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Auf Leistung getrimmt. Die Milchleistung einer Kuh wird zu zwei Dritteln mit Kraftfutter erfüttert, also mit Getreide und Sojabohnen.

© dpa/Felix Hörhager

"Bio-Prinz" zu Löwenstein im Tagesspiegel-Interview: "Herkömmliche Lebensmittel sind viel zu billig"

Felix Prinz zu Löwenstein, Öko-Landwirt und Verbandschef, spricht im Tagesspiegel-Interview über die Schönfärberei auf der Grünen Woche, das Tierwohl und laxe Kontrollen auf Bio-Höfen.

Von Maris Hubschmid

Herr zu Löwenstein, am Freitag beginnt die weltgrößte Ernährungsmesse in Berlin. Ihr Verband und diverse Ökobetriebe sind dort vertreten – unterstützen aber gleichzeitig die Protestdemonstration „Wir haben es satt“. Wie geht das zusammen?

Die Grüne Woche ist politisch zu wichtig, um dort nicht vertreten zu sein. Wir müssen Flagge zeigen. Außerdem kommen wir in der Biohalle mit Menschen ins Gespräch, die sich bisher nicht für Bio interessieren. Die Wahrheit ist aber, dass wir jedes Jahr Schwierigkeiten haben, Aussteller zu finden. Auch, weil vier Wochen später die Branchenmesse Biofach stattfindet. Das Budget der meisten Öko-Hersteller ist klein, sie investieren ihr Geld lieber dort.

Weshalb braucht es den Protestmarsch?

Die Demonstration richtet sich weniger gegen die Messe als gegen die Praktiken in der deutschen Lebensmittelproduktion. Sie ist der geglückte Versuch, dieses Thema in die breite Öffentlichkeit zu bringen. Davon abgesehen: In den politischen Botschaften auf der Grünen Woche wird die Wirklichkeit ausgeblendet. Es heißt immer: Alles ist gut in der Landwirtschaft, es gibt keine Probleme. Das werden Sie den Bauernpräsidenten mit Sicherheit auch diesmal wieder sagen hören.

2014 erklärte Joachim Rukwied unter anderem, es gebe keine Massentierhaltung in Deutschland. Und Kühe würden hier besser ernährt als Menschen.

Kühe sind Wiederkäuer. Sie fressen Gras. Die Milchleistung wird aber zu zwei Dritteln mit Kraftfutter erfüttert, also wie bei Schweinen mit Getreide und Sojabohnen. Das ist in dem Umfang nicht artgerecht, überfordert den Organismus der Tiere und verringert ihre Lebenserwartung.

2014 hat die Fleisch- und Geflügelwirtschaft die „Tierwohl-Initiative“ geestartet. Ein Schritt in die richtige Richtung?

Ein Sich-Wenden in die richtige Richtung, würde ich sagen. Sie nimmt ein erhebliches Problem ins Visier. Ich bezweifle aber, dass da wirklich etwas bewegt wird, wenn das System im Ganzen unverändert bleibt. In der Masttierhaltung verdienen Bauern sieben, acht Euro pro Schwein. Da sind die Spielräume minimal. Die Art, wie die Tiere behandelt werden, hat ja nichts damit zu tun, dass die Bauern herzlos wären. Sondern diese Art zu produzieren erzwingt es, so mit den Tieren umzugehen. Wenn ich den Hühnern so wenig Platz lasse, wie das im Bereich der Käfig- und Bodenhaltung der Fall ist, muss ich ihnen die Schnäbel abschneiden, weil sie einander sonst blutig hacken.

Das klingt, als hätten Sie Verständnis. Hat nicht jeder die Wahl, es besser zu machen?

Nein. Und das ist das Drama: Es gibt so entsetzlich viele Bauern mittlerweile, die sich rettungslos in eine Richtung hineininvestiert haben, aus der sie nicht mehr herauskommen. Ich habe einen jungen Kollegen in der Nachbarschaft, dessen Vater hat noch kurz, bevor er übernahm, einen 1000-er Mastschweinestall mit Vollspaltenboden gebaut. Damit ist es für ihn völlig unmöglich, auf Bio umzustellen. Der muss erstmal 20 Jahre lang den Kredit abzahlen.

Sorgt es Sie vielleicht auch, dass Ihr Geschäftsmodell bedroht wird, wenn sich herkömmliche Bauern bei den Haltungsbedingungen den Öko-Landwirten annähern?

