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Mitarbeiter gesucht. Die Bahn will in den kommenden zehn Jahren 80 000 Personen einstellen.

© Mike Wolff

Chef-Recruiterin der Deutsche Bahn: „Wir schauen nicht auf Schulnoten“

Kerstin Wagner, Chef-Recruiterin der Deutschen Bahn, spricht im Interview über Nachwuchsmangel, Instagram und Videos statt Anschreiben.

Frau Wagner, warum möchte niemand mehr Lokführer werden?
Das stimmt ja nicht. Wir haben in den letzten fünf Jahren fast 5000 Lokführer eingestellt. In der Liste der Bundesagentur für Arbeit wird der Beruf zwar als einer mit dem größten Nachwuchsmangel aufgelistet, aber es ist auch ein besonderer Beruf. Anders als bei Elektronikern gibt es keinen Markt, aus dem wir schöpfen können. Wir bilden unsere Lokführer selbst aus, über die Berufsausbildung oder den Quereinstieg. Was aber stimmt: Der Arbeitsmarkt ist aus Unternehmenssicht zurzeit hart und umkämpft.

Inwiefern?
Bewerber können sich oft aussuchen, wo sie arbeiten möchten. Die Zahl der Schulabgänger wird in den kommenden Jahren weiter schrumpfen – und wir haben Wettbewerber, denken Sie an die Automobilindustrie oder die Bundeswehr, die auch nach Schülern, Facharbeitern und Akademikern suchen.

Wie viele neue Mitarbeiter suchen Sie?
In diesem Jahr sind es 8000 neue Mitarbeiter, so viele wie in den vergangenen Jahren auch. Umgerechnet auf die nächsten zehn Jahre sind es 80 000 Arbeitskräfte, die wir einstellen.

In welchen Bereichen?
Da sind die typischen Eisenbahnberufe wie Lokführer, Fahrdienstleiter, Zugbegleiter und für die Kunden eher unsichtbare Jobs wie Gleisbauer, Elektroniker und Mechatroniker. Unter den Akademikern suchen wir vor allem Ingenieure und IT-Experten.

Wie werben Sie für sich?
Flexible Arbeitszeiten sind ein wichtiges Thema, angepasst an die unterschiedlichen Lebensphasen. Beim letzten Tarifvertrag haben wir mit unseren beiden Gewerkschaften außerdem beschlossen, dass unsere Mitarbeiter wählen können, ob sie mehr Geld, geringere Arbeitszeit oder mehr Urlaubstage haben wollen.

Wofür entscheiden sich die Mitarbeiter?
Das wissen wir noch nicht. Wir sind gerade in der Phase, in der die Mitarbeiter wählen können. Mitte des Jahres wissen wir mehr. Die Entscheidung gilt dann ab dem 1. Januar 2018.

Würden Sie sagen, die Prioritäten der Arbeitnehmer haben sich geändert?
Natürlich spielen Faktoren wie Vereinbarkeit von Familie und Beruf und flexible Arbeitszeiten eine immer größere Rolle. Eine häufige Frage bei den Bewerbungsgesprächen ist aber noch immer, ob es sich um einen sicheren Arbeitsplatz mit Entwicklungsmöglichkeiten handelt. Und die Kultur des Unternehmens ist vielen sehr wichtig. Sie wollen sich wohlfühlen.

Sie haben heute eine neue Kampagne begonnen, um Mitarbeiter zu gewinnen.

Unser Ansatz ist, dass wir gut, aber nicht perfekt sind und immer besser werden wollen. Deswegen zeigen wir in den Werbefilmen auch ein Schild, auf dem steht, dass der Zug ausfällt, oder einen IT-Experten, der sich ärgert, dass das W-Lan im Zug gerade nicht funktioniert.

Sie spielen mit Ihren Schwächen.
Das trifft es nicht ganz. Wir wollen echt, authentisch rüberkommen. Deswegen sind auf unseren Plakaten keine Models, sondern Mitarbeiter zu sehen.

Wie haben Sie die ausgewählt?
Wir haben im Unternehmen herumtelefoniert, haben mit Ausbildern und Werksleitern gesprochen. Von knapp über 100 Interessenten haben wir zunächst einmal 30 ausgewählt, die in Videos und auf Plakaten zu sehen sind.

Sind das Ihre Medien?
Natürlich gehen wir noch ins Fernsehen und hängen große Plakate auf, natürlich sehen uns die Menschen an den Bahnhöfen, aber wir sind verstärkt online, in den sozialen Netzwerken.

Wie nutzen Sie die Kanäle?
Akademiker sprechen wir auf Xing und Linkedin an. Die Jüngeren woanders: Bei Facebook posten wir die Geschichten unserer Kampagne, oder Azubis beantworten im Live-Chat Fragen von Usern. Ganz ungefiltert. Auf YouTube zeigen wir unsere Videos und kooperieren mit Influencern wie Herr Bergmann und Klein aber Hanna. Auf Instagram geht es um den Blick hinter die Kulissen. Auf Snapchat betreuen die Protagonisten der Kampagne jeweils einen Tag lang unseren Account, berichten aus ihrem Leben, zeigen, was sie bei der Arbeit so tun.

