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Forschen in Kalifornien. Das Research and Technology Center (RTC) von Bosch hat seinen Sitz in einem von Palmen gesäumten Gebäude der Stanford-Uni.

© promo

Bosch im Silicon Valley: The American Way of Problemlösung

Der größte Autozulieferer der Welt erforscht und entwickelt im Silicon Valley die wichtigsten Trends der Mobilitätsindustrie. Das modernisiert auch die Mentalität des 130-jährigen Technologiekonzerns.

Stephen Zoepf hat eine Wette laufen: „Wenn mein bester Freund es schafft, mich am Memorial Day 2024 mit einem serienmäßig selbstfahrenden Auto abzuholen, muss ich ihn für ein Wochenende nach Las Vegas einladen.“ Zoepf, Autoexperte an der kalifornischen Stanford-Universität, sitzt in einem Konferenzraum der Elite-Uni und sollte es eigentlich besser wissen. 15 Jahre war er in der Automobilindustrie tätig, bei BMW und Ford. Seit Februar leitet er CARS, das Center for Automotive Research at Stanford, ein führender Think Tank des Silicon Valley. „Künftig lenkt nicht mehr der Fahrer das Auto, sondern der Hersteller“, sagt Zoepf. „Aber die besten Autoingenieure der Welt können alleine dafür keine Lösungen anbieten“, erläutert der smarte Wissenschaftler.

Seine Wette werde er gewinnen, denn er glaube nicht, dass selbstfahrende Autos in acht Jahren zum Straßenbild gehören. Zu viele Fragen seien noch unbeantwortet, technische, rechtliche, ethische. „Es geht um ein sozio-technisches Problem“, sagt Zoepf. „Wir brauchen eine neue Perspektive.“

Die Bay-Area zieht deutsche Konzerne magisch an

Dieser neue, andere Blick, den man an der amerikanischen Westküste auf die Trends der Mobilität wirft, zieht auch deutsche Konzerne und ihre Lieferanten magisch an. Etwa Bosch, den größten Autozulieferer der Welt, der 60 Prozent seines Umsatzes (71 Milliarden Euro) mit den weltweit wichtigsten Herstellern macht, und seit Jahren eine enge Partnerschaft mit Stanford und CARS pflegt. Aber auch jenseits des Kerngeschäfts lädt sich Bosch in der Bay-Area rund um San Francisco mit Innovationen auf – sie finden sich später in Hausgeräten, Werkzeugen, Gebäude- oder Sicherheitstechnik wieder. Damit steht der Stiftungskonzern exemplarisch für viele Branchen.

Gerade ist das schwäbische Traditionsunternehmen 130 Jahre alt geworden. Im Silicon Valley, dem Mekka der IT-Industrie und der Start-up-Szene, hält sich Bosch jung. Robert Bosch persönlich legte die erste Verbindung nach Übersee, als er in den 1880er Jahren bei Bergmann und Edison als Mechaniker arbeitete. 1906 wurde eine US-Niederlassung gegründet, sechs Jahre später folgte die erste Fabrik. In Palo Alto, nicht weit von den Zentralen von Google, Apple oder Facebook, geht Bosch seit 1999 „auf die Jagd nach dem nächsten Durchbruch“. Im Research and Technology Center (RTC), das in einem von Palmen gesäumten Gebäude der Stanford-Uni residiert, erforschen 100 Mitarbeiter aus 21 Nationen Zukunftstrends: Sensorik, autonomes und vernetztes Fahren, Batterieforschung, Data-Mining, Internet der Dinge oder Mensch-Maschine-Interaktion.

56.000 Wissenschaftler arbeiten für Bosch

Bei einem Besuch auf Einladung von Bosch wird deutlich, wie breit das Unternehmen seine Forschung und Entwicklung aufstellt. Aufstellen muss. Denn: „Unser Geschäftsmodell muss sich ändern“, sagt Bosch-Geschäftsführer Werner Struth, der unter anderem für die Region Nord- und Südamerika zuständig ist. Bei Bosch will man die Aussage nicht im Kontext der Vorwürfe verstanden wissen, das Unternehmen könnte tiefer als gedacht in den VW-Manipulationsskandal verstrickt sein. Kein Kommentar dazu, heißt es, die Ermittlungen laufen.

Den Wandel will Bosch zu einem guten Teil aus eigener Kraft gestalten. 56 000 Wissenschaftler arbeiten weltweit für den Konzern, von denen sich 3000 mit dem Internet der Dinge, also intelligenten, vernetzten Produkten und Werkstoffen beschäftigen. „Wir erwarten hier ein zusätzliches Umsatzpotenzial von mehreren Milliarden Euro“, sagt Struth. Treiber der Innovation sind die USA. 400 Millionen Euro investiert Bosch hier im kommenden Jahr, 20 Prozent mehr als 2015 – Donald Trump hin oder her. Auf 18 800 Mitarbeiter soll die US-Belegschaft bis Anfang 2017 wachsen, 1000 mehr als heute.

