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Eine Batterie für den E-Smart baute Daimler im sächsischen Kamenz. Hier wurden auch Zellen produziert, doch weil man preislich nicht mit den etablierten asiatischen Herstellern konkurrieren konnte, endete die Produktion im vergangenen Jahr.

© picture alliance / dpa

Auf dem Weg zur Elektromobilität: Warum Deutschland eine Batteriezellenfabrik braucht

250 Millionen Euro Förderung sind in die Batterieforschung in Deutschland geflossen – jetzt ist die Industrie am Zug.

Im letzten Jahr sah es gut aus. Unter der Führung von Varta Microbattery aus Ellwangen (Ostalb) wollten die Anlagenbauer Manz (Reutlingen), M+W (Stuttgart) und Thyssen-Krupp (Essen) ein Projekt angehen, über das seit Jahren geredet wird: die industrielle Fertigung von Batteriezellen in Deutschland. BMW sagte Unterstützung zu und das Bundesforschungsministerium sowieso. Doch dann kam Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender von Daimler.

Zetsche rief beim Management von Johnson Controls an. Der US-Konzern, einer der großen Lieferanten von Daimler und anderen Autoherstellern, hatte vor Jahren einen Teil von Varta übernommen und kann deshalb Einfluss nehmen auf das Geschehen in Ellwangen. Zetsche passte der ganze Plan zur Zellenfertigung nicht, und so forderte er die Kollegen von Johnson Controls auf, Varta zurückzupfeifen. Gesagt, getan. „Giga-Lib“, so der Name des Projekts, war tot. Sogar Angela Merkel soll sauer gewesen sein über den doch sonst so smart und locker auftretenden Zetsche, der hier aus dem Hinterhalt eines der wichtigsten industriepolitischen Vorhaben abgeschossen hatte. „Ich könnte in Stuttgart eine Bombe schmeißen“, ärgert sich jemand aus der Batteriebranche über den Daimler-Chef.

Die Zellchemie mit Fördergeld in Schwung gebracht

Mit rund 250 Millionen Euro hat die Regierung in den vergangenen zehn Jahren alle möglichen Forschungsprojekte gefördert, um hierzulande die Zellchemie wieder in Schwung zu bringen und den Abstand zu Südkorea und Japan zu verringern. Was fehlt, ist eine industrielle Fertigung von Batteriezellen. Denn die wäre ein „wichtiges Element zur Wahrung der Systemkompetenz und Zukunftsfähigkeit Deutschlands als Industriestandort“.

So steht es in der „Roadmap Batteriezellenfertigung“, die im Rahmen der Nationalen Plattform Elektromobilität (NPE) erarbeitet und vor zwei Monaten vorgestellt wurde. Die Kernaussagen: Die Produktion von Zellen sollte hierzulande spätestens 2021 beginnen und 2025 Volllast erreichen; die Kapazität ist für 325 000 Elektroautos pro Jahr angelegt, die Anlage kostet 1,3 Milliarden Euro und beschäftigt bis zu 1300 Personen; die Gewinnschwelle könnte 2025 erreicht werden, bis sich die Anlage amortisiert, wird es jedoch 2030. „Wer da reingeht, der braucht einen langen Atem und Cash“, sagt Henning Kagermann, Chef der von der Bundesregierung aufgelegten NPE. Vermutlich werden die Platzhirsche aus Asien dem neuen Konkurrenten mit Kampfpreisen zusetzen.

Kagermann kommentiert mit einer gewissen Fassungslosigkeit die Zurückhaltung der deutschen Autohersteller und ihrer großen Lieferanten bei dem Thema: „Ich kann das nicht verstehen.“ Ähnlich geht es Regierungsvertretern. „Die Debatten mit der Autoindustrie waren bisher nicht fruchtbar“, sagt Georg Schütte, Staatssekretär im Forschungsministerium. „Wir sind in den letzten fünf Jahren nicht weitergekommen.“

