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Fernsehen war immer ihr Traum: Die Schauspielerin Constanze Behrends, hier 2012 beim Fototermin der ARD-Serie "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen".

© imago/ Horst Galuschka

Schauspielerin Constanze Behrends: "Die Drama Queen war ich – volle Möhre!"

Sie mochte die Blusen der Jungpioniere, Rolf Eden hat für sie Türen versetzt. Constanze Behrends über Heulen beim Yoga und speiende Kinder.

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Frau Behrends, seit Sie 18 sind, notieren Sie jeden Morgen drei Seiten Gedanken. Was soll das?

Die Technik habe ich aus dem Buch „Der Weg des Künstlers“ von Julia Cameron. Man darf nicht aufhören zu schreiben, bevor die drei Morgenseiten voll sind. Das trainiert das Gehirn, nimmt die Angst vorm Schreiben. Am besten liest man es erst mal nicht, bewertet nichts. Auf der Schauspielschule in Charlottenburg habe ich damit angefangen, ich schaffe es an fünf von sieben Tagen.

Auch heute früh?

Ja, weil ich bald Geburtstag habe, wollte ich das vergangene Jahr bilanzieren.

Das muss positiv ausgegangen sein. Ihre viel prämierte Theatersitcom „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ wurde fürs Fernsehen verfilmt, im Heimathafen Neukölln spielen Sie in Ihrem Stück „Beziehungskiste“ oft vor ausverkauftem Haus.

Ich habe heute über eine Halskette mit drei Anhängern geschrieben, die ich mir selbst geschenkt habe, die hat sich seit Wochen vergriesgnaddelt.

Ver-was?

Na, total verheddert. Drei Tage habe ich probiert die auseinanderzukriegen, heute habe ich es nach einer Stunde fast geschafft. Wenn ich später mal eine Filmszene schreiben will über eine Frau, die ein Problem zu lösen hat, wäre das ein schönes Bild. Moment – ich bin gar nicht so eine Esoteriktante, wie sich das jetzt anhört.

Sie sind 36, arbeiten mit Ihrem Laptop in Cafés, trotzdem schreiben Sie mit der Hand.

Es hat eine andere Dynamik, einen Gedanken auf Papier zu übertragen. Ich liebe Tinte, schreibe mit Füller. Für ein historisches Stück sogar mal mit Schreibfeder. Da werden die Texte dementsprechend: Wohlan Gevatter, wohin des Wegs?

Wenn Sie in den alten Notizbüchern blättern, was würden Sie der Constanze von damals raten?

Manchmal denke ich: Mädel, mach die Augen auf! Wenn auf jeder Seite steht, welches Problem ich vor mir herschiebe. Vor einigen Tagen fiel mir ein Notizbuch von 2007 vor die Füße. Da stand drin, dass ich mal ein Buch schreiben möchte. „Es müsste etwas wie eine Beziehungskiste werden.“ Bamm! So lautet der Titel meines neuen Stücks. Das hatte ich schon zehn Jahre im Hinterkopf.

Constanze Behrends hat vergangenes Jahr am legendären New Yorker Lee-Strasberg-Institut Method Acting studiert.
Constanze Behrends hat vergangenes Jahr am legendären New Yorker Lee-Strasberg-Institut Method Acting studiert.

© Mike Wolff

Sie sind in Wittenberg aufgewachsen, in Ihrem Musical „Klassenkampf“, das bald im Heimathafen anläuft, befassen Sie sich mit der DDR. Eine Gruppe von Schülern entdeckt den Kommunismus. Kommt da die eigene Sozialisation durch?

Total. Mein Papa hat Marxismus-Leninismus studiert. Als Kind habe ich die ganzen Propagandasprüche gelernt. Für Frieden und Sozialismus, seid bereit! Ich mochte die weiße Bluse und das blaue Halstuch der Jungpioniere. Damals habe ich mir eine Gummihopstechnik ausgedacht, über Kreuz und schwierig, und sie „Ernst Thälmann“ genannt. Das habe ich stolz meiner Mutter erzählt, sie hat nur „Ach“ gesagt. Ich hatte geglaubt, sie würde sich freuen.

Was ist geblieben aus den Jahren im Sozialismus?

