zum Hauptinhalt
Deutsche-Post-Chef Frank Appel beim Interview im Tagesspiegel-Verlagshaus am Anhalter Bahnhof in Berlin.

© Mike Wolff

Deutsche-Post-Chef Frank Appel: „Ich habe kaum Zeit, Geld auszugeben “

Vor dem G-20-Gipfel im Hamburg: Deutsche Post-Chef Frank Appel über Globalisierung, Kapitalismus, Martin Luther, Reisen, Post in Nordkorea und hohe Managergehälter. Ein großer Rundumschlag

Herr Appel, lassen Sie uns heute nicht über Briefe und Pakete sprechen, sondern mehr über das große Ganze: Globalisierung. Was genau verstehen Sie darunter?
Globalisierung bedeutet weltweite Arbeitsteilung. Es geht darum, Produkte und Dienstleistungen effizienter und effektiver zu erstellen und zum Kunden zu befördern.

Welche Schlagworte genau assoziieren Sie damit? Welche Schlagworte genau assoziieren Sie damit?

Vor allem positive: Teilhabe und Frieden zum Beispiel. Globalisierung hilft mehr Menschen als je zuvor, Zugang zu Arbeit und Waren zu finden. Sie ermöglicht ihnen, Produkte zu produzieren und zu nutzen. Und die Globalisierung ist ein ganz wesentlicher Friedensfaktor: Seitdem wir global vernetzt sind, haben wir umfassende militärische Konflikte über die Kontinente hinweg gar nicht mehr. Das hat damit zu tun, dass Menschen heute zunehmend im globalen Austausch sind und Länder mehr wechselseitig investieren als je zuvor. Wer zu militärischen Mitteln greift, schadet sich mit hoher Wahrscheinlichkeit auch selbst.

Manche Menschen verbinden mit dem Begriff eher den Verlust von kultureller Identität, Gleichmacherei, abnehmende Vielfalt bei Produkten und Dienstleistungen, weltweite Konkurrenz um Arbeitsplätze.

Ich verstehe, dass Menschen Sorgen vor allem um ihre Arbeitsplätze haben. Aber Globalisierung vergrößert den Kuchen des wirtschaftlichen Erfolges für alle und verteilt nicht einfach nur um. Unser heutiger Wohlstand in Deutschland ist ohne unseren Zugang zu globalen Märkten nicht denkbar. Und was die Vielfalt angeht: Sie wird durch den globalen Austausch befördert! Sie können heute Produkte aus allen Herren Länder bestellen, ohne dass Sie dorthin reisen müssen.

Und am Ende tragen alle Bürger von Fidschi bis Grönland die gleiche Jeans und benutzen das gleiche Handy.

Was ist dagegen zu sagen? Müssen Handys in jedem Land unterschiedlich gefertigt werden? Es gibt doch genügend Hersteller, man kann sich eines aussuchen. Ich kann nicht erkennen, dass dies abnehmende Vielfalt bedeutet. Was eher stimmt, ist, dass viele kleine und mittelständische Unternehmen heute Kundengruppen ansprechen können, die sie früher nie erreichen konnten. Diese historische Entwicklung finde ich besonders interessant, gerade im Jubiläumsjahr der Reformation.

Inwiefern?

Um das Jahr 1450 hat Johannes Gutenberg den Buchdruck mit beweglichen Lettern erfunden. 1490, vor genau 527 Jahren, hat das Haus Thurn und Taxis den Postservice erfunden. Beide Neuerungen haben den Menschen Zugang zu Informationen und Möglichkeiten zum Austausch in die Hand gelegt und damit Europa nicht nur wirtschaftlichen Aufschwung, sondern vor genau 500 Jahren auch die Reformation gebracht. Diese hat dann wesentlich zur Verbreitung des Kapitalismus beigetragen, was man bis heute an protestantisch geprägten Ländern erkennen kann. Wir leben heute wieder in so einem dynamischen Zeitalter: Heute sind die Stichworte dazu Internet und globale Logistik.

Frank Appel, hier beim Interview mit dem Tagesspiegel, kam 2002 von McKinsey zum Vorstand der Deutschen Post. 2008 beerbte er Klaus Zumwinkel als Vorstandsvorsitzender. Sein Vertrag läuft bis Oktober 2022.
Frank Appel, hier beim Interview mit dem Tagesspiegel, kam 2002 von McKinsey zum Vorstand der Deutschen Post. 2008 beerbte er Klaus Zumwinkel als Vorstandsvorsitzender. Sein Vertrag läuft bis Oktober 2022.

