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Abhängen. Nach vier Tagen ohne Yoga weiß unsere Autorin nicht, wo ihr der Kopf steht.

© imago/Westend61

Patricia Thielemann macht sich locker: Wer ist die Frau mit den dicken Augen?

Ohne Yoga verwandelt sich unsere Autorin in einen Schmerz- und Krampfkörper.

Ostern gab es in unserer kleinen Patchworkfamilie mit vier Kindern das Rundum-Entertainmