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"Sexy", aber in Sorge: Mitarbeiter der Salzgitter AG hoffen auf Unterstützung durch die EU.

© Sebastian Gollnow/dpa

Aktionstag „Stahl ist die Zukunft“: Stahlkocher gehen auf die Straße

Deutschlands Stahlindustrie ist unter Druck. Zum Aktionstag demonstrieren an diesem Montag Zehntausende für ihre Zukunft.

Die Deutschland AG lebt. Wirtschaftsvertreter und Gewerkschafter, Bürgermeister und Minister, Betriebsräte und Vorstände gehen am heutigen Montag gemeinsam auf die Straße. Getrommelt wird für eine Branche, deren Überleben in Europa vor allem von der Europäischen Union (EU) abhängt: „Stahl ist die Zukunft“ – unter dieses Motto hat die IG Metall den Aktionstag gestellt. Und wenn die größte deutsche Gewerkschaft ihren Kampagnenapparat anwirft, dann lassen sich Zehntausende mobilisieren.

Mehr als 10.000 Demonstranten werden erwartet

Allein in Duisburg, wo das größte deutsche Stahlwerk steht und wo unter anderem Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel und NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (beide SPD) auftreten und die Bedeutung dieser Grundstoffindustrie für den Standort Deutschland betonen werden, erwartet die Gewerkschaft mehr als 10 000 Demonstranten. Vor dem Kanzleramt in Berlin werden es etwas weniger sein, ebenso im Saarland, wo es an diversen Stahlstandorten Kundgebungen gibt, auch mit Oskar Lafontaine und der CDU–Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Adressat der konzertierten Aktion ist die EU-Kommission. Auf zwei Feldern sehen die Stahl-Lobbyisten Brüssel in der Pflicht: im Handel und beim Klimaschutz.

Es geht um Schutzzölle gegen chinesischen Dumpingstahl und um eine Korrektur der Pläne für den CO2-Zertifikatehandel. Wird die vierte Handelsperiode im nächsten Jahrzehnt so ausgestaltet wie bislang von der EU geplant, dann müssten allein die deutschen Stahlhersteller rund eine Milliarde Euro zusätzlich für die CO2-Zertifikate ausgeben. Und das wäre das Ende des Stahls am Standort Deutschland, so die Befürchtung. Entsprechend groß ist der Druck auf Brüssel, die bisherigen Pläne zu korrigieren. Im Herbst wird mit einer Entscheidung gerechnet.

China flutet den Markt mit Stahl zu Schleuderpreisen

Aktuell leidet die Branche vor allem darunter, dass die Chinesen wegen ihrer enormen Überkapazitäten den Weltmarkt mit Stahl zu Schleuderpreisen fluten. Seit 2010 haben sie den Export in die EU verdoppelt – mit dramatischen Auswirkungen vor allem auf die Hersteller von Massenware. Am heftigsten trifft es Großbritannien. Der indische Tata-Steel-Konzern will sein britisches Stahlgeschäft loswerden, 15 000 Arbeitsplätze sind bedroht. Tata hat die Lust am Stahl verloren, da die britischen Werke jeden Tag über eine Million Euro Verlust machen. Entweder findet sich ein Käufer für das Geschäft, oder Tata macht die Anlagen dicht. Allein am Standort Port Talbot (Wales) arbeiten 5500 Personen. Ende des Monats will der Aufsichtsrat entscheiden.

Spekulation über einen Einstieg des deutschen Marktführers Thyssen-Krupp sind nur bedingt plausibel, die Tata-Standorte auf der Insel gelten als marode. Und von dem Massenstahl, den die Briten heute noch produzieren, hat sich Thyssen-Krupp schon vor Jahren getrennt. Tata betreibt auch ein Flachstahlwerk in den Niederlanden mit Zugang zum Meer; da für die Produktion einer Tonne Stahl rund zwei Tonnen Rohstoffe gebraucht werden, ist die Lage eines Werks am Wasser ein großer Standortvorteil.

Weltmarktführer Arcelor Mittal machte 2015 sieben Milliarden Euro Verlust

Den deutschen Herstellern, neben Thyssen-Krupp sind das vor allem Salzgitter und Saarstahl sowie die Arcelor-Mittal-Standorte in Eisenhüttenstadt und Bremen, geht es noch vergleichsweise gut. Hochwertiger Stahl zu verträglichen Preisen für die Autoindustrie und den Maschinenbau hält sie über Wasser. Anhand der Zahlen des Weltmarktführer Arcelor Mittal wird aber deutlich, in welchem Zustand sich der Weltmarkt befindet: Im vergangenen Jahr machte der Konzern rund sieben Milliarden Euro Verlust. Auch deshalb, weil die chinesische Stahlschwemme die Preise um ein Drittel hat abstürzen lassen. Die EU-Kommission betont inzwischen ihre Bereitschaft zu Strafzöllen und verweist auf entsprechende Anti-Dumping-Untersuchungen. Vorläufige Zölle auf kaltgewalzten Flachstahl betrügen bis zu 18 Prozent, verteidigt sich Brüssel. Die Wirtschaftsvereinigung Stahl führt dagegen die Praktiken der US-Behörden an, deren Zölle bis zu 66 Prozent betragen.

2015 haben die Chinesen rund sieben Millionen Tonnen in die EU exportiert – auf einen Markt mit einer Produktionskapazität von 175 Millionen Tonnen, wovon aber rund 15 Prozent nicht gebraucht werden. Das Problem mit den Überkapazitäten würde kleiner, wenn Tata in Großbritannien dichtmachen würde. Und 15 000 Stahlwerker in die Arbeitslosigkeit entließe. Bittere Ironie bei der Geschichte: Britische Regierungsvertreter haben sich in Brüssel gegen höhere Zölle für chinesischen Stahl gestemmt.

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