Wir sollten immer Leistung bringen, für die Allgemeinheit, für jeden Scheiß gab es eine Auszeichnung. Nur zu erfolgreich durftest du dabei nicht sein, kein Individualist. Damit hättest du dich über die anderen erhoben. Mal auf eine gesunde Art an mich zu denken, fiel mir daher lange schwer.

Bloß nicht ins Fünfsternehotel, drei tun’s auch.

Nicht nur beim Luxus, auch im kreativen Bereich. So viele Jahre habe ich mich als Mama des Prime Time Theaters gefühlt ...

... das Sie selbst gegründet haben, und wo „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ ein Erfolg wurde. Es geht darin um die Dönerbude an der Ecke, Kiezschlampen und den Drachen auf dem Amt.
Ich schrieb anfangs jede Woche ein neues Stück! Das Theater war darauf angewiesen. Das grenzte an Selbstausbeutung. Ich glaubte, ich müsste es tun. Fürs Kollektiv! Meine eigenen Wünsche, etwa einen Roman zu schreiben oder zu studieren, habe ich hintenangestellt.

"Keiner macht Sadomaso-Sex in Jogginghose"

Fernsehen war immer ihr Traum: Die Schauspielerin Constanze Behrends, hier 2012 beim Fototermin der ARD-Serie "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen".
Fernsehen war immer ihr Traum: Die Schauspielerin Constanze Behrends, hier 2012 beim Fototermin der ARD-Serie "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen".

© imago/ Horst Galuschka

Das haben Sie 2010 nachgeholt, Amerikanistik und Italienisch an der Humboldt-Universität studiert, ein Kind bekommen, bei „Switch Reloaded“ mitgespielt, „Kiffer-Barbie“ geschrieben.

Ich liebe Widersprüche. Ein Kind zu haben, das einem vor der Preisverleihung aufs Kleid kotzt – das ist die perfekte Symbiose. Verarzten, ausrubbeln, trocken föhnen. So ist das Leben.

Über Ihr Zeitmanagement zwischen Bühne, Fernsehen und Kinderzimmer haben Sie mal gesagt: „Ich fühle mich wie ein Oktopus.“ Was tun Sie, wenn Ihnen jemand eine Stunde Zeit schenkt?

Typische Prenzl’berg-Mutter-Antwort: Yoga. Habe ich gerade entdeckt. Mein Körper ist dafür gemacht, ich bin mega-dehnbar. Das ist ja nicht bloß Sport – das fände ich Zeitverschwendung. Gleich am Anfang kam die Lehrerin zu mir, drückte meinen Oberkörper nach vorn, „Let it go, it’s all in the past“. Zu meiner Überraschung begann ich zu heulen. Im Körper gespeicherte Emotionen lösten sich in mir. Wie körperliches Schreiben.

Ihre Theatersitcom war ein Gegenentwurf zu den etablierten Bühnen. In einem Dialog greifen Sie die „angestrengten Theaterleiter Ostermeier und Castorf“ an. Was haben Sie gegen deren Theaterkultur?

Im Wedding wie im Heimathafen Neukölln sitzt vor mir ein Publikum aus vielen Schichten, junge Leute aus dem Kiez, Teenies, das klassische ältere Publikum. In der Volksbühne habe ich den Typ von nebenan nie entdeckt. Auch andere Inszenierungen haben mich kaltgelassen. Einmal war ich in „Elektra“ am Deutschen Theater. Da gab es eine Stelle, als Elektra erfährt, dass ihr Vater stirbt. Das war kein Schrei, den die Darstellerin da rausgelassen hat, sondern ein Aaaahhhh.

Sie machen ein Geräusch wie ein rostiges Gartentor.

Ganz monoton, gefühllos, lang. Du kannst Kraftstimmtechnik, habe ich mir gedacht, na herzlichen Glückwunsch. Berührt hat mich das null. Ich will von den Schauspielern was spüren und nicht nur so ein technisches Im-Kopf-Gewichse.

Wo haben Sie mal Emotionen im Theater gespürt?

Bei „Traumboy“ von Daniel Hellmann, eine Performance in den Sophiensälen. Ein junger Österreicher, Opernsänger und schwuler Callboy. Der hat aus seinem Leben erzählt, wie die Typen so sind.Er war unglaublich ehrlich und witzig. Zum Schluss hat er seine Handynummer hingehängt, falls jemand Interesse hätte.