Davon kann keine Rede sein. Jede Verbesserung für ein Tier ist zu befürworten. Aber zwischen den Standards liegen nach wie vor Welten. Die Tierwohl-Initiative setzt an einer Stelle an, lässt aber viele andere unberührt. Man kann einen Sprinter nicht mit einem Zehnkämpfer vergleichen. Die Biobranche ist der Zehnkämpfer. Eine Bedrohung werden solche Initiativen der Wirtschaft aber dann, wenn aufwendig beworbene Siegel dazu führen, dass der Verbraucher denkt: Wenn ich mein gutes Gewissen so billig haben kann, mache ich es doch auf diese Weise – statt Bio zu kaufen.

Warum gibt es so viele Bio-Siegel?

In der Vergangenheit wurden "Bio"-Eier verkauft, die diese Bezeichnung nicht hätten tragen dürfen.
In der Vergangenheit wurden "Bio"-Eier verkauft, die diese Bezeichnung nicht hätten tragen dürfen.

© dpa/Martin Gerten

Apropos Siegel: Da gibt es nach wie vor eine ganze Reihe von Abzeichen, viele steigen da nicht durch.

Je größer ein Markt wird, desto mehr Differenzierung gibt es, denn desto mehr Möglichkeiten gibt es, zu sagen: Ich kann da was noch besser als ihr. Deswegen gibt es Abstufungen, wie übrigens im ganz normalen Handel auch. Gucken Sie mal im Mehlregal, wie viele verschiedene Sorten es gibt – mit extrem hohen Preisunterschieden.

Die Kette Netto wirbt damit, mit Bio-Bio Deutschlands beliebteste Biomarke zu führen. Ist Bio vom Discounter genauso gut wie anderswo?

Klar ist: Wo Bio draufsteht, muss Bio drin sein, sonst wäre es ja Betrug...

Den es ja auch gibt in der Branche: Falsch deklarierte Eier, belastetes Bio-Futter wie jüngst in mehreren Betrieben entdeckt...

Zunächst: In dem bekannten Fall wurden keine Eier umdeklariert, sondern mehr Hühner eingestallt, als erlaubt war. Aber es stimmt, auch in diesem Markt gibt es Leute, die versuchen, Wege zu finden, sich wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Und jetzt kommen wir zur Kritik. Natürlich wird so etwas begünstigt, wenn es Preisdruck gibt, und der geht von den Händlern aus, die hauptsächlich am Preis interessiert sind – den Discountern.

Die haben aber auch sehr dazu beigetragen, Bio einem größeren Teil der Bevölkerung zugänglich zu machen. Sie wollten „raus aus der Nische“, das haben Sie jetzt geschafft.

Richtig. Wenn wir die Notwendigkeit sehen, dass Bio der Normalfall wird, können wir nicht darauf pochen, dass auf diesem Weg nur die alten Freunde mitfahren. Auch Konzerne wie Nestlé werden sich kaum in Luft auflösen, hoffentlich aber mehr und mehr umstellen. Da zu sagen, Gott, wir sind doch die Pioniere, und jetzt wird uns das aus der Hand genommen, ist die falsche Reaktion. Unser Ehrgeiz muss es sein, immer einen Schritt voraus zu bleiben und die Bewegung anzuführen.

Sind Lebensmittel zu billig?

Der große Irrsinn ist: Herkömmliche Lebensmittel sind viel zu billig, wenn man erkennt, was ihre Produktion wirklich kostet. In Frankreich hat man 2011 erhoben, was die Wasserwerke zahlen, um Pestizide und Nitrat aus dem Grundwasser herauszufiltern, damit das wenigstens die Grenzwerte einhält. Das waren 1,5 Milliarden Euro im Jahr und dürfte hierzulande nicht viel anders sein. Wollte man das Wasser ganz davon befreien, wären es 50 Milliarden. Die müssten eigentlich auf die Preise für herkömmliche Lebensmittel draufgeschlagen werden statt auf die Wasserrechnung. Bio wäre dann die günstigere Alternative.

Wie gut gingen 2014 die Geschäfte der Bio-Landwirte?

Felix Prinz zu Löwenstein. „Viele Bauern haben sich rettungslos in eine Richtung hineininvestiert.“
Felix Prinz zu Löwenstein. „Viele Bauern haben sich rettungslos in eine Richtung hineininvestiert.“

© promo

Der deutsche Bauernverband klagt, wie schlecht es den Landwirten geht, spricht von Katastrophe und Kollaps. Für das laufende Geschäftsjahr, das im Juni 2015 endet, erwartet er Gewinneinbrüche im zweistelligen Prozentbereich. Wie hat die Biobranche das vergangene Jahr überstanden?

