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North American International Auto Show in Detroit: Verchromte Schlachtrösser, PS-Monster und Spritschlucker gibt es weiterhin.

© AFP

Autojahr 2018: Die Automobilindustrie fährt auf neuem Terrain

Die Autoindustrie hat selber noch keine eindeutige Antwort auf die drängendsten Zukunftsfragen. Klar ist, dass sie die Antworten künftig nicht mehr alleine geben wird. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Henrik Mortsiefer

Die Dinosaurier leben noch. In der alten Motorstadt Detroit kann man sie jetzt wieder besichtigen: Verchromte Schlachtrösser, PS-Monster und Spritschlucker. Geländewagen, Pick-ups, SUVs, Sportwagen. Die Messe im Mittleren Westen der USA markiert den Auftakt des Autojahres. Und wie in jedem Jahr findet in Detroit eine Parade der Gestrigen statt. Immer noch beeindruckend für die einen, abschreckend für die anderen. Wäre diese Autoshow repräsentativ für die Schaffenskraft der Autoindustrie, man müsste sich Sorgen um die Zukunft der Branche machen.

Doch auch im Donald-Trump-Land ist mehr los als „America First“ und als der Leugner des Klimawandels im Weißen Haus wahrhaben will. In Las Vegas zeigte sich dieser Tage das andere Bild der Automobilindustrie. Die Technikmesse CES wurde dominiert von Fahrzeugherstellern, die – in neuen Bündnissen mit Hightech-Konzernen und Mobilitätsdienstleistern – Zukunftsentwürfe präsentierten. Eine Welt, in der das Auto aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit rückt und sich zu einer (möglichen) Plattform für Mobilität verwandelt, vernetzt, autonom, intelligent, clean. Die größte Bühne der CES hatten nicht Google, Facebook & Co. gebucht, sondern Ford. Kein Autobauer kann es sich mehr erlauben, die Tech-Messe zu ignorieren. In Las Vegas spielt die Musik – in Detroit spielen die Muskeln.

Für den Beobachter verwirrend: Weder die eine noch die andere Welt hat viel mit dem Alltag der meisten Autofahrer zu tun. Denn weder 500-PS-Pick-ups noch rollende Smartphones geben eine Antwort auf die drängenden Fragen der Gegenwart. Wie entkommen die Metropolen dem Klima- und Verkehrskollaps? Welche Zukunft hat der Verbrennungsmotor? Welche Alternative zum fossilen Kraftstoff setzt sich durch – die Batterie, die Brennstoffzelle oder der synthetische Sprit? Welches Mischungsverhältnis aus Individual- und öffentlichem Verkehr ist sinnvoll und nachhaltig?

Die Autobranche befindet sich mitten in der Transformation in die Zukunft

Die Autobranche weiß es selbst noch nicht. Sie befindet sich mitten in der Transformation in die Zukunft. Deutlich wird dabei, dass die Industrie die Antworten künftig nicht mehr alleine geben wird. Sie braucht Technologiepartner aus der Software-, Chip- und Chemieindustrie, weil sie bei künstlicher Intelligenz, Echtzeitkarten oder Zellfertigung auf die Kompetenzen anderer angewiesen ist. Mobilität wird eben kein Synonym mehr allein für das Auto sein.

Hersteller und Zulieferer, die hierzulande fast eine Million Beschäftigte zählen, bewegen sich auf neuem, häufig unbekanntem Terrain. Dabei werden sie nicht nur von Wettbewerbern angegriffen, sondern auch von Branchenfremden, die neue Wettbewerber geworden sind. Und seit dem Dieselskandal wissen wir, dass die Autobauer sich selbst am meisten schaden, wenn sie ihr Ingenieurskönnen überschätzen und mit Tricksereien anfangen.

Kein Grund also für die Autolobby, es mit dem Selbstbewusstsein – siehe Detroit – zu übertreiben. Doch ohne Selbstvertrauen geht es auch nicht. In der teilweise hysterischen Debatte um Diesel, Luftverschmutzung und Fahrverbote geht häufig unter, dass diese Industrie immer noch ein Innovationsmotor ist. Keine Branche investiert so viel in Forschung und Entwicklung. Und ihre Experimentierfreude erstreckt sich nicht mehr nur auf die Technik, sondern auch auf ihre Arbeitsorganisation, die Unternehmenskulturen oder ihren Beitrag zur Alltagskultur. Kurzum: Die Politik sollte die Autoindustrie bei ihrem Stolz packen, wenn sie von ihr einen größeren Beitrag zur Lösung der Verkehrs- und Umweltprobleme erwartet.

Die neue große Koalition, sollte sie denn zustande kommen, bietet hier bislang nur Allgemeinplätze – und Geld. Das sollen die Kommunen ausgeben für mehr ÖPNV, mehr Elektromobilität, flüssigeren Verkehr. Ein Anfang. Es muss jedoch mehr in Gang kommen, wenn daraus eine Verkehrswende werden soll.

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