„Wir müssen zweigleisig fahren“, erläutert Werner Struth und meint auf der einen Seite die Traditionspflege bei Bestandskunden, die von Bosch weiterhin höchste Qualität und Zuverlässigkeit erwarten. Und andererseits die Schaffung von Freiräumen, in denen eine bisweilen unübersichtliche Start-up-Kultur unter dem Konzerndach entstehen soll. Eine Mammutaufgabe bei weltweit fast 380 000 Bosch-Mitarbeitern, von denen viele hierarchische Strukturen und feste Kundenbeziehungen gewöhnt sind.

"Wir müssen das Ohr am Markt haben"

Auch Mike Mansuetti arbeitet schon 28 Jahren lang für Bosch. Seit 2012 ist er Präsident von Bosch Nordamerika. In Deutschland hat er sich einige Jahre mit Einspritztechnologien für Verbrennungsmotoren beschäftigt. Mansuetti kennt die deutsche Diskussion über ein Verbot von neuen Benzin- und Diesel-Fahrzeugen ab 2030. Und er weiß, wie riskant die Transformation der Autohersteller zu Mobilitätsdienstleistern für die klassischen Zulieferer ist. „Wir haben eine klare Vision“, sagt Mansuetti. „Wir müssen agil bleiben, das Ohr am Markt haben.“ Das soll heißen: Neue Ideen im Konzern selbst entwickeln und vernetzen oder in Innovationen investieren und die „frische Perspektive“ von außen in die Bosch-Welt holen.

Zum Beispiel mit dem „Frühwarnsystem“, wie Werner Struth ihn nennt, den Robert Bosch Venture Capital Fonds, der in der Start-up-Szene des Valleys nach lohnenden Investments Ausschau hält. 420 Millionen Dollar verwaltet der Fonds, in 30 Firmen hat er investiert. Enge Verbindungen gibt es auch zu Plug and Play, einem der wichtigsten Start-up- Acceleratoren und -Investoren der Bay-Area. Seit 2014 sponsert Bosch das Netzwerk, das unter anderem Paypal oder Dropbox finanziert hat.

Mehr als 4000 Kilometer östlich des Silicon Valleys, in South Carolina, lässt sich beobachten, wie die neue und die alte Bosch-Welt zusammenfinden. In den Produktionswerken in Anderson (Hydraulikmodule, Lamdasonden) und Fountain Hill (Nutzfahrzeugmotoren), demonstrieren die Deutschen, was gemeint ist, wenn von Industrie 4.0 und der Zukunft der Fertigung die Rede ist.

Maschinen produzieren riesige Datenmengen

In Fountain Hill, wo Bosch-Rexroth schon seit 25 Jahren produziert, ist man stolz darauf, eine besondere Spezialität aus Deutschland exportiert zu haben: die duale Ausbildung. Seit 2008 können Auszubildende nach deutschem Vorbild Theorie und Praxis bei Bosch verbinden. Damit es nicht langweilig wird, beteiligt sich das Unternehmen alljährlich an einem Robotics-Wettbewerb. Dabei entwickeln Schüler und Studenten einen Roboter, der bestimmte – mehr oder weniger sinnvolle – Aufgaben erfüllen muss. In der Werkshalle sind die bunten Exponate früherer Wettkämpfe geparkt.

Die Maschinen und Anlagen beider Werke liefern riesige Datenmengen, deren Analyse es den Ingenieuren und Softwareexperten erlaubt, auf Fehler und technische Pannen in der Produktion zu reagieren, bevor sie auftreten. In Anderson, wo Teile für die Großen der Autoindustrie produziert werden, läuft ein Teil der Kommunikation zwischen Mensch und Maschine über intelligente Uhren (Smart Watches) oder über Handschuh-Sensoren, die Arbeitsschritte aufzeichnen und auswerten. In der Fertigung für Getriebesteuerungen gleichen die fließenden Bewegungen der Arbeiter einem monotonen Tanz. Durch die Echtzeit-Überwachung werde die Arbeit dennoch leichter und abwechslungsreicher, sagt Werkleiter Roger Heitzeg.

Optimiert und experimentiert wird im laufenden Betrieb. Der „american way of Problemlösung“, wie Heitzeg sagt. Wo Ingenieure in Deutschland erst eine Planungsgruppe bilden müssen, wird in den USA ausprobiert, bis es passt – trial and error. Bosch ist dabei, sich diese Mentalität anzueignen und hält es mit dem Firmengründer: „Jeder Erfolg ist doch nur ein Wurf zum nächsten Ziel“, hatte Robert Bosch gesagt. Die Traditionalisten aus dem Schwabenland wissen, dass ihr wichtigster Kunde – die Autoindustrie – die digitale Revolution nur überlebt, wenn auch die Zulieferer einen großen Wurf wagen.

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