Ein Neues Konsortium unabhängig von den Konzernen

Aktuelle Berichte, wonach Volkswagen konkret an den Bau einer Batteriezellenfabrik denkt, geben der Diskussion neuen Schwung. Eine Bestätigung des Unternehmens gibt es indes nicht. Derweil versucht die Politik, unabhängig von den Konzernen ein neues Konsortium zu bilden. Denn Zellen für Batterien brauchen nicht nur Daimler, BMW und VW, sondern die Hersteller von allen möglichen Fahrzeugen. Und obendrein die Energiewirtschaft, denn an der Möglichkeit, Strom zu speichern, hängt auch der Erfolg der Energiewende. Nach Einschätzung der Roadmap und vieler Experten müssen die Weichen für eine Zellfertigung hierzulande in diesem Jahr gestellt werden, damit es im nächsten Jahrzehnt eine wettbewerbsfähige Zellfertigung gibt.

Das große Interesse der Politik, die das Thema antreibt, erklärt sich aus der industriepolitischen Relevanz: Gut ein Drittel der Wertschöpfung eines Elektroautos entfällt auf die Batterie; und bei der Batterie kommt wiederum die Zelle auf einen Anteil von 60 bis 70 Prozent. Spätestens in zehn Jahren, so meint Kagermann, wird das E-Auto günstiger sein in Anschaffung und Unterhalt als ein Fahrzeug mit Verbrennungsmotor. Und wenn es am Standort Deutschland die gesamte Wertschöpfung für die Autoherstellung geben soll, dann braucht es hier eine Zellfertigung.

Werner Tillmetz ist Leiter des Bereichs Elektrochemische Energietechnologien am Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung in Ulm. Tillmetz betreibt eine Pilotfertigung von Batteriezellen für Autos. „Jetzt müssen noch die Hebel in der Industrie und bei den Zulieferern umgelegt werden“, sagt er. Die Zeit wird knapp, weil der Vorsprung der Asiaten groß ist. „Ich sehe die Gefahr, dass wir wieder etwas verschlafen“, meint Tillmetz. Wie bei Handys und Unterhaltungselektronik – deutsche Firmen sind kaum noch dabei. In der Autoindustrie wäre das fatal, denn Fahrzeug- und Maschinenbau sind der Kern der deutschen Wirtschaft.

"Es gibt keinen, der so richtig vormarschiert"

„Das Geschäft wächst mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit“, sagt Tillmetz. Von 20 Milliarden Euro weltweitem Umsatz auf 100 Milliarden in zehn Jahren. „Wir müssen jetzt die Kurve kriegen.“ Aber wer ist „wir“? Das weiß der Professor auch nicht. „Es gibt keinen, der so richtig vormarschiert.“ Die Autokonzerne sind das jedenfalls nicht.

Wenn ein technologischer Durchbruch bei der Entwicklung einer neuen Zellgeneration gelinge, so orakelt Autoverbandspräsident Matthias Wissmann, „kommt auch eine Zellproduktion in Deutschland in Betracht“. Derzeit werde das „branchenübergreifend im Rahmen der Nationalen Plattform diskutiert“. Diskutiert wird seit Jahren. Derweil bauen die Asiaten ihre Kapazitäten aus. So produzieren Samsung und LG demnächst Zellen in Ungarn und Polen. IG Metall-Chef Jörg Hofmann ist in Sorge, dass ohne deutsche Produktion „die Abhängigkeit von ausländischen Herstellern zementiert wird“. Und die entwickeln sich zunehmend zu Systemanbietern, die nicht nur Zellen, sondern ganze Batteriesysteme und irgendwann auch ganze Autos anbieten. Wie Apple. Der US-Konzern hat reichlich Expertise bei Akkus und Zellen und entwickelt das selbst fahrende Auto.

Und Daimler? Der Konzern lag weit vorn, gemeinsam mit Evonik baute Daimler im sächsischen Kamenz Zellen. Und gab Ende 2015 auf, weil die asiatischen Wettbewerber preislich überlegen waren. In Kamenz werden immer noch Batterien gebaut, die Zellen dazu kauft Daimler in Asien. Vielleicht aus Eitelkeit, so die Spekulationen in der Branche, habe Zetsche 2015 das Zellenprojekt gekillt. Vielleicht aber auch deshalb, weil er sich irgendwann wieder selbst an das Thema wagen will. Wenn es dann nicht zu spät ist.

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