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Gartenhäuschen. Eine luxuriöse Variante mit Mini-Veranda.

© Lenny Levine

She Sheds: Holzschuppen für die Frau

Endlich in Ruhe Topflappen häkeln! Nein, natürlich nicht. Es geht um viel mehr.

Hören Sie es schon hämmern? Vielleicht ist das Ihre Nachbarin, die gerade einen She Shed aufbaut. Zumindest eine deutsche Baumarktkette ist sich sicher, dass mit der Frühlingsbrise auch der Trend zum Damenschuppen zu uns herüberweht. In den USA haben sich in den vergangenen Jahren viele Frauen ein Holzhäuschen im Garten aufgestellt und nach ihren Bedürfnissen gestaltet. Auf Instagram und Pinterest füllen die Fotos all der Ateliers, Home Offices und Nähstübchen, die sich die Frauen in den Schuppen eingerichtet haben, Seiten.

Den großen US-Baumärkten hat die She-Shed-Nachfrage ein zweistelliges Umsatzplus in der Sparte der Gartenhäuser eingebracht. Kein Wunder also, dass da die Strategen von „Es gibt immer was zu tun“-Hornbach ganz schnell aktiv geworden sind und She Sheds für den deutschen Markt in Auftrag gegeben haben. Zum Beginn der Gartensaison 2017 kann man schon zwischen 17 verschiedenen Modellen wählen: Da gibt es zum Beispiel die Version „River House“ mit Flügeltür und zwei Fenstern oder die Variante „Almelo“ mit Spitzdach, die in natur und schwedenrot zu haben ist.

Beim Marketing für seine She-Shed-Kollektion haut der Baumarkt auf die Pauke: Die Holzschuppen könnten „Ich-Zeit-Häuser, Yoga-Höhlen, Lese-Inseln, Kreativ-Hütten oder auch lichtdurchflutete Nähstuben im Freien“ sein. Yoga, lesen, nähen – was Frauen halt so machen, Hauptsache, die Schuppenbesitzerin „tobt sich in ihrer Ecke des Gartens kompromisslos aus“.

Endlich in Ruhe Topflappen häkeln, nein Danke

Getobt hat angesichts solch berückender Prosa erst mal der Shitstorm. Die She-Shed-Werbekampagne wurde für die Verleihung des „Goldenen Zaunpfahls 2018“ vorgeschlagen. Der Preis wird seit diesem Jahr für Produkte und Kampagnen verliehen, die Rollenbilder besonders plump und unreflektiert reproduzieren. Und ein paar Wochen später lästerte Nina Pauer in der „Zeit“, der Schuppen wecke Assoziationen der restlos unterforderten Hausfrau, die dringend etwas gestalten möchte.

Nur: Warum eigentlich? Man muss sich die She Sheds nicht zwingend als pink tapezierte Wellnessoasen vorstellen, in der erschöpfte Hausfrauen Achtsamkeitsmalbücher kolorieren. Stattdessen lassen sich die Schuppen genauso gut als Orte begreifen, wo Frauen konzentriert arbeiten und ihre Projekte ungestört entwickeln und vorantreiben können.

Die Rolle, die ein eigener Raum für den Denk- und Schaffensprozess spielt, hat Virginia Woolf schon 1929 beschrieben. In „Ein Zimmer für sich allein“ analysiert sie, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit Kunstwerke entstehen können, und warum bis zu ihren Lebzeiten beispielsweise bedeutend weniger Lyrik von Frauen als von Männern verfasst wurde. Sie kommt zu dem Schluss, dass es Frauen neben Geld vor allem an Raum mangelte, um schöpferisch tätig zu sein: „Wenn eine Frau schrieb, dann musste sie im gemeinsamen Wohnraum schreiben.“ Dort aber „haben Frauen niemals eine halbe Stunde (…), die ihnen ganz alleine gehört“, vielmehr seien sie „allen Arten zufälliger Unterbrechung ausgesetzt“. Für Woolf ist offensichtlich, dass nur „ein Schloss in der Tür die Möglichkeit bedeutet, selbstständig nachzudenken“. Ein Zimmer für sich allein zu haben, sei genauso entscheidend dafür, wie über sein eigenes Geld zu verfügen.

