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Mops, lebendig.

© Imago

Vorfall in München: Toter Mops in einer Prada-Tüte gestohlen

Die tollsten Geschichten schreibt das Leben selbst. Doch sind sie wirklich alle wahr – oder nur gut erzählt? Die bizarrste Zeitungsmeldung 2013.

Ein altes Kinderlied geht so: „Ein Mops kam in die Küche, und stahl dem Koch ein Ei ...“ Nein, falsch! Der Mops war es, der gestohlen wurde: Er kam mit seiner Besitzerin an der Prada-Filiale in München vorbei, fiel tot um und wurde von den freundlichen Verkäuferinnen in eine Prada-Tragetüte gebettet. Später, in der S-Bahn, klaute jemand Tüte samt Hund. So stand es kürzlich in der „Süddeutschen Zeitung“, am 10. Dezember.

Die Geschichte hört sich so gut an, wie eine Prada-Tasche aussieht. Doch ist ihr Inhalt mehr wert als ein toter Hund? Der Plot taucht seit Jahren immer wieder auf.

Ein Chow-Chow stirbt vor dem KaDeWe und wird in eine Tüte gepackt, diese dann gemopst. In Speyer kollabiert ein Bernhardiner vor einem Elektronikgeschäft, wird in einen Karton gelegt und im Auto verstaut; ein Dieb stiehlt das Auto. London: Ein Hund ist verstorben. Sein Frauchen, Sarah, trägt ihn in einer Sporttasche durch die Stadt, ein Mann bietet Hilfe an – und entwendet die Tasche. In Düsseldorf stirbt ein Hund vor einer Prada-Filiale, wird verpackt und gestohlen. Sein Name: Gucci. Außerdem stirbt in Düsseldorf ein Dackel vor einer Chanel-Filiale, wird verpackt und geklaut. Türkei: Ein Großvater ist verstorben, die Familie will ihn auf dem Dachgepäckträger in die Heimat überführen; ein Autodieb schlägt zu. Die Beispiele sind aus Internetforen, Zeitungen und Büchern. „Urban legend“ heißen solche Geschichten – Großstadtlegenden. Sie werden gern geglaubt und weitererzählt.

Eine Großstadtlegende sei nicht einfach eine Lügengeschichte, sagt Erzählforscher Rolf Brednich. Er hat in seinem Buch „Die Spinne in der Yucca-Palme“ und vier Folgebänden moderne Sagen gesammelt. „Sie könnte irgendwann tatsächlich passiert sein.“ Dass die Story mit dem Mops, die in Varianten bereits in den 1970er Jahren US-Forscher untersuchten, nun in München Realität wurde, hält er allerdings „für unwahrscheinlich“. Doch genau das behauptet die „SZ“.

Eine Anruferin habe der Redaktion die Geschichte erzählt, die einer Bekannten passiert sein soll, sagt die Münchner Redaktion. Auf Nachfrage habe Prada den Vorfall bestätigt: Man kenne die Frau, sie sei eine Stammkundin. Das ist typisch: Es passiert stets einem Freund oder Bekannten. Forscher nennen sie Freund-eines-Freundes-Geschichten. „Wenn man der Sache nachgeht, verläuft sich meist alles im Sande, weil immer weitere Stufen von Zeugen dazwischengeschaltet werden“, sagt Erzählforscher Brednich.

Deswegen lassen sich solche Geschichten meist nicht überprüfen. Ja, sie habe stattgefunden, aber das sei vor vielen Jahren gewesen, sagt die Agentur, die für die Pressearbeit von Prada zuständig ist. Oder besser: vor einiger Zeit. Nein: irgendwann. Man ist sich nicht sicher. Einen Tag später heißt es, man habe keine Quellen, die das bestätigen.

Hat die Anruferin möglicherweise geschwindelt? Die Erzähler moderner Legenden seien oft davon überzeugt, dass die Geschichte wahr sei, sagt Brednich. „Mein eigener Sohn war überzeugt, dass er jemand kennt, dem die Geschichte vom ,Nierendiebstahl im Urlaub’ passiert ist. Er gab mir sogar einen Namen und Anschrift des Opfers. Als ich hinfuhr, gab es weder die Person noch die Adresse.“

Handelt es sich gar um einen Fall von viralem Marketing? Also um Werbung, die sich wie ein Virus von alleine verbreitet, weil die Geschichte weitererzählt wird? Dominik Kuhn, Experte für virales Marketing, hält es für möglich. „Bei einer Viralkampagne soll der Rezipient durch die Beschäftigung mit der Story ein unterbewusstes Gefühl der Marke gegenüber entwickeln.“ Das gehe auch bei traurigen Geschichten wie dem Mopstod. „Solange über die Marke geredet wird, ist das schon mal nicht schlecht.“ Die Auswahl einer so klassischen urbanen Legende passe voll ins Muster: „Aber meiner Erfahrung nach würde das Prada nicht zugeben, und wir werden es nie herausbekommen.“

Inzwischen beschäftigt sich sogar die Mailänder Firmenzentrale von Prada mit dem Mops. Nur die hinterbliebene Besitzerin ist bisher nicht zu Wort gekommen. „Sie wollte nicht mit Medien reden“, sagt ein „SZ“-Redakteur. Schon 2010 hatte sein Blatt über einen Hund berichtet, der – in diesem Fall – vor einem Elektromarkt starb und gestohlen wurde.

Es gab auch diese Variante: Ein DDR- Bürger lädt auf einem Münchner Parkplatz Orangen und Bananen in sein Auto, als ein Paar neben ihm parkt. Aus dem offenen Kofferraum der beiden klaut der Ossi die Verpackung eines Videorecorders. Darin: eine tote Katze. Erschienen ist die Geschichte am 31.5.1990 – in der „SZ“.

Der Artikel wurde in der Reportageschule „Zeitenspiegel“ (Reutlingen) recherchiert und geschrieben.

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