zum Hauptinhalt
Der Plattenbau-Block Wilhelmstrasse 56-59 zwischen Behrensstraße und Französischer Straße ist erst 22 Jahre alt.

© IMAGO

Abriss beschlossen: Geputzte Platte

Die letzten Mieter der Wilhelmstraße 56-59 lassen sich auszahlen. Eine Luxus-Wohnanlage ersetzt die „Edel-Platte“.

Die Abrissbagger kommen aller Voraussicht nach Ende Oktober. Nach langem Streit um die Zukunft des Plattenbaus in Mitte stehen die Signale für die Wilhelmstraße 56-59 Immobilienentwicklungs GmbH jetzt auf Grün. Unweit das Brandenburger Tores ist anstelle der einstigen „Edel-Platte“ die Errichtung einer repräsentativen Wohnanlage im Herzen Berlins geplant.

Lange hatten sich die Mieter gegen einen Auszug gewehrt. Die letzten noch verbliebenen aber werden in den nächsten Wochen ihre Wohnungen verlassen. Das hat Zsolt Farkas, der Generalbevollmächtigte der Eigentümergesellschaft, jetzt bestätigt. Man habe sich mit den Mietern auf eine Auszugsvereinbarung gegen Entschädigung geeinigt, teilte er mit.

Allerdings gibt es bisher für das ambitionierte Projekt noch keine aktualisierte Baugenehmigung. Der zuständige Baustadtrat von Berlin-Mitte, Carsten Spallek (CDU), sagte dazu auf Anfrage: „Der Antrag für die Neuplanung ist derzeit noch in Bearbeitung.“ Die Eigentümer-Seite erklärt, die bei einer früher schon erteilten Genehmigung noch fehlende nachbarschaftliche Vereinbarung sei bereits im letzten Jahr nachgeholt worden. Das Genehmigungsverfahren zieht sich dennoch hin. Zsolt Farkas: „Wir stehen im engen Kontakt mit dem Bauamt.“

Der Investor steckt sein Geld auch in Seilbahnen

Die von den Eigentümern beauftragten Berliner Architekten Patzschke Schwebel Planungsgesellschaft gelten als Anhänger einer traditionellen klassischen Architektur. Dafür steht das vom Büro entworfene Hotel Adlon am Brandenburger Tor als Paradebeispiel. Man sei modernen Formen gegenüber aber mittlerweile auch aufgeschlossen, heißt es im Patzschke-Familienunternehmen.

Für das Bauprojekt in der Wilhelmstraße 56-59 haben die Investoren, eine österreichische Familie einen dreistelligen Millionenbetrag kalkuliert. Die Eigentümer haben ihr Vermögen bisher auch in Seilbahnen und Pflegeheime investiert. Die späteren Kaufpreise für die 165 noblen Wohnungen sind „ab 490 000 Euro pro möblierter Einheit“ taxiert. Ursprünglich war Farkas Rede davon, dass „so wenig Wohnungen wie möglich verkauft, so viele wie möglich vom Eigentümer vermietet werden“. Das Gesamtvolumen des Bauvorhabens gab der 48-jährige Bauingenieur Farkas vor einigen Wochen – und damit vor Auflösung der letzten Mietverträge – mit 100 Millionen Euro an.

Die Mietverträge standen unter einem starken Schutz

Der Neubau steht bisher nur als Computeranimation.
Der Neubau steht bisher nur als Computeranimation.

© Wilhelmstraße 56-59 Immobilienentwicklung

Der Widerstand einiger Mieter gegen die vom Eigentümer angestrebten Auszüge war bis zuletzt erheblich. Bestärkt wurden die Bewohner von der Bürgerinitiative Wilhelmstraße. Sie hatte sich seit langem vehement gegen den Abriss des Plattenblocks ausgesprochen. „Kein Mieter muss ausziehen, kein Haus wird abgerissen, keine Angst!“, ist auf der Website der Initiative zu lesen. Niemand müsse sich „rauskaufen“ lassen.

