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Pionierinnen. Der komplexe ENIAC-Computer der an der Universität von Pennsylvania wurde 1946 vor allem von Frauen programmiert.

© Alamy Stock Photo

Brief eines Google-Mitarbeiters: Die Tech-Branche und ihr Sexismusproblem

Der sexistische Brief eines Google-Mitarbeiters befeuert die Debatte über fehlende Frauen in der Technologiebranche. Dabei galt Informatik einst als Frauensache.

Ihren Einstand bei Google hatte sich Danielle Brown anders vorgestellt. Erst seit kurzem ist sie als Vizepräsidentin für Diversität zuständig und musste sich gleich um einen Aufreger kümmern. Seit einigen Tagen wurde intern heftig über das Schriftstück eines anonymem männlichen Entwicklers diskutiert. Er hatte darin den geringen Anteil von Frauen in der Technologiebranche mit „biologischen“ Unterschieden der Geschlechter erklärt.

Die Vorlieben und Fähigkeiten von Männern und Frauen würden sich grundlegend unterscheidenheißt es darin. So seien Frauen „offener gegenüber Gefühlen und gegenüber Ästhetik“, sie zögen daher die Arbeit in sozialen oder künstlerischen Branchen vor. Männer hingegen verfügten über „natürliche Fähigkeiten“, die sie zu besseren Programmierern machten. Der Autor kritisiert Programme, mit denen die Vielfalt der Mitarbeiter erhöht werden soll und spricht von einer „ideologischen Echokammer“.

Am Dienstagmorgen wurde bekannt, dass das Unternehmen sich von dem Verfasser des Briefes getrennt hat. Google-Chef Sundar Pichai unterbrach seinen Urlaub und erklärte, mit der Verbreitung schädlicher Stereotypen über Geschlechter wurde eine Linie überschritten. Zu behaupten, ein Teil der Belegschaft habe Merkmale, die sie biologisch weniger fähig für die Arbeit bei Google machten, sei „beleidigend und nicht Okay“. 

Das Schriftstück war am Sonntag an die Öffentlichkeit gelangt. Google-Managerin Brown wies die Ansichten unverzüglich zurück: In einer E-Mail an die Angestellten erklärte sie, diese Äußerungen würden weder von ihr noch vom Konzern „unterstützt, gefördert oder ermutigt“. Ein „Kulturwechsel“ sei schwer und oft unbequem. Brown fügte jedoch auch hinzu, dass es möglich sein müsse, unterschiedliche Ansichten, auch politischer Art, zu äußern.

Google stand erst kürzlich wegen der Bezahlung von Frauen in der Kritik. Das US-Arbeitsministerium untersucht derzeit ob es „systematische Unterschiede in der Bezahlung von Frauen und Männern in der ganzen Arbeitnehmerschaft“ gebe. Gehaltsunterlagen aus dem Jahr 2015 hätten teilweise „extreme“ Diskrepanzen gezeigt. Google wies die Vorwürfe zurück.

Allerdings steht der Konzern damit nicht allein. Beim Fahrtenvermittler Uber wurde Firmengründer Travis Kalanick die Machokultur letztlich zum Verhängnis: Nach immer neuen Schlagzeilen über Frauendiskriminierung, Mobbing und Sexismus hatte er den Chefposten Ende Juni aufgegeben.

Frauen in deutschen Start-ups beklagen Belästigung

Bei vielen deutschen Start-ups sieht es offenbar nicht besser aus, wie kürzlich eine Untersuchung des Instituts Innofact zeigte. Dabei wurden 200 Mitarbeiterinnen von Start-ups befragt, mehr als die Hälfte von ihnen wurde demnach in den vergangenen zwölf Monaten schon einmal belästigt. Meist ging es dabei um anzügliche Kommentare oder sexuell eindeutige E-Mails. Knapp ein Drittel berichtete auch von unerwünschten Berührungen – Werte die deutlich höher als in traditionellen Unternehmen liegen.

Solche Berichte dürften nicht unbedingt dabei helfen, den Mangel an Frauen in Start-ups und Digitalunternehmen zu reduzieren. Nicht einmal 14 Prozent der Start-ups in Deutschland werden von Frauen gegründet. „Frauen sind leider ein häufig unterschätzter, aber sehr wichtiger Wirtschaftsfaktor“, sagt Bundeswirtschaftsministerin Brigitte Zypries dem Tagesspiegel. „Gerade digitale oder naturwissenschaftlich-technische Unternehmen setzen noch viel zu selten auf das Know-how und die Leistungen qualifizierter Frauen“. Zypries setzt sich seit längerem mit verschiedenen Projekten für Gründerinnen ein und will vor allem erfolgreiche Vorbilder stärker sichtbar zu machen.

Doch es mangelt auch an qualifiziertem Nachwuchs. So liegt der Anteil der Frauen, die Informatik studieren bei unter einem Viertel. Doch woher kommt das? Gibt es womöglich doch generelle Interessensunterschiede? „Das Image der Computernerds spielt eine große Rolle“, glaubt Cort-Denis Hachmeister, der gerade am Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) an einem Forschungsprojekt über Frauen in der Informatik arbeitet. Man müsse Frauen vermitteln, dass Informatik anders sei, als es sich viele vorstellen. Das generelle Interesse zeige sich auch daran, dass die Lage in Teilbereichen ganz anders sei. So liegt der Frauenanteil in der Bioinformatik bei 37 Prozent in der medizinischen Informatik gar bei 44 Prozent.

In den USA studierten einst mehr Frauen Informatik als Medizin - dann kam der PC

Und auch historisch war es schon einmal besser. Einige der ersten Programmiererinnen waren Frauen, so zum Beispiel die sogenannten ENIAC-Girls. Die US-Armee hatt im Zweiten Weltkrieg gezielt Frauen mit guten Mathekenntnissen gesucht, um an der Universität Philadelphia den neuartigen Großcomputer ENIAC zu bedienen. Das Riesengerät gilt als erster elektrischer Universalrechner der Welt, die Armee benutzte ihn damals um die Flugbahnen von Geschützen zu berechnen. Dazu mussten die Kabel in dem Großrechner immer wieder umgestöpselt werden. Das war anspruchsvoll aber auch eintönig und galt daher als gute Tätigkeit für Frauen. Bis in die Sechziger Jahre lag daher der Frauenanteil unter den Programmierern bei bis zu 50 Prozent, schätzt der Historiker Nathan Ensmenger. Und in den USA studierten noch in den Siebziger und frühen Achtziger Jahren sogar mehr Frauen Informatik als Medizin. Erst Mitte der Achtziger Jahre stürzte der Frauenanteil rapide ab und liegt auch in den USA heute unter 20 Prozent. Für Wissenschaftler liegt das am Aufkommen des PCs. Die Heimcomputer richteten sich durch viele Spiele und auch in der Werbung eher an Jungen und viele Familien kauften eher dem männlichen Nachwuchs einen Rechner, als den Töchtern. Erst dann entstand die Nerdkultur, die die Branche bis heute stark prägt.

Bei Uber sollte sich das zumindest an der Spitze ändern. Doch aus dem Wunsch, eine Nachfolgerin für Kalanick zu finden wird wohl nichts. Laut einem Bericht der „Washington Post“ haben alle Kandidatinnen abgesagt. Topkandidat ist nun der frühere GE-Chef Jeff Immelt.

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