Seit 2004 zeigt das Weddinger Prime Time Theater an der Müllerstraße "Gutes Wedding, schlechtes Wedding".
Seit 2004 zeigt das Weddinger Prime Time Theater an der Müllerstraße "Gutes Wedding, schlechtes Wedding".

© Jürgen Ritter

Sie ziehen sich in „Beziehungskiste“ fast aus, lassen sich in einer Szene in Unterwäsche auspeitschen.

Ich wollte die Verletzlichkeit einer Frau in einem Ehedrama zeigen, das Spiel aus Gewalt und Lust. Die Ambivalenz hätte mit Klamotten nicht funktioniert. Keiner macht Sadomaso-Sex in Jogginghose.

Spricht da Ihre Lebenserfahrung?

Ich bin nur eine gute Beobachterin. Ich fahre oft Ringbahn von Prenzlauer Berg nach Neukölln. Das dauert, man kommt ein bisschen in Trance. Am Sonntag stieg in Neukölln ein Typ in die Bahn, stellte sich in den Gang: „Kann ich mal kurz Ihre Aufmerksamkeit haben?“ Alle dachten, der will schnorren, und drehten sich peinlich berührt weg. Er machte weiter: „Fährt jemand mit einer Umweltkarte? Ich muss bis zur Greifswalder Straße und würde gern mitfahren. Ich kann einen Kaugummi im Gegenzug anbieten.“ Da habe ich richtig gesehen, wie die Frauen in meinem Abteil ihn gescannt haben, welche Kleidung er anhat, dass er kein Bettler ist – und dann haben sich ein paar gemeldet. Ich bis Ostkreuz, ich bis Schönhauser.

Auch Rolf Eden haben Sie gut beobachtet, jedenfalls konnten Sie ihn irgendwie vom Umzug Ihres Theaters in größere Räume überzeugen.

Er war unser Vermieter. Als er zum Besichtigungstermin kam, hat er mich mit Blicken abgecheckt. Er ist nun mal ein alter Playboy. Du könntest so was von mein Uropa sein, dachte ich. Meine Mutter leitet eine Baufirma, ich kenne mich aus mit Trockenbau, also habe ich erst einmal gegen die Wände geklopft wie jetzt bei Ihnen im Büro. Oh! Das ist einfach beplankt, hat keine 60er-Dämmung dahinter. Ihr müsst da dringend was machen, man hört ja nebenan jedes Wort!

Damit haben Sie Eden eingewickelt?

Das ist die typische Kompetenzvermutung. Jemand versucht dich zu reduzieren, in meinem Fall auf groß, blond, lange Beine, dann stellt man dem einfach präzise Fragen: Können wir die Wände hier noch ein bisschen stärker kriegen? Wir durften schließlich in seine Büroräume ein Theater einbauen, und er hat die Türen für die Bühne höher gesetzt und eine Wand rausgenommen.

Kompetenzvermutung, gutes Wort.

Ich bin Schauspielerin, ich kann im Prinzip nüscht. Nur so tun als ob.

Das hat Ihnen im Leben bestimmt oft geholfen.

Beim Fernsehen! Als der RBB „Gutes Wedding schlechtes Wedding“ verfilmen wollte, hatte ich noch nie ein Drehbuch geschrieben. 130 Theatertexte, nix für ungut, das kannst du nicht vergleichen. Das ist wie Seifenkisten und Ferraris. Sind beides Autos. Ich hab ein paar kluge Sachen gesagt, die Chance bekommen und dabei mega-viel gelernt.

"Unsere Sender trauen sich nichts"

Fernsehen war immer ihr Traum: Die Schauspielerin Constanze Behrends, hier 2012 beim Fototermin der ARD-Serie "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen".
Fernsehen war immer ihr Traum: Die Schauspielerin Constanze Behrends, hier 2012 beim Fototermin der ARD-Serie "Heiter bis tödlich - Zwischen den Zeilen".

© imago/ Horst Galuschka

Ihren Theaterstücken merkt man an, dass Sie eigentlich lieber Fernsehen machen würden.

Ich liebe es, Welten zu erschaffen. Wenn ich mir eine Berufsbezeichnung geben würde, wäre das Erfinderin. Im Fernsehen kannst du ein Set mit echten Dingen bauen, das Zwischenmenschliche mit der Kamera besser einfangen. Du kannst normal sprechen wie wir jetzt gerade. Das geht im Theater nicht. Da brüllt man: Ich liebe dich!

