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Selbst im Lebensmittelhandwerk, wo die Personalnot am größten ist, sind die Berliner Betriebe derzeit in allerbester Laune.

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Berliner Handwerk: "Absoluter Höhenflug" bringt Kunden lange Wartezeiten

Das Handwerk ist dank voller Auftragsbücher in "großartiger Stimmung": Den Betrieben in Berlin geht es so gut wie seit 1991 nicht mehr.

Von Maris Hubschmid

Wer in Berlin einen Handwerker sucht, muss lange warten. Vielleicht sogar Monate, wenn es um Arbeiten in Haus und Wohnung geht. Zehn Wochen beträgt aktuell die durchschnittliche „Auftragsreichweite“ von Betrieben im produzierenden Gewerbe, zu dem neben Bau- und Ausbaugewerken auch solche für den gewerblichen Bedarf, etwa Metallgießer oder Schilderhersteller gehören. Das heiße zwar nicht, dass man auf jede kleinere Ausbesserungsarbeit Wochen warten müsse, betont Handwerkskammerpräsident Stephan Schwarz. „Aber ja: Die Bücher sind gefüllt, und wenn es um umfangreichere Tätigkeiten geht, kommt es in einer solchen Hochkonjunkturphase schon mal zu längeren Wartezeiten.“

Dem Berliner Handwerk geht es so super wie seit 1991 nicht mehr. Von einem „außerordentlich guten Start ins Jahr 2017“, „großartiger Stimmung“, einem „absoluten Höhenflug“ ist am Mittwoch die Rede, als der neue Geschäftsklima-Index in der Handwerkskammer vorgestellt wird. Der berechnet sich aus den Ergebnissen von Umfragen in sämtlichen Handwerksberufen. Derzeit erreicht er einen Allzeit-Höchstwert. 124 Punkte – als neutral gilt die Laune bei 100. „Nichts trübt im Moment die Stimmung“, heißt es im Frühjahrsbericht der Kammer.

Es wird gebaut und ausgebaut

Spitzenreiter ist dabei mit 130 Index-Punkten das Ausbauhandwerk – also jene Berufe, die sich mit dem Innenleben von Gebäuden beschäftigen, wie Bodenleger, Elektrotechniker, Maler oder Klempner. Wie das Bauhauptgewerbe profitiert es von Neubauten in einer wachsenden Stadt, aber auch davon, dass viele ihr Zuhause sanieren. „Etliche Hausbesitzer, aber auch Mieter investieren lieber, statt ihr Geld zu Nullzinsen bei der Bank zu parken“, erklärt der Kammerchef.

Quer durch die Branchen sind die Erwartungen in den rund 30 000 Betrieben der Stadt so zuversichtlich wie lange nicht mehr. 88 Prozent aller Unternehmen bewerten ihre Lage positiv und rechnen mit einer weiter guten Entwicklung. „2017 wird trotz extrem hoher Ausgangslage ein sehr erfolgreiches, vermutlich das erfolgreichste Jahr im Berliner Handwerk“, prognostiziert Schwarz – vor allem dank der anhaltend starken Binnenkonjunktur.

Bäcker, Fleischer, Konditor: Keiner beschwert sich

Richtig rund läuft es im Nahrungsmittelgewerbe. Zum ersten Mal seit Auswertung der Stimmungslage berichtete hier kein einziger Betrieb in Berlin von schlechten Geschäftsergebnissen. Egal ob Fleischer, Brauer oder Konditor: Sie alle sind zufrieden oder richtig froh. 93 Prozent zeigen sich zudem sehr optimistisch hinsichtlich der zu erwartenden Nachfrage nach ihren Produkten und Dienstleistungen.

Einzige Ausnahme in dieser Jubelarie ist das Gesundheitshandwerk. Dazu zählen zum Beispiel Zahntechniker oder Orthopädiemechaniker. Sie sind von der allgemeinen konjunkturellen Entwicklung abgekoppelt – Zahnkrone und Beinprothese gönnt man sich nicht, man braucht sie. So gesehen spricht eine schwache Auftragslage für eine fidele Bevölkerung. „Die Branche ist aber auch sehr stark abhängig von Gesetzgebung und Regulation“, bemerkt Schwarz.

Mitarbeiter dringend gesucht

Insgesamt erreichen die Handwerker Kapazitätsauslastungen von bis zu 90 Prozent. „Ein noch höherer Auslastungsgrad wird im Moment durch fehlendes Fachpersonal verhindert.“ 40 Prozent aller Betriebe haben offene Stellen gemeldet. 61 Prozent haben jüngst investiert – und diejenigen, die es nicht getan haben, nennen als größtes Hemmnis fehlendes Personal.

Eine „wirklich große Chance“ sieht die Kammer deshalb in der Integration von Geflüchteten. „Der allergrößte Teil sind junge Menschen, das ist die gute Nachricht – sie sind ausbildungsfähig“, sagt Stephan Schwarz. Innerhalb der zurückliegenden zwei Jahre konnten in Berlin 170 Ausbildungsverträge mit Neuankömmlingen geschlossen werden.

Die Erfahrungen seien ganz überwiegend positiv, das „Motivationsniveau“ hoch. Reichten ihre Sprachkenntnisse für die betriebliche Praxis meist aus, gäbe es in der Berufsschule jedoch häufig Schwierigkeiten. „Ein Stück weit steht es in der handwerklichen Tradition, dass man Lehrlinge über das normale Maß hinaus betreut und auch mal der Meister mit dem Lehrling paukt“, sagt Schwarz. Dennoch erwarte man in diesem Punkt mehr Unterstützung von der Politik.

Angst vor dem Dieselverbot

Von einem Anspruch auf befristete Teilzeitarbeit hält der Kammerverbund, der rund 180 000 Beschäftigte vertritt, nichts. „Rechtsansprüche behindern eher die Flexibilität. Wir haben eine große Bandbreite von sehr individuellen Lösungen – selbst bei Betriebsgrößen von weniger als sieben Mitarbeitern.“ Sorgen bereitet ein etwaiges Dieselverbot: „Es gibt quasi keine Alternative zum Diesel“, erläutert Hauptgeschäftsführer Jürgen Wittke. „Jeder Handwerker fährt Diesel.“

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