Tatsächlich standen die Mietverträge unter einem starken Schutz, denn beim Verkauf der Wohnungen des städtischen Unternehmens WBM im Jahre 2003 an eine private Gesellschaft, war ein Kündigungsrecht durch den neuen Eigentümer weitgehend ausgeschlossen worden. Die Auszüge mussten also freiwillig erfolgen. Dies ist inzwischen geschehen. Über die Höhe der Abfindungen ist laut Eigentümergesellschaft Stillschweigen vereinbart worden.

Die Bürgerinitiative Wilhelmstraße hat bisher nicht auf diese Entwicklung reagiert. Ihr Sprecher Daniel Dagan ließ eine Tagesspiegel-Anfrage unbeantwortet und war auch telefonisch nicht zu erreichen. Eine Sprecherin der Stadtentwicklungsbehörde erklärte, dass Senator Andreas Geisel zwar die Mieter bei ihrem früheren Wunsch zu bleiben unterstützt habe, nun aber durch den einvernehmlichen Auszug eine geänderte Situation entstanden sei.

Bebauungsplan wurde für nichtig erklärt

Da sich jetzt der Abriss des Blocks an der östlichen Seite der Wilhelmstraße abzeichnet, rückt die Zukunft der gegenüberliegenden Gebäude in klassischer sozialistischer Plattenbauweise ins Blickfeld. Dort befinden sich zwischen Behrenstraße und Voßstraße weitere rund 900 Wohnungen. Es gibt erheblichen Leerstand. Viele Appartements werden als Ferienwohnungen vermietet. Die Bürgerinitiative hatte sich stets für den Erhalt des gesamten Ensembles eingesetzt. „Der Voreigentümer hat sicher vor, aus diesem Moloch herauszukommen“, deutete Farkas dagegen im Gespräch mit dem Tagesspiegel an.

Begehrte Lage: Der Plattenbau nahe dem Brandenburger Tor steht auf einem Filetgrundstück.
Begehrte Lage: Der Plattenbau nahe dem Brandenburger Tor steht auf einem Filetgrundstück.

© imago/Christian Ditsch

Für die Blöcke an der westlichen Straßenseite liegen derzeit nach Auskunft des Bezirksamtes keinerlei Abrissbegehren vor. Einige Mieter aus der Wilhelmstraße 56-59 haben dort bei anderen Vermietern Ersatzwohnungen erhalten. An einem Erwerb weiterer Plattenbauten in der Wilhelmstraße sei man nicht interessiert, stehe aber Investments in vergleichbarer Lage offen gegenüber, teilte Zsolt Farkas auf Anfrage mit. Für das Areal an der Wilhelmstraße wird aktuell die Aufstellung einer „Erhaltungssatzung“ geprüft, so Baustadtrat Spallek.

Ob damit ein dauerhafter Schutz der übrigen Plattengebäude erreicht werden kann, ist fraglich. Die Wirkung einer solchen Satzung wäre nämlich begrenzt, wie der Stadtrat einräumt. Auch wenn eine Erhaltungssatzung erlassen werde, sei ein Abbruch möglich, „wenn nachgewiesen wird, dass das Gebäude nicht wirtschaftlich betrieben werden kann“.

Genau dies war in ähnlicher Form im Komplex Wilhelmstraße 56-59 geschehen. Das Oberverwaltungsgericht hatte im Jahr 2007 Teile des entsprechenden Bebauungsplanes, der den ursprünglichen Gebäudebestand sichern sollte, für nichtig erklärt. Der grundgesetzliche Schutz des Eigentums und die enge Einschränkung der freien Nutzung des Eigentums Boden seien in nicht nachvollziehbarer Härte eingeschränkt worden, befanden die Richter. Damit wurden der Neubauplanung Tür und Tor geöffnet.

Mitarbeit: Reinhart Bünger

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false