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Billiger Sprit. Tanken ist deutlich preiswerter geworden.

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Billiger Treibstoff: Gewinner und Verlierer des Ölpreisverfalls

Trotz Krisen und Konjunkturflaute wird Öl immer billiger. An der Tankstelle und beim Heizen sind die Folgen sichtbar. Beim Fliegen noch nicht. Die Verbraucherzentrale fordert die Airlines auf, den Kerosinzuschlag zu senken.

In diesem Herbst ist alles anders. Vor Einbruch der Kälteperiode, wenn auf der nördlichen Erdhalbkugel die Nachfrage am größten ist, steigen die Preise für Heizöl – normalerweise. Dieses Jahr fallen sie. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage auf dem Weltölmarkt scheint außer Kraft gesetzt. Um fast 30 Prozent ist der Preis für ein Fass (159 Liter) Öl der Nordseesorte Brent seit dem Sommer eingebrochen. Aktuell kostet das Barrel gut 79 Dollar, im Juni waren es noch mehr als 115 Dollar. So günstig war der wichtigste Treibstoff der Weltwirtschaft zuletzt vor vier Jahren – selbst, wenn man den Preis in den schwachen Euro umrechnet. Die Verbraucher können es an ihrer Heizkostenabrechnung ablesen.

Die Gründe für den Preisverfall sind bekannt: Trotz Krisen und Kriegen und einer konjunkturbedingt schwachen Nachfrage sprudelt Rohöl im Überfluss auf den Markt. Das liegt am starken Wachstum der Schieferölproduktion in den USA. Mit dem sogenannten Fracking werden auch Öl-Vorkommen gefördert, die zuvor schwer zugänglich waren. Die Produktion hat sich von 2008 bis 2013 verfünffacht und macht den weltgrößten Ölverbraucher USA weniger abhängig von den Opec-Staaten. Diese fürchten um ihre Marktmacht und akzeptieren niedrige Ölpreise, um das Wachstum der US-Produktion einzudämmen. Denn je teurer das Opec-Öl, desto eher lohnen sich Investitionen in das kostspielige Fracking.

SUVs und Modelle der Oberklasse sind wieder sehr gefragt

Der Machtkampf könnte weitreichende Folgen für Unternehmen und Verbraucher haben, die weniger für den Rohstoff Öl, Benzin und – mittelbar – für Produkte bezahlen müssen, die aus Öl hergestellt werden. Andererseits steigt die Nachfrage nach Waren und Dienstleistungen, die in Zeiten hoher Treibstoffkosten eher gemieden wurden.

Beispiel Autoindustrie: Modelle mit höherem Spritverbrauch werden attraktiver, alternative Antriebe und Elektroautos rechnen sich immer weniger. „Für Autofahrer sind billiges Benzin und Diesel eine schöne Sache“, sagt Ferdinand Dudenhöffer, Autoexperte an der Universität Duisburg-Essen. „Für die Entwicklung der alternativen Kraftstoffe und Antriebe bedeuten die niedrigen Preise nahezu das Aus.“ Mehr als 98 Prozent aller Pkw-Neuwagen in Deutschland kommen laut Dudenhöffer in diesem Jahr als Diesel oder Benziner auf die Straße. Auffallend stark gefragt waren bis Ende Oktober spritdurstige SUVs und Oberklasse- Modelle (jeweils plus 21 Prozent), wie die Statistik des Kraftfahrtbundesamtes zeigt. Minis (minus drei Prozent) und Kleinwagen (minus ein Prozent) verloren hingegen in der Gunst der Autokäufer.

Verbraucherschützer fordern eine Senkung des Kerosinzuschlags

Überangebot. Weil zu viel Rohöl auf dem Weltmarkt ist, fallen die Preise.
Überangebot. Weil zu viel Rohöl auf dem Weltmarkt ist, fallen die Preise.

