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Das Chemische Veterinäruntersuchungsamt in Münster untersucht Eier auf Rückstände.

© Guido Kirchner/dpa

Update

Verunreinigte Eier: Belgische Behörden wussten von Belastung

Man habe die Information bewusst nicht öffentlich gemacht. Doch wie gefährlich sind die Eier tatsächlich? Eine Einordnung

Die belgischen Behörden waren bereits seit Anfang Juni über einen Fipronil-Verdachtsfall bei Eiern informiert. „Ein belgisches Unternehmen hat uns gemeldet, dass es ein Problem mit Fipronil geben könnte“, sagte Katrien Stragier, Sprecherin, der belgischen Lebensmittelsicherheitsbehörde FASNK. Dennoch habe die Behörde entschieden, den Verdacht nicht öffentlich zu machen. „Das war, damit die Staatsanwaltschaft ihre Arbeit machen konnte", sagte Stagier. Die Staatsanwaltschaft ermittle wegen Betrugs.

Bundesagrarminister Christian Schmidt hat sich über die belgischen Behörden wegen des Eierskandals enttäuscht gezeigt. Schmidt hätte erwartet, zeitnah und umfassend informiert zu werden, erklärte ein Sprecher des CSU-Politikers am Samstag in Berlin. Am Montag wolle er mit seinem Amtskollegen in Brüssel telefonieren.

Der Skandal um Eier, die mit dem Insektenmittel Fipronil verseucht sind, zieht derweil immer weitere Kreise. Der Lebensmitteldiscounter Aldi kündigte am Freitag an, sämtliche Eier aus dem Verkauf zu nehmen. Rewe und Penny entfernten alle Eier aus den Niederlanden, Lidl die verdächtigen Chargen.

Der Deutsche Bauernverband kritisierte, Aldis Reaktion sei „zum jetzigen Zeitpunkt eine überzogene Reaktion“. Damit dürfte der Verband richtigliegen, auch wenn er naturgemäß vor allem die Interessen der Eier-Industrie vertritt.

Selbstverständlich ist klar, dass Fipronil in Eiern nichts zu suchen hat. Es hat in höheren Dosen bei Säugetieren Leber- und Nervenschäden hervorgerufen und ist für Betriebe, die Lebensmittel herstellen, verboten. Jeder Nachweis von Fipronil in Eiern oder Hühnerfleisch macht diese „nicht verkehrsfähig“, sie dürfen also nicht in den Handel kommen.

Kontaminierte Eier müssen vernichtet, die Verantwortlichen für die Verunreinigung zur Rechenschaft gezogen werden. Dennoch, zur Panik gibt es keinen Anlass. „Alle Dinge sind Gift“, erkannte schon der Arzt Paracelsus vor 500 Jahren. Allein die Dosis entscheidet über die Giftigkeit eines Stoffes, befand er.

Das bedeutet: Ein Gift in geringer Menge verliert seine Giftigkeit, weil der Körper es unschädlich machen, es mit Hilfe der Leber und der Nieren „entgiften“ kann. Andererseits können scheinbar harmlose oder gut verträgliche Stoffe gefährlich werden, wenn sie im Übermaß konsumiert werden. Ein bekanntes Beispiel ist Alkohol. Doch selbst Kochsalz oder Wasser sind in hoher „Dosis“ tödlich, können also giftig werden.

Das Gesundheitsrisiko von Pestiziden wie Fipronil wird in Tierversuchen ermittelt. Dabei wird die niedrigste Dosis festgestellt, bei der keine Schäden hervorgerufen werden. Er hat die technische Bezeichnung NOAEL (Abkürzung für „No Observed Adverse Effect Level“). Vom NOAEL wird der gesundheitliche Richtwert für den Menschen abgeleitet, ARfD genannt (für „Akute Referenzdosis“). Er ist um den Faktor 100 niedriger als der NOAEL angesetzt, um einen angemessenen Sicherheitsabstand herzustellen.

Die ARfD bezeichnet jene Substanzmenge, die innerhalb eines Tages ohne erkennbares Risiko für den Verbraucher aufgenommen werden kann. Wird die ARfD überschritten, bedeutet das nicht zwangsläufig, dass Gesundheitsschäden auftreten, sondern nur, dass solche möglich sind. Unterhalb der Schwelle ist eine Gesundheitsgefahr unwahrscheinlich.

Für die Fipronil-Belastung hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin eine Modellrechnung aufgemacht. Zugrunde gelegt wurde der bislang höchste gemessene Wert. Er wurde in Belgien ermittelt und beträgt 1,2 Milligramm Fipronil pro Kilogramm Ei. Ein 65 Kilogramm schwerer Erwachsener kann sieben dieser Eier essen, ohne dass der gesundheitliche Richtwert ARfD überschritten wird, ein 16,5 Kilogramm schweres Kind immerhin noch 1,7 Eier und ein zehn Kilogramm schweres Kind (entspricht einem Einjährigen) ein Ei.

Die Natur produziert die gefährlichsten Gifte selbst

Generell gibt es nach Angaben des BfR keine Befunde, die auf einen gesundheitsschädlichen Fipronil-Gehalt hindeuten. Die Messwerte würden um den Faktor zehn unterhalb der kritischen Gefährdungsmarke liegen.

Scharfe Kontrollen von Pestizid-Belastungen sind richtig und, wie man sieht, bitter nötig. Das sollte den Verbraucher allerdings nicht zu dem Fehlschluss verleiten, dass anderswo keine Gefahren lauern. Tatsache ist, dass die Natur die gefährlichsten Gifte hervorbringt. Der amerikanische Biochemiker Bruce Ames hat darauf aufmerksam gemacht, dass schätzungsweise 99,99 Prozent der mit der Nahrung aufgenommenen Pestizide von den Pflanzen selbst stammen. Sie werden von ihnen gebildet, um Schädlinge abzuwehren. Ein anderes Beispiel sind Lebensmittelvergiftungen durch Krankheitserreger wie Salmonellen oder Colibakterien.

Wir leben in einer Welt von Giften, doch hat die Evolution uns mit mächtigen Abwehrwaffen wie dem Immunsystem oder der Entgiftungszentrale Leber ausgestattet. Und eine bessere Lebensmittelüberwachung und -hygiene hat das ihre dazu beigetragen, dass unsere Lebenserwartung steigt und steigt. Trotz der Gifte. mit dpa und Reuters

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