Nur 15 Prozent der Frauen arbeiten nach der Elternzeit Vollzeit

Fast 100 Jahre später haben die von Woolf beschriebenen Verhältnisse mehr mit der deutschen Gegenwart zu tun, als man glauben könnte. Sobald Paare hierzulande Kinder bekommen, entwickelt sich die Rollenverteilung in der Mehrheit der Familien schnell wieder ganz traditionell. Eine Studie des Allensbacher Instituts für Demoskopie aus dem Jahr 2015 zeigt: Vor der Geburt des ersten Kindes waren 71 Prozent der befragten Eltern mit Kindern unter sechs Jahren gleichzeitig in Vollzeit erwerbstätig, nach der Elternzeit für das erste Kind waren es aber nur noch 15 Prozent. In 72 Prozent der Familien ist die Frau anschließend in Teilzeit oder geringfügig beschäftigt, während der Mann voll arbeitet oder gleich alleinverdienend ist.

Den Großteil der unbezahlten Haus- und Fürsorgearbeit in den Familien leisten weiterhin Mütter: Sie kleben Pflaster auf verschrammte Knie, helfen bei den Hausaufgaben, räumen Spülmaschinen ein und Kinderzimmer auf. Dafür wenden sie nach einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaft täglich doppelt so viel Zeit auf wie Männer. In der Konsequenz verbringen Frauen, die Kinder haben, im Durchschnitt deutlich mehr Zeit zu Hause als Männer.

In einer Großstadt wie Berlin verfügen Mütter in der Regel aber nicht über ihr eigenes Zimmer. Mit der Ankunft eines Kindes in eine größere Wohnung umzuziehen, ist für viele angesichts der Mietsteigerungen der letzten Jahre gar nicht mehr drin. Und so wird kurz vor der Geburt eben das Arbeitszimmer in ein Kinderzimmer umgewandelt. Der Schreibtisch wandert dann ins Wohn- oder Schlafzimmer, und die Mutter hat künftig die Wahl, ob sie ihre Gedanken lieber zwischen Bett und Wäscheständer oder mitten im Wohnzimmer sammeln möchte, während die Kinder auf dem Bobbycar vorbeirasen oder die Schränke ausräumen.

Warum manche Frauen an ihrer Mutterrolle leiden

Eigenes Reich. Gartenlaube der britischen Bloggerin Alice Gollyer.
Eigenes Reich. Gartenlaube der britischen Bloggerin Alice Gollyer.

© @aliceinscandiland

Nichts sabotiert die Konzentrationsfähigkeit so zuverlässig wie permanente Unterbrechungen oder das Gefühl, dass jede Sekunde jemand hereinstürmen könnte: Wo sind meine Fußballschuhe? Haben wir noch Brot? Sich abgrenzen und auf eine Sache fokussieren zu können, wird deswegen vor allem für Mütter zu einem existenziellen Bedürfnis. Sie haben im Wort- wie im übertragenen Sinne kaum Raum dafür. Sogar durch die geschlossene Badezimmertür dringt der universelle Notruf: „Maaaammmaaaaa!“ Der sprichwörtliche geniale Einfall unter der Dusche stellt sich so auch nicht unbedingt ein.

Um etwas hervorbringen zu können, muss man sich komplett versenken können. Erst dann entsteht ein mentaler Raum, in dem man kreativ sein, Ideen entwickeln und zu Ergebnissen kommen kann.

Volle Konzentration, ganz in einer Tätigkeit aufgehen, die Welt um sich herum vergessen: Für den ungarisch-amerikanischen Psychologen und Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi ist diese Form von Vertiefung gleichbedeutend mit Glück: „Gegen unsere Überzeugungen sind die besten Momente des Lebens nicht passiv, rezeptiv, entspannend. (…)Die besten Momente ereignen sich gewöhnlich, wenn Körper und Seele eines Menschen bis an die Grenzen angespannt sind“, schreibt er in seinem Buch „Flow – Das Geheimnis des Glücks“. In einer Reihe von empirischen Untersuchungen und Befragungen hatte er nachgewiesen, dass die meisten Glücksmomente im Verlauf eines Tages bei der Arbeit erlebt werden.

