, Molkereien und den Handel zum Milchgipfel eingeladen, um nach einer auskömmlichen Lösung für die Milchbauern zu suchen.

Hans Foldenauer ist einer von ihnen. 95 Kühe stehen auf seinem Hof im Allgäu. „Ich verdiene nichts“, sagt der Bauer. „Jeder zahlt drauf. Das, was wir bekommen, reicht nicht, um das Futter und den Tierarzt zu bezahlen“. Foldenauer wäre beim Milchgipfel gern dabei, um Schmidt vorzurechnen, wie schlimm die Lage ist. Im Nebenberuf ist der Landwirt nämlich Sprecher des Bundesverbands der deutschen Milchviehhalter (BDM). Doch der BDM ist zum Gipfeltreffen am 30. Mai nicht eingeladen.

Was ist los mit der Milch?

26 Cent bekommen Bauern derzeit von den Molkereien im Süden des Landes, im Norden sind es sogar nur 22 Cent. Die Preise sind so niedrig, weil zu viel Milch auf dem Markt ist. Seit dem Wegfall der europäischen Milchquote, die bis zum vergangenen Jahr die Produktion reguliert hat, haben die Bauern in der EU die Milchmenge erhöht. Viele haben auch investiert – in neue Ställe und weitere Tiere.

Bis Anfang 2014 gab es für die Bauern nämlich noch auskömmliche 40 Cent pro Liter. Seitdem geht es bergab. Russland nimmt aus politischen Gründen keine europäische Milch, Butter, Käse oder Quark mehr ab, viele Chinesen, auf die die europäischen Produzenten gehofft hatten, haben nicht mehr genug Geld, um sich Milchprodukte aus der EU zu leisten – genauso wenig wie Schweinefleisch, die zweite große Krisenbranche in der Agrarwirtschaft.

Zu viel Milch, zu wenig Nachfrage: das drückt auf die Preise. Statt – wie es die Marktwirtschaft gebieten würde – zurückzuschrauben, haben die Milchbauern gegen den Preisverfall anproduziert. Sie haben gegen die Einnahmeausfälle angemolken und damit den Preisverfall noch beschleunigt. Wie sehr, haben viele erst hinterher gemerkt. Denn 70 Prozent des Marktes ist in den Händen von Molkereigenossenschaften. Diese sind verpflichtet, ihren Mitgliedern, den genossenschaftlichen Bauern, die gesamte Milch abzunehmen – zu welchem Preis, erfahren die Landwirte aber erst hinterher.

In Deutschland zeigt der Preisverfall allmählich Wirkung – wenngleich auf hohem Niveau. Die EU ist der größte Milchproduzent der Welt, innerhalb Europas sind die Deutschen die Milcherzeuger Nummer eins. Die Produktion zwischen Flensburg und Garmisch liegt derzeit auf dem – hohen – Niveau des Jahres 2014, aber zumindest unter dem noch höheren Niveau des Vorjahres. Doch während die Deutschen langsam zurückstecken, bauen andere ihre Produktion aus, Dänen, Iren, Holländer und Spanier legen zu.

Was die Bauern wollen

EU-Kommissar Phil Hogan hat auf die Misere reagiert. Brüssel kauft in großem Stil Milch und Milchprodukte zu Interventionspreisen auf, um den Preisverfall zu stoppen und den Bauern ein Mindesteinkommen zu sichern. Zudem hat die EU-Kommission den Mitgliedstaaten 420 Millionen Euro zur Verfügung gestellt, um Landwirten finanziell zu helfen. Die auf Deutschland entfallenden knapp 70 Millionen Euro sind abgerufen, in anderen Ländern liegt ein Großteil der Mittel dagegen noch brach. Daher dürfte die Idee von Agrarminister Schmidt, ein zweites europäisches Liquiditätsprogramm aufzulegen, in Brüssel eher auf wenig Gegenliebe stoßen.

Dennoch wünscht sich der Bauernverband ein solches kurzfristiges Liquiditäts- und Bürgschaftsprogramm. Zudem soll der Bund die Bauern auch weiterhin bei der Unfallversicherung entlasten und einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge übernehmen. Auch Steuererleichterungen wünscht sich die Bauernvertretung, damit die Bauern in guten Zeiten Rücklagen bilden können, ohne dass der Fiskus daran nagt.