© Mike Wolff

Historisch lässt sich sicher eine fast stetige Zunahme der globalen Vernetzung über Jahrhunderte beobachten. Seit bald zehn Jahren aber, dem Ausbruch der Weltfinanzkrise, stockt der Trend – kehrt sich sogar um.

Wir veröffentlichen dazu regelmäßig eine Studie, den DHL Global Connectedness Index. Hierin werden grenzüberschreitende Informations-, Geld- und Warenflüsse gemessen. Tatsächlich belegt auch unsere Studie, dass die Weltfinanzkrise zu einem Rückgang der internationalen Vernetzung geführt hat. Aber im vergangenen Jahr haben wir wieder das Niveau von vor der Krise der Jahre 2007 und 2008 erreicht. Das heißt: Die globale Wirtschaft hat sich wieder erholt. Und ich glaube nicht, dass der Grad der Vernetzung wieder abnimmt. Allerdings wird er wohl auch nicht mehr so schnell zunehmen wie in den letzten beiden Jahrzehnten. Auch das Wachstum des Handels ist nicht mehr so viel höher als das zugrundeliegende Wirtschaftswachstum. Vor zehn Jahren ist der Handel noch doppelt so schnell gewachsen wie die Weltwirtschaft insgesamt.

Großbritannien und USA haben die Globalisierung in jeder Hinsicht über Epochen vorangetrieben. Heute igeln sich diese Länder ein. Waren das Wahl-Unfälle – oder Symptome für irgendetwas?

Viele Menschen haben dort offenbar die Hoffnung auf den Aufstieg verloren, auf das, was man in den USA traditionell den American Dream nennt. Und das ist gefährlich. Dabei geht es nicht so sehr um die konkrete Erfahrung der Armut. Es geht um Abstiegsangst. Für manche US-Bürger haben sich die Gesundheitskosten durch Maßnahmen der vorherigen Regierung über Nacht verdoppelt. Hierzulande kaum nachvollziehbar, da Dinge wie eine weitgehende kostenstabile Krankenversicherung für uns selbstverständlich sind. Aber wenn da jemand kommt, der einfache Lösungen anbietet, findet das eben Anhänger. In Großbritannien gibt es ein ähnliches Problem. Dort hat die Zuwanderung infolge der wachsenden europäischen Integration geradezu irrationale Zukunftsängste ausgelöst.

Und in Deutschland?

Hier klagen wir auf extrem hohem Niveau. Es gibt offizielle Statistiken der OECD, die zum Beispiel den Eindruck erwecken, dass in Deutschland fast nur Kinder aus Akademikerfamilien Aufstiegschancen haben. Aber da gibt es eine methodische Schieflage: Meine Eltern zum Beispiel waren keine Akademiker, ich bin ein Aufsteiger, weil es damals so wenige Akademiker gab. Meine Kinder wiederum wären angesichts ihres Elternhauses als Akademiker keine Aufsteiger mehr. Und die OECD zählt zum Beispiel die Meister nicht zu den hochwertig Ausgebildeten, was ich anders sehe. Für mich ist ein Meister so gut ausgebildet wie ein Hochschulabsolvent.

In den USA wie in Großbritannien ist Ihr Unternehmen stark involviert. 2015 haben Sie die UK Mail gekauft. Rückblickend ein Fehler?

Was immer in beiden Ländern passiert: Den Prozess der Globalisierung wird keine Regierung im Alleingang stoppen. Denn die Arbeitsteilung ist zu weit fortgeschritten. Die Übernahme von UK Mail war und ist der richtige Schritt: Wir brauchen in beiden Ländern Partner, die Pakete einsammeln und verteilen. Das grenzüberschreitende wie auch das nationale E-Commerce-Geschäft wird weiter wachsen. Da mache ich mir keine Sorgen.

Der Brexit dürfte den Handel hemmen.

Ich glaube, dass sich beide Seiten am Ende zusammenraufen und einen Modus Vivendi finden, der für alle Vorteile bringt. Sonst wären beide Verlierer. Gleichzeitig beobachten nämlich China und Indien unsere Diskussionen und signalisieren: Dann handelt doch mit uns!