Es geht also um Nähe.
Ja, genau. Aus dem Grund setzen wir auch Virtual-Reality-Brillen ein. Ich kann jemandem erklären, wie sein Job aussehen würde, oder er hat die Chance, diesen Job direkt zu erleben, sobald er die Brille auf der Nase hat. Ein Schüler kann so zum Beispiel sehen, wie ein Elektroniker im Instandhaltungswerk auf einem ICE herumläuft und da etwas repariert. Solche Einblicke sind spannend – und ich kann den ICE ja nicht in die Schule mitbringen. Auf Messen kommt das auch wahnsinnig gut an.

Was könnte die Idee von morgen sein?

Was uns gerade beschäftigt, sind sogenannte Chat-Bots. Es gibt Fragen, die Bewerber immer wieder stellen, und ab dieser Woche programmieren und probieren unsere Kollegen, ob diese Fragen in einem Chat nicht auch automatisch beantwortet werden könnten. Wir müssen uns überlegen, ab wann brauche ich einen Menschen und was kann die Maschine tun, schnell und zu jeder Uhrzeit.

Apropos Automatisierung. Wird es den Lokführer in 50 Jahren noch geben?
Das ist eine Frage, die uns auch Bewerber stellen. Natürlich ist die Digitalisierung ein wichtiger Treiber unserer Zeit. Wir brauchen heute Lokführer, wir brauchen in den nächsten Jahren Lokführer, das ist klar. Fest steht aber auch: Berufsbilder verändern sich, entwickeln sich weiter.

Haben Mitarbeiter Angst?
Dazu gibt es bei der DB zumindest keinen Grund. Wir haben im neuen Tarifvertrag Arbeit 4.0 festgehalten, dass jeder Mitarbeiter ein Anrecht auf Weiterbildung hat, wenn sich sein Berufsbild durch die Digitalisierung verändert. Und man muss dazu sagen: Wir haben Beschäftigungssicherung. Betriebsbedingte Kündigungen gibt es nicht. Das macht es einfacher, sich auf den Wandel einzulassen.

Bis September suchen Sie 3400 neue Azubis. Wird das leicht?
Wir haben viele Bewerber, aber müssen uns bemühen.

Wie?
Wir besuchen Schulen, sind auf Messen, vergeben Praktika, laden zu offenen Castings ein...

Wie nehmen Sie die Jugendlichen wahr?

Vielen fehlt es an Orientierung. Manche wissen nicht, was sie können, was sich aus ihren Talenten machen lässt, andere, wie sie sich bewerben oder was sie bei einem Vorstellungsgespräch anziehen sollen. Wir haben dazu kleine Info-Filme ins Internet gestellt. Und natürlich gibt es auch Mädchen und Jungen, die noch gar nicht ausbildungsreif sind. Mit dem Programm Chance Plus versuchen wir, sie ein Jahr lang auf die Ausbildung vorzubereiten.

Stimmt es, dass die Deutsch- und Mathekenntnisse immer schlechter werden?

Wir schauen nicht auf Schulnoten.

Gar nicht?
Wir haben festgestellt, dass wir uns auf Noten nicht verlassen können. Wir wissen doch, wie es in der Schule manchmal sein kann, wie sehr die eigene Laune oder ein Lehrer Noten beeinflussen können. Die Bewerber müssen ein Zeugnis vorlegen, damit wir sehen, dass sie einen Abschluss haben, und unseren eigenen Onlinetest bestehen. Da geht es unter anderem um Rechnen und logisches Denken, aber auch um Durchhaltevermögen und Motivation – immer zugeschnitten auf den Beruf, für den sich jemand interessiert.

Klingt radikal.
Bewerber müssen uns auch nicht unbedingt ein Anschreiben schicken. Stattdessen kooperieren wir mit dem Berliner Start-up Jobufo, über das uns Bewerber mit deren App ein 30-sekündiges Video von sich schicken. So erleben wir die Jugendlichen – und die sind mit Selfies und Videos ja groß geworden.

Kerstin Wagner, 1970 in Riedlingen geboren, ist Chefin der Abteilung Personalgewinnung bei der Deutschen Bahn. Sie studierte in Reutlingen und Reims BWL. 1995 fing sie bei Siemens an, wo sie verschiedene HR-Funktionen ausübte, die sie unter anderem nach Boston (USA) führten. Ab 2003 baute Wagner dort den Bereich Placement und Recruiting Services auf und leitete in diesem Rahmen die internen Transfergesellschaften sowie die interne Zeitarbeitsfirma. Bei der Deutschen Bahn ist Wagner seit 2012. Mit bundesweit mehr als 195 000 Mitarbeitern ist der Konzern einer der größten Arbeitgeber in Deutschland und das Unternehmen mit den meisten Mitarbeitern in Berlin.

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