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Das Handwerk braucht auch Nachwuchs. Foto: Ingo Wagner/dpa-tmn

© dpa-tmn

Arbeitsmarkt in Berlin: Fachkräfte und Azubis verzweifelt gesucht

Die Zahl der Arbeitslosen sinkt, die Zahl der offenen Stellen steigt weiter. Firmen müssen zunehmend um Fachkräfte und Lehrlinge buhlen.

Wenn Jennifer Bötzer um sechs Uhr früh beginnen soll, noch menschenleere Gebäude zu reinigen und ein paar Minuten zu spät kommt, ist das für ihren Chef kein Problem. Er weiß: Die 23-Jährige ist nicht schwer aus dem Bett gekommen oder hat den Bus verpasst. Sie hat sich um ihr kleines Kind gekümmert, das sie nach ihrem ersten Lehrjahr bei Gegenbauer bekommen hat.

Die junge Mutter ist jetzt im dritten Ausbildungsjahr bei dem Dienstleistungsunternehmen. Allerdings macht sie eine Teilzeit-Ausbildung, arbeitet 30 Stunden die Woche, fehlt öfters als die anderen. Eine Betriebskita gibt es nicht. „Ansonsten fühle ich mich genügend unterstützt“, sagt Jennifer Bötzer. Sie ist an diesem Freitagmorgen eingeladen worden, bei der Vorstellung der regionalen Arbeitsmarktzahlen dabei zu sein, soll aus ihrem Alltag berichten. Bernd Becking, Chef der regionalen Arbeitsagentur hört ihr zu und sagt zum Thema Teilzeit-Ausbildung: „Leider gibt es viel zu wenig Unternehmen, die in diese Richtung denken.“ Dabei müssten sie es doch.

Demografische Wandel ticke wie eine Bombe

Zwei Monate vor dem nächsten Ausbildungsjahr gibt es 6894 unbesetzte Lehrstellen in Berlin. Mehr als jeder dritte Betrieb der Hauptstadt konnte seine Plätze im vergangenen Jahr nicht besetzen – und bis heute sind die Bewerberzahlen abermals um fünf Prozent zurückgegangen. Der demografische Wandel, der laut Becking „wie eine Bombe tickt“, sorgt zum einen dafür, dass die Zahl der Schulabgänger immer kleiner wird. Gleichzeitig scheiden in den kommenden zehn Jahren in Berlin mehr als 230000 sozialversicherungspflichtig Angestellte aus Altersgründen aus – von derzeit 1,4 Millionen Beschäftigten.

Dazu kommt, dass mittlerweile jeder zweite Schulabgänger studienberechtigt ist – und oft auch lieber an die Uni will. Mitte der Neunzigerjahre war es nur rund jeder Dritte, 1970 nur jeder Zehnte. Laut der IHK-Berlin entscheiden sich von den 28000 Berliner Schulabgängern höchstens 3000 für den direkten Einstieg in eine Ausbildung.

Die Betriebe müssen sich in sämtlichen Branchen etwas einfallen lassen: Gegenbauer gibt jenen eine Chance, die früher erst mal keine bekommen hätten: Jugendliche mit Lernschwierigkeiten und Geflüchtete. Andere Unternehmen versprechen BVG-Karten, Handys und Reisen.

Der Arbeitsmarkt hat sich radikal verändert

Auch wenn es in einem so reichen Land wie Deutschland noch immer zahlreiche Menschen gibt, die von der guten Wirtschaftslage nicht profitieren, schlecht bezahlte Jobs haben oder gar keinen, hat sich der Arbeitsmarkt zu Gunsten der Beschäftigten entwickelt. Mittlerweile können sie wegen des Fachkräftemangels bestimmen, wo sie arbeiten wollen und unter welchen Bedingungen. So ist die Zahl der Arbeitslosen im Juni weiter um 25000 auf 2,5 Millionen gesunken. „Seit 2005 konnte die Arbeitslosigkeit nahezu halbiert werden“, sagte Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD).

Die Zahl der Suchenden ohne Job, die an Weiterbildungen und Maßnahmen der Arbeitsagentur teilnehmen, lag bei 3,5 Millionen. Experten sprechen hier von der Unterbeschäftigung; Kritiker der BA-Statistik nennen dies den korrekten Wert. Die von der Agentur verkündete Zahl von 2,5 Millionen sei geschönt. Die Arbeitslosenquote sank um 0,1 Punkte auf 5,5 Prozent. In Berlin beträgt sie 8,8 Prozent. Das Jahresziel sei laut Becking 8,2 Prozent.

1000 Flüchtlinge suchen in Berlin Lehrstelle

„Auch wenn das Beschäftigungswachstum überwiegend durch Zuzüge nach Berlin getragen wird, profitieren auch die Arbeitslosen“, kommentierte Christian Amsinck, Hauptgeschäftsführer der Unternehmensverbände Berlin-Brandenburg. „Ich warne aber davor, sich zurückzulehnen. Dazu gibt es noch zu viele ungelöste Probleme auf dem Arbeits- und Ausbildungsstellenmarkt. Jugendliche, Geringqualifizierte und Langzeitarbeitslose brauchen eine individuelle und passgenaue Förderung durch die Arbeitsagenturen und Jobcenter.“

Den 6894 unbesetzten Ausbildungsstellen stehen beispielsweise 8700 Bewerber gegenüber. Damit sie noch eine Ausbildung beginnen, kündigte BA-Chef Detlef Scheele (SPD) massive Investitionen in die Unterstützung von Schülern beim Übergang in den Beruf an.

Die Zahl der offiziell als arbeitslos geltenden Flüchtlinge liegt laut der Arbeitsagentur bei 181000. 490000 Asylbewerber wurden indes als arbeitssuchend bei einer Arbeitsagentur oder einem Jobcenter betreut. Was Berlin betrifft sagte Becking: In diesem Jahr hätten bislang 1015 einen Job gefunden, vor allem im Gastgewerbe, im Wach- und Sicherheitsschutz und Handel. Rund 1000 bemühten sich in der Stadt gerade um eine Lehrstelle. Mit erhöhten Chancen. Weil sie durch die Sprachkurse besser Deutsch können – und weil die Not der Betriebe auch ihr Glück ist.

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