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Wie Conni Biesalski wollen immer mehr junge Menschen selbst entscheiden, wo, wann und wie sie arbeiten.

© Conni Biesalski

Arbeiten wo und wann man will: Leben als digitale Nomaden

Arbeit mit Aussicht: Ein Bürojob ist nichts für digitale Nomaden. Sie reisen um die Welt und arbeiten dort, wo sie gerade sind.

Von Carla Neuhaus

Marcus Meurer hat Schluss gemacht. Er hat seinen Job gekündigt, seine Wohnung untervermietet und ist losgezogen. Raus in die Welt. Mit seiner Freundin Felicia Hargarten lebt Meurer heute immer dort, wo es ihnen gerade gefällt. Mal in Berlin, mal Myanmar, mal Mexiko. Die beiden sind digitale Nomaden. So nennen sich all diejenigen, die ortsungebunden arbeiten. Die sich nicht mehr festlegen wollen: auf einen Arbeitgeber, einen Wohnsitz, einen festen Tagesrhythmus.

Zehn Jahre hat Meurer ein Leben geführt wie Millionen andere deutsche Angestellte auch. Jeden Tag ist er ins Büro gegangen, hatte feste Arbeitszeiten und machte Urlaub, den er Wochen im Voraus anmelden musste. Als Marketingmanager hat er schnell Karriere gemacht. Doch zufrieden war er nicht. „Mit jeder Beförderung stieg die Verantwortung“, sagt der 36-Jährige, „aber die Lebensqualität hat immer weiter abgenommen.“ Zu Beginn seiner Karriere war er noch stolz auf die vielen Überstunden, die er machte. „Irgendwann hat mich das nur noch genervt. Ich fühlte mich, als wäre ich in einem Hamsterrad gefangen.“

Zehn Jahre lang hat Marcus Meurer einen ganz normalen Bürojob gehabt.
Zehn Jahre lang hat Marcus Meurer einen ganz normalen Bürojob gehabt.

© privat

Seiner Freundin ging es ähnlich. Anfang 2013 nahmen die beiden sich eine Auszeit. Ein halbes Jahr wollten sie auf Weltreise gehen und sich danach beruflich neu orientieren. Sie flogen nach Thailand, auf die Philippinen, nach Malaysia, Indonesien und Singapur. Um ihre Freunde und Familie auf dem Laufenden zu halten, setzten sie einen Blog im Netz auf. Auf dem berichteten sie von ihren Ausflügen und luden Fotos hoch. An einem regnerischen Tag auf den Philippinen kamen sie auf die Idee, das mit dem Bloggen professioneller anzugehen. Aus dem Hobby wurde ein Job und aus dem Reisen eine Lebensform.

Geld verdienen sie durch Sponsoring

Heute sind die beiden selbstständig. Geld verdienen sie unter anderem über Werbung auf ihrem Blog. Sie empfehlen ihren Lesern zum Beispiel die Kreditkarte einer Bank, die sie selbst nutzen. Bestellt einer ihrer Leser die Karte, bekommen sie eine Provision. Ihre Flüge sponsern ihnen Airlines, die sie dafür namentlich in ihren Blogbeiträgen erwähnen. Daneben beraten die beiden Firmen beim Onlinemarketing und bauen Websites für Start-ups oder Freiberufler auf.

Wie Meurer und Hargarten leben immer mehr junge Menschen als digitale Nomaden. Sie sind moderne Wanderarbeiter. Statt an den Ort zu ziehen, an dem sie Arbeit finden, arbeiten sie dort, wo sie gerade sein wollen: an einem Strand in Mittelamerika, in einem Café in BerlinKreuzberg oder einem Coworking-Büro in Bangkok. Sie brauchen nur Laptop, Smartphone und eine Internetverbindung. 200 digitale Nomaden sind an diesem Wochenende in Berlin zusammengekommen, um auf der DNX-Konferenz ihre Erfahrungen auszutauschen. Meurer und Hargarten haben sie organisiert. Die Tickets der Veranstaltung seien innerhalb von drei Tagen ausverkauft gewesen.