Der Mann bastelt im Schuppen – und die Frau?

Wer diesen Zustand der Vertiefung und die damit einhergehenden Glücksempfindungen kaum erreichen kann, läuft eher Gefahr, irgendwann zu bereuen, überhaupt Mutter geworden zu sein. In einer Studie mit dem Titel „Regretting Motherhood“, die die Soziologin Orna Donath 2015 veröffentlicht hat, beklagten Mütter den Verlust von Selbstbestimmung und Freiheit. Manche von ihnen gaben zu, dass sich diese Gefühle von Zeit zu Zeit so steigern, dass sie davon träumen, einfach zu verschwinden. Um #RegrettingMotherhood entstand eine öffentliche Debatte. Mütter, die sich dazu bekennen, an ihrer Mutterrolle zu leiden, die sich lieber daraus lösen würden, brechen ein Tabu.

Ohne Grünfläche hinter dem Eigenheim wird’s schwer.
Ohne Grünfläche hinter dem Eigenheim wird’s schwer.

© @aliceinscandiland

Dabei gibt es den Traum vom Ausbruch aus der Enge der Familie durchaus in der gesellschaftlich anerkannten Variante: für die Väter. Dass der Mann dann und wann mal Zigaretten holen geht, oder in Werkzeugkeller und Garage steigen muss, um Frau und Kindern zu entrinnen, weiß man nicht erst seit „Ich war noch niemals in New York“. Dass Männer ihre Refugien brauchen, ist fest im kollektiven Bewusstsein verankert und in der Popkultur tausendfach reproduziert: In der Fernsehserie „Alf“ hängt Willi Tanner in der Garage am Funkgerät, Kevin Spacey verzieht sich in „American Beauty“ zum Sporttreiben dorthin, und der bayerische Ministerpräsident, der 2007 noch einmal Vater wurde, sieht gerne im Hobbykeller zu, wie seine Modelleisenbahn ihre Runden dreht.

„Intellektuelle Freiheit hängt von materiellen Dingen ab“

Die Mehrheit der Frauen verkneift es sich dagegen bis heute, für sich selbst Raum zu beanspruchen. Während er sich verzieht, hat sie noch zu tun: „Ich werd inzwischen nach der Kleinen seh’n“, ruft die Frau in Udo Jürgens’ Song ihrem Mann hinterher. Und von männlicher Seite wird die Sache auch nicht vorangetrieben. Man muss dafür gar nicht erst Nigerias Präsident Muhammadu Buhari zitieren, der Ende vergangenes Jahres auf einer Pressekonferenz in Berlin über seine Frau sagte: „Eigentlich gehört sie ja doch in meine Küche und in mein Wohnzimmer und auch in die anderen Zimmer in meinem Haus.“

Buharis Äußerung macht deutlich, dass es auch einen Zusammenhang zwischen Raum- und Machtverhältnissen gibt. Um eine Position der Stärke aufbauen zu können, braucht es Platz. Der Biopsychologe Peter Walschburger von der FU Berlin beschäftigt sich mit Dominanzhierarchien. Er sagt: „Wer mehr Selbstdarstellung verwirklichen will, muss sich von anderen abgrenzen können.“ Er verweist auf die Arbeitswelt, wo Führungskräfte in der Regel ein eigenes Büro erhalten. Dadurch könnten sie soziale Distanz aufbauen: „Um etwas gegen eine Gruppe durchzusetzen, muss man sich isolieren können.“

Virginia Woolf sieht diese Zusammenhänge klar. Gegen Ende ihrer Abhandlung kommt sie zu dem Schluss: „Intellektuelle Freiheit hängt von materiellen Dingen ab.“ Ob sich diese Freiheit nun in einem Coworking Space, einem Atelier oder in einem Gartenhäuschen mit einem rosa-plüschigen Image entfaltet, spielt keine Rolle.

Raum ist auch in der kleinsten Hütte. Vielleicht wird der nächste Weltkonzern ja nicht in einer Garage, sondern in einem She Shed gegründet.

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