Zwei andere Vorteile des Fernsehens: mehr Geld und größere Aufmerksamkeit.

Das mit dem Geld kann ich nicht unterschreiben. Die Summen sind zwar höher, aber man arbeitet Jahre, ohne zu wissen, ob’s am Ende was wird. Theater kann ich jeden Abend spielen.

Lange hat man das Fernsehen für seine Innovationslosigkeit verachtet. Hat sich das verbessert?

Unsere Sender trauen sich nichts. Natürlich gibt es auch in Deutschland kreative Ideen, Feuerflammen – und dann kommt die Bürokratie und erstickt sie wie mit einer Decke. Oder lenkt das Feuer so schön in die Bahnen, dass es nur auf den vorgesehenen zwölf Quadratmetern brennt. Der Jugendsender funk ist da eine Ausnahme! Inzwischen ziehen Dienste wie Netflix auch Talente ab. Kürzlich habe ich von einer Kollegin gehört, die dort eine Serie gepitcht und 33 Millionen Euro Budget bekommen hat.

Sie haben bestimmt eine riesige Glotze daheim!

Gar keine, nur den Laptop. Ich gucke trotzdem extrem viele Serien. „Jane the Virgin“, eine Telenovela, die gleichzeitig das Genre der Telenovela parodiert. Bombe. Da passieren bescheuerte Sachen, diese Jane will keinen Sex vor der Ehe und wird aus Versehen künstlich befruchtet. Mein Freund liebt es, mit mir Filme zu gucken, weil ich meistens schon nach der dritten Szene weiß, wie es ausgeht.

Sie studieren Serien geradezu. Welchen Rat würden Sie Leuten geben, die schreiben wollen?

Bücher lesen! Ich habe ein großartiges entdeckt, schauen Sie in meine Handtasche, ich habe es immer dabei. „Save the Cat“ von Blake Snyder, das hat meine Welt verändert. Ein Buch übers Schreiben, das beste aller Zeiten. Jahrelang habe ich beim Schreiben mit einer Taschenlampe im dunklen Raum herumgeleuchtet. Jetzt weiß ich endlich, wo der Lichtschalter ist.

Der beste Tipp darin?

Die Struktur eines Films beachten. In dem Buch steht eine Liste, danach kann man jeden guten Film anschauen, der Break, der Katalysator, die Debatte, zweiter Akt, dann der „All is lost“-Moment kurz vor dem Schluss, wenn der Held fast scheitert. Bis die Lösung aus der B-Story kommt. Das ist meist eine Art von Liebesgeschichte, die die Lösung für die Hauptgeschichte liefert.

Sie haben vergangenes Jahr Kurse am legendären New Yorker Lee-Strasberg-Institut besucht.

Da habe ich Method Acting studiert, Tricks, mit denen du Realitäten in einer artifiziellen Umgebung erschaffst. Diese viel parodierte Übung mit der Lieblingstasse: Stell sie dir vor, wie schmeckt sie, wie fühlt sie sich an? Wenn du in einer Szene bist, wo du als Opfer gerade überfallen wurdest und jemand gibt dir eine Tasse Kaffee, dann hast du diese Filmset-Tasse, die dir nix bedeutet. Wenn du dir dann deine eigene, die dir beispielsweise deine Mutter geschenkt hat, vorstellst, wirst du sie ganz anders berühren, ganz anders ansehen.

Was haben Sie dort über sich gelernt?

Wir hatten einen Kurs mit einem Regisseur, der auch Castingdirektor war. Der hat uns nach Typen besetzt, beim Film funktioniert alles darüber: Du wirst selten jemanden spielen, der nicht deinem Alter, deiner ethnischen Herkunft oder deinem innerlichen Typ entspricht.

Und Sie wurden?

Ich war die Drama Queen – volle Möhre! Ich hatte eine krasse Szene aus einem Film, wo ich eine promiske drogenabhängige Mutter spielte. Es war der Hammer, mal ganz ernst zu spielen. Ich hab mich geöffnet und vor der Kamera geweint. Ich sagte dem Regisseur: Ich mache eigentlich seit 15 Jahren Comedy. Er nur: „Yeah, but you have it in you.“

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