Seine Post scannt eine Firma für ihn ein

Ein Großteil der digitalen Nomaden sind Blogger, viele arbeiten im Onlinemarketing. Doch auch mit einem Job fern der Netzwelt kann man ortsungebunden arbeiten, sagt Tim Chimoy. Er ist studierter Architekt. Und auch für ihn ist das Leben als Festangestellter nichts. „Ich möchte meine Persönlichkeit nicht morgens am Empfang abgeben müssen“, sagt er. Der 33-Jährige fertigt heute als Dienstleister Bauzeichnungen und 3-D-Modelle an. Nur einen Teil der Arbeit macht er selbst, vieles übernehmen freie Mitarbeiter. Sein Geschäft hat er so organisiert, dass er es von überall aus führen kann. Den Sommer verbringt er meist in Berlin, den Winter in Asien, bevorzugt in Vietnam. Wenn er unterwegs ist, geht seine Post per Nachsendeauftrag an die Firma Dropscan, die seine Briefe einscannt und ihm per Mail zuschickt. Rechnungen lässt er über einen Online-Dienstleister verschicken. Ist er telefonisch nicht erreichbar, geht ein Sekretariat ran.

Tim Chimoy ist Architekt und möchte nicht als Festangestellter arbeiten.
Tim Chimoy ist Architekt und möchte nicht als Festangestellter arbeiten.

© privat

Allerdings warnt Chimoy davor, sich das Leben als digitaler Nomade zu leicht vorzustellen. Einfach loszureisen und darauf zu setzen, dass das Geschäft schon laufe, sei leichtsinnig. Das weiß er aus Erfahrung. „Ich hatte am Anfang eine ziemlich lange Durststrecke“, sagt er. Nachdem er vor zweieinhalb Jahren seinen festen Job als Projektmanager im Bauwesen gekündigt hatte, ist er sofort in den nächsten Flieger nach Asien gestiegen. Noch einmal würde er das nicht machen. „Man sollte erst sein Business aufbauen und dann losziehen“, sagt er. Außerdem hat er festgestellt, dass er nur konzentriert arbeiten kann, wenn er etwas länger an einem Ort ist. Alle drei Tage ein anderer Traumstrand – das sei unrealistisch. Heute mietet sich Chimoy mal für ein paar Monate eine Wohnung in Buenos Aires, um danach ein paar Wochen in Berlin zu arbeiten und sich dann für zwei Monate in eine Berghütte in den Alpen zurückzuziehen.

Besitz belastet

Mit dem neuen Lebensstil verabschieden sich digitale Nomaden oft nicht nur vom festen Job und Wohnsitz. Viele leben deutlich minimalistischer als früher – allein schon deshalb, weil sie viel weniger verdienen. „Statussymbole wie Auto oder Flachbild-Fernseher sind mir nicht mehr wichtig“, sagt Marcus Meurer. Nach jeder seiner bisherigen Reisen hat er sein Hab und Gut reduziert. Mittlerweile passt es in drei Ikea-Tüten. Wenn er unterwegs ist, lagert er einen Teil ein – nimmt nur mit, was in einen 30-Liter-Rucksack passt.

Nicht jeder hat Verständnis für Meurers neuen Lebensstil. Seinen Eltern zu erklären, dass er jetzt digitaler Nomade sei, habe gedauert, sagt er. Auch Freunde fragten, ob er zu viel Geld habe. Ihnen musste Meurer erst einmal vermitteln, dass er unterwegs arbeite – und zwar nicht wenig.

Berlin nennt Meurer heute seine „Homebase“. Hier sind er und seine Freundin gemeldet, hier zahlen sie Steuern und hierhin kehren sie immer wieder zurück – schon deshalb, weil in der Stadt digitale Nomaden aus der ganzen Welt zusammenkommen. Zum Beispiel im Creative Loft, einem Gemeinschaftsbüro am Moritzplatz.

Dort trifft man in diesen Tagen auch Conni Biesalski. Die 30-Jährige lebt seit zweieinhalb Jahren als digitale Nomadin. Aufgewachsen ist sie in einer Kleinstadt in Bayern. „20 000 Einwohner, krasser Dialekt, viele Felder und mir war schon immer bocklangweilig dort.“ Nach dem Studium zog sie nach Berlin und fing in einer PR-Agentur an. „Das habe ich aber nur acht Monate ausgehalten“, sagt sie. „Ich habe dort für den Traum von anderen gearbeitet, nicht für meinen eigenen.“

Conni Biesalski lebt seit zweieinhalb Jahren als digitale Nomadin.
Conni Biesalski lebt seit zweieinhalb Jahren als digitale Nomadin.

© privat

Heute führt sie einen Blog im Netz, den jeden Monat 60 000 Menschen lesen. Und sie bringt anderen in Workshops und Online-Tutorials das Bloggen bei. „Ich mach einfach mein Ding“, sagt Biesalski. Seitdem sie digitale Nomadin sei, arbeite sie viel produktiver und habe mehr vom Leben. „Eigentlich passt das Wort Arbeit nicht mehr zu dem, was ich mache“, sagt sie, „aber einen neuen Begriff habe ich noch nicht gefunden.“

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