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Besonders abhängig von der Entwicklung der Ölpreise sind auch die Luftfahrtgesellschaften. Etwa ein Drittel ihrer Betriebskosten entfallen auf den Treibstoff Kerosin. In den vergangenen Monaten konnten die Airlines auf dem Spotmarkt deutlich preiswerter einkaufen, der Kerosinpreis ist seit August um fast zehn Prozent gesunken. Die Verbraucher bekommen davon indes wenig mit – die Fluggesellschaften berechnen pro Ticket einen unverändert üppigen Kerosinzuschlag. Verbraucherschützer fordern die Airlines zum Handeln auf. „Wenn der Kerosinpreis sinkt, muss auch der Zuschlag reduziert werden“, sagte Otmar Lell vom Bundesverband der Verbraucherzentralen dem Tagesspiegel. „Der Zusammenhang ist eindeutig.“ Die Politik hält sich noch zurück. Die Kalkulation des Kerosinzuschlags sei allein Sache der Airlines, meint Kirsten Lühmann, verkehrspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. „Das müssen die Unternehmen entscheiden.“ Die wollen den Zuschlag indes nicht anrühren und verweisen auf andere Lasten wie die Luftverkehrssteuer. Währungsschwankungen fressen außerdem einen Teil der positiven Effekte auf. Zudem haben die Fluglinien ihre Kerosinpreise häufig schon langfristig abgesichert – derzeit meist zu einem höheren als dem Tagespreis. Die Lufthansa etwa sichert im Monat jeweils bis zu fünf Prozent der Kerosin-Ausgaben für bis zu 24 Monate ab. Damit werden bis zu 85 Prozent des Bedarfs abgesichert. Das bedeutet: Die positiven Effekte durch die gesunkenen Ölpreise dürften sich im kommenden Jahr bemerkbar machen.

Reiseveranstalter machen Druck auf die Airlines

Druck auf die Airlines üben Reiseveranstalter wie Alltours aus. Der Anbieter, der jedes Jahr 1,8 Millionen Urlauber in die Ferien fliegt, hofft, „dass wir die Kostenersparnis auf der Treibstoffseite an die Kunden weitergeben können“, wie ein Sprecher sagt. Man rede mit den Airlines über Nachlässe – „wir dringen darauf“. Der Flugplan für den Sommer 2015 stehe allerdings schon zu 95 Prozent fest. Erfolgreich verhandelt hat Alltours bei Flügen nach Griechenland. „Da haben die Airlines attraktive Angebote gemacht“, sagt der Sprecher. Dies sei auch gesunkenen Kerosinkosten geschuldet: Griechenland- Reisen kosten sieben Prozent weniger.

Die chemische Industrie, größter Verarbeiter des Öl-Derivats Naphta, reicht die Kostenersparnis beim Einkauf nicht direkt an die Verbraucher, sondern an ihre Kunden in der Industrie weiter. „Die Entlastung ist spürbar“, sagt Henrik Meincke, Chefvolkswirt beim Branchenverband VCI. „Aber vor allem die Bau- und die Automobilindustrie erwarten, dass diese in der Wertschöpfungskette weitergegeben wird.“ Die Gewinnmargen der Chemiefirmen stiegen deshalb nicht in dem Maße, wie der Ölpreis sinke.

Es geht um große Summen. 2013 haben die chemische und pharmazeutische Industrie in Deutschland Naphta für elf Milliarden Euro verarbeitet. Dieses Jahr könnte die Rechnung um rund 300 Millionen Euro niedriger ausfallen. Die Folge: „Die Chemikalienpreise werden dieses Jahr voraussichtlich um ein Prozent sinken“, sagt Meincke. Nachhaltig wird dies nach seiner Einschätzung aber nicht sein. „Kurzfristig werden die Ölpreise nicht so schnell weiter fallen. Ende 2015 wird das Ölpreisniveau voraussichtlich wieder höher sein – bei rund 100 Dollar je Barrel.“

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