Kann man die wichtigsten Handelspartner so einfach austauschen?

Nein. Aber die Debatte ist total überzogen. Wir haben so viele Gemeinsamkeiten, dass die transatlantischen Beziehungen auch diese Irritationen überstehen werden. Wir müssen in einer komplexen Welt gemeinsam unsere liberalen Werte verteidigen.

Welche Werte zählen Sie dazu?

Dazu gehören Freihandel, eine offene Gesellschaft, auch Solidarität mit Hilfsbedürftigen wie etwa den Flüchtlingen. Wenn andere diesen Konsens zeitweilig aufkündigen, muss Europa eben allein weitergehen. In dieser Hinsicht kommuniziert die Bundesregierung goldrichtig. Und ich bin stolz auf unsere Nation, wenn ich von anderen im Ausland – auch Amerikanern – höre: Hoffentlich bleibt Deutschland standhaft. Ihr habt aus Euren Fehlern gelernt und geht mutig mit Problemen um. Auch wenn sie komplex sind so wie Strukturwandel der Arbeitswelt oder das Flüchtlingsthema.

Frank Appel über vorbildliche Länder, Millionengehalt und Hobbys

Ihr Konzern beschäftigt in wohl fast jedem Land der Welt Mitarbeiter – wohl außer Syrien, Libyen und Nordkorea…

Wir haben auch in Nordkorea eine DHL-Partneragentur! Die beliefert vor allem die dortigen Botschaften. Wir sind in jedem Land der Welt präsent. Dabei beschäftigen wir überwiegend lokale Mitarbeiter, denen wir damit die Existenz sichern. Und für die Gesellschaften vor Ort sind wir mit unseren Services der Garant für ein Mindestmaß an Offenheit und internationalem Austausch.

Wie viele Länder haben Sie schon persönlich besucht?

Wenn ich richtig gezählt habe, dann sind es aktuell 74.

Und welches Land davon ist für Sie vorbildlich – im Hinblick auf Modernisierung der Wirtschaft und Gesellschaft?

Ich sehe zwei Gruppen: Da sind zum einen die nordeuropäischen Länder Norwegen, Schweden, Finnland und Dänemark sowie auch Deutschland und die Niederlande. All dies sind Länder, denen es gelungen ist, eine soziale Marktwirtschaft wirklich zu leben. Wobei die Skandinavier bei der Digitalisierung die Nase vorne haben.

Frank Appel zählte als Chef der Deutschen Post DHL Group 2016 zu den am besten verdienenden Chefs im Aktienindex Dax. Er bezog 9,9 Millionen Euro.
Frank Appel zählte als Chef der Deutschen Post DHL Group 2016 zu den am besten verdienenden Chefs im Aktienindex Dax. Er bezog 9,9 Millionen Euro.

© Mike Wolff

Und die zweite?

Ein ganz anderes Vorbild ist Singapur. Es beeindruckt mich, was die Menschen dort aus ihrem Flecken Erde gemacht haben. Sie hatten keinerlei Rohstoffe und lebten quasi im Sumpfgebiet. Und heute ist es eines der wohlhabendsten Länder der Welt. Vor allem weil man über Jahrzehnte hinweg massiv in Bildung, Infrastruktur und offene Grenzen investiert hat.

In Deutschland stehen Wahlen an: Beide Kanzlerkandidaten bestechen nicht durch besonders innovative Ideen.

Was wir jetzt bräuchten, wäre eine Agenda 2025 oder 2030 für eine soziale Marktwirtschaft 2.0. Aus meiner Sicht muss die Politik endlich die Frage beantworten, wie unsere Sozialsysteme auf Dauer finanzierbar sein sollen. Die Reform der betrieblichen Altersvorsorge ist dabei sicher ein Schritt in die richtige Richtung. Sie ermöglicht, dass man die Altersvorsorge auch in Aktien anlegen kann. Hätte man das schon vor 50 Jahren eingeführt, hätten wir heute eine ganz andere Lage, weil sich die Renditen, die man am Aktienmarkt erzielen kann, langfristig als deutlich höher erwiesen haben.

Wir waren doch schon mal ein Volk von T-Aktionären.