Ministerium will Produktion durch Absprachen drosseln

Im Bundeslandwirtschaftsministerium hofft man dagegen auf ein neues Instrument, das im nächsten Monat Gesetzeskraft erlangen soll. Um die Produktion zurückzufahren, sollen Molkereien und Milchbauern künftig für eine vorübergehende Zeit Absprachen über die zu produzierende Milchmenge treffen können. In normalen Zeiten wäre das ein verbotenes Kartell, in Notzeiten ein Mittel gegen die Krise. BDM-Sprecher Foldenauer hält Produktionskürzungen für den richtigen Weg. Er fordert verbindliche Mengenvorgaben, verbunden mit Boni für diejenigen Landwirte, die weniger produzieren, und Maluszahlungen für jene, die mehr herstellen als vereinbart.

„Der Preis für die Milch muss hoch“, sagt auch Agrarminister Schmidt. „Wenn wir in Zukunft noch Milch aus Deutschland in den Supermärkten wollen, dann brauchen unsere Bauern bessere Preise.“ Aber wie soll das gehen?

Der Handel ist bereit, den Bauern zu helfen

Der Schlüssel zur Lösung liegt nach Meinung des Ministers in den Händen der Marktbeteiligten. „Alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette – vom Erzeuger über die Molkereien bis zum Handel – müssen ihrer Verantwortung gerecht werden“, fordert Schmidt. Die Risiken müssten fair auf alle Schultern der Wertschöpfungskette verteilt werden. „Ich werde niemanden aus der Verantwortung lassen“, kündigt der CSU-Politiker an.

Das meint dann wohl auch den Handel. Denn der hat sich inzwischen flächendeckend auf die 46 Cent eingestellt. Nur Edeka im Südwesten macht eine Ausnahme für regionale Milch. Ansonsten herrschen Kampfpreise in den Regalen. Josef Sanktjohanser, Präsident des Handelsverbands Deutschlands (HDE), weist Vorwürfe an den Handel, eine Niedrigpreisstrategie zulasten der Bauern zu fahren, aber empört zurück. „Wir haben derzeit schlicht ein Überangebot an Milch auf dem Weltmarkt“, gibt er zu bedenken.

Dennoch ist der Handel bereit, „an temporären Lösungen mitzuwirken“, betont HDE-Geschäftsführer Kai Falk. Das hätten Sanktjohanser und der Präsident des Bundesverbands des deutschen Einzelhandels Minister Schmidt geschrieben. „Wenn die Regierung Wege vorschlägt, ist der Handel bereit, diese gemeinsam zu erörtern“, sagte Falk dem Tagesspiegel.

Milch gibt es von 46 Cent bis 1,29 Euro

Schon jetzt gibt es eine deutliche Preisspanne im Handel. Neben der Billigmilch kann der Supermarktkunde zwischen Bio-Ware (1,05 Euro), Regionalmilch aus dem Spreewald (0,99 Euro), der frischen Hemme-Milch aus der Uckermark (1,09 Euro) und teurer Markenmilch (Weihenstephaner, 1,29 Euro) wählen. Bio-Bauern bekommen 50 Cent von der Molkerei. Warum stellen nicht mehr Bauern auf Bio um? „Während der dreijährigen Umstellung haben sie höhere Kosten, bekommen aber nicht mehr Geld“, erklärt Bauernverbandssprecher Lohse. Zudem sei auch der Bio-Markt nicht unerschöpflich.

Je länger die Krise, desto drastischer die Maßnahmen. Abwrackprämien werden diskutiert, Massentötungen von Kühen; der Preis für Milchkühe ist kräftig gesunken. Noch vor Jahresfrist hat eine Kuh, die frisch gekalbt hat, auf einer Auktion 1500 bis 1800 Euro gekostet, heute sind es gerade einmal 1100 Euro. „Es landen mehr Kühe auf der Schlachtbank“, weiß BDM-Sprecher Foldenauer. Für den Tierschutzbund ist das eine Tragödie. „Preissenkungen gehen zu Lasten der Tiere“, kritisiert Verbandspräsident Thomas Schröder.

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