Ohne schon genaue Zahlen zu haben, kann ich sagen: Der Bio-Markt wird sich auch 2014 wieder dynamisch entwickelt haben. Der russische Importstopp hat uns nicht getroffen. Im Gegenteil: Mancher Landwirt hat erkannt, dass diese Massenexportlandwirtschaft ein unsicheres Pflaster ist, wenn Verwerfungen auf den Weltmärkten bis zu ihm in den Stall durchschlagen. Die Zahl derer, die umrüsten, steigt.

Zuletzt stieg aber auch die Zahl der Bauern, die von Bio wieder auf herkömmliche Produktion zurückstellen.

Weil die Bauern rechnen. Allerdings beginnen die jüngsten politischen Maßnahmen zu wirken: Aus EU-Fördertöpfen steht mehr Geld für die Unterstützung des Ökolandbaus zur Verfügung, und erstmals gibt es kein Bundesland, das nicht den Ökolandbau fördert. Viele Länder haben zudem deutlich aufgestockt. Der Umstellungsstau kann sich auflösen.

Dennoch kann die Binnennachfrage noch immer nicht aus heimischer Produktion gedeckt werden. Bio-Produkte werden teils von weit her importiert, das ist mit dem Öko-Gedanken nur bedingt vereinbar.

Das CO₂, das durch den Transport freigesetzt wird, ist das kleinste Problem. Wesentlich ist, wie viel CO₂, Nitrat und so weiter bei der Erzeugung entstehen.

Es heißt: Regional ist das neue Bio.

Wenn ein Schwein mit Futter aus Südamerika gefüttert wird, ist das nicht nur nicht Bio, sondern auch nicht regional. Natürlich ist es ideal, wenn beides zusammenkommt. Wo will ich denn, dass der ökologische Landbau stattfindet? Wenn ich mit meiner Einkaufsentscheidung die Landwirtschaft dort verbessern kann, wo ich lebe, Luft einatme und Trinkwasser konsumiere, ist der persönliche Gewinn am größten. Deshalb ist es ein Jammer, wenn wir die Chancen, die der Markt bietet, nicht selber nutzen. Hinzu kommt, dass die Qualitätssicherung schwieriger wird, je weiter entfernt der Kram angebaut wird.

Wie gut sind die Kontrollen hierzulande?

Der normale Landwirt sieht alle zehn Jahre mal einen Kontrolleur. Die Kontrolldichte in Bio-Betrieben ist erheblich höher. Trotzdem gibt es Verbesserungsbedarf. Das gehört zu den Dingen, die uns bei der EU-Ökoverordnung sehr ärgern: Wir haben konkrete Vorschläge gemacht, aber anstatt dass man sich konzentriert darangemacht hat, das System weiterzuentwickeln, hat man eine komplett neue Verordnung erlassen. Und für die Details auf später vertröstet. Dabei müsste man an Vieles dringend ran. Der Informationsfluss insbesondere in Europa ist miserabel organisiert.

Das können Sie dem neuen EU-Agrarkommissar auf der Grünen Woche erklären.

Dass viel schief gelaufen ist, wie die aktuellen Diskussionen in Parlament und Rat zeigen, ist nicht seine Schuld – er muss den bisherigen Entwurf also nicht mit Zähnen und Klauen verteidigen. Leider hat er sich trotzdem entschlossen, damit weiterzumachen. Das wird es für alle komplizierter machen.

Das Gespräch führte Maris Hubschmid.

DER BIO-PRINZ

Felix Prinz zu Löwenstein (60) ist Vorsitzender des Bunds Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), das politische Sprachrohr der deutschen Bio-Branche. Er promovierte an der Hochschule für Landwirtschaft in Weihenstephan und übernahm das Gut seiner Eltern am Rande des Odenwalds, das er auf Öko-Landbau umstellte. Löwenstein ist verheiratet und hat sechs Töchter.

DER VERBAND

Der BÖLW vertritt die Interessen landwirtschaftlicher Erzeuger, Verarbeiter und Händler ökologischer Lebensmittel. Zu den Mitglieder-Organisationen gehören Demeter, Bioland und Naturland.

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