Man muss natürlich streuen. Wenn man damals auch eine gesunde Beimischung anderer Technologie-Aktien im Depot gehabt hätte, sähe man heute ein sehr schönes Ergebnis. Wenn ich heute einem Lehrling sagen kann, wir legen 70 bis 80 Prozent deiner Vorsorge in Aktien an, dann wird er in ein paar Jahrzehnten eine viel bessere Rente beziehen können, als wenn das Geld nur in Staatsanleihen gesteckt würde.

Deutsche-Post-Chef Appel präsentiert den StreetScooter E-car, einen Elektrolieferwagen, mit dem die Post in immer mehr Städten Pakete ausliefert (Archivbildaus dem Mai 2013).
Deutsche-Post-Chef Appel präsentiert den StreetScooter E-car, einen Elektrolieferwagen, mit dem die Post in immer mehr Städten Pakete ausliefert (Archivbildaus dem Mai 2013).

© REUTERS/Wolfgang Rattay

Noch mehr Geld hat man, wenn man Top-Manager ist. Sie lagen 2016 mit 9,9 Millionen 2016 auf Platz vier aller Dax-30-Chefs. Was sagen Sie zu der Debatte um Spitzengehälter?

Wir führen unser Unternehmen nach drei Prinzipien: die Kundenzufriedenheit muss gesteigert werden, die Mitarbeiterzufriedenheit auch. Und die Aktionäre müssen zufrieden sein. Wenn diese drei Kriterien in sehr hohem Maße erfüllt sind, dann darf der Vorstand auch gut verdienen.

Und das ist eingetreten?

Bei uns ist die Kundenzufriedenheit auf globaler Basis über Jahre hinweg kontinuierlich gestiegen, die Mitarbeiterzufriedenheit hat sogar dramatisch zugenommen und die finanziellen Kennzahlen haben sich auch wesentlich verbessert. Im vergangenen Jahr haben langfristige Komponenten mehr als 50 Prozent meiner Bezüge ausgemacht. Wenn die drei genannten Parameter stimmen, dann sind hohe Gehälter zu rechtfertigen.

Aber mal ehrlich, Herr Appel: Was macht man mit so viel Geld? Schöne Autos kaufen? Oder aufs Sparbuch bei der Postbank?

Angesichts meines Arbeitspensums habe ich kaum Zeit, Geld auszugeben. Ich bin aber insgesamt auch ein eher sparsamer Mensch. Shopping ist nicht so mein Ding.

Haben Sie kein schönes Hobby?

Ich bin weder Auto-Narr noch Uhren-Narr, noch kaufe ich mir teure Anzüge. Aber ich reise gern! Und dafür gebe ich auch einmal etwas mehr aus.

Was ist Ihr Reisetipp?

Ich habe mit meiner Familie schon viele schöne Länder bereist. Eines herauszuheben, fällt mir schwer. Ich reise, um Erinnerungen mitzunehmen. Ich sage auch Menschen, die weniger Geld haben: Investiert in Reisen! Man kann nach Peru sicher auch anders reisen, als ich es tue. Wenn die Firma nicht zahlen muss, dann leiste ich mir und meiner Familie auch mal ein besonders exklusives Hotel.

Das Interview führte Kevin P. Hoffmann. Lesen Sie hier einen zweiten Teil des Interviews - Dort spricht Appel vor allem über gute Mitarbeiterführung. In einem älteren Gespräch im Dezember 2014 sprachen wir mit dem Manager über die Zukunft der Post und des Versandhandels.

Der Manager: Frank Appel (55), geboren und aufgewachsen in Hamburg, hat in München Chemie studiert und sich in Zürich als Neurobiologe promovieren lassen. Dann heuerte er bei der Unternehmensberatung McKinsey an, rückte dort in die Geschäftsführung auf. 2002 wechselte er in den Vorstand der Deutschen Post, 2008 übernahm er von Klaus Zumwinkel den Vorsitz. Sein Vertrag läuft bis Oktober 2022. Appel ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Der Konzern Die Deutsche Post DHL Group beschäftigt weltweit 508 000 Mitarbeiter, davon 211 000 in Deutschland. Der Konzern entstand durch die Privatisierung der Deutschen Bundespost 1995. Aktuell hält der Bund über die Förderbank KfW noch 21 Prozent der Aktien. 2016 erlöste die Post 57 Milliarden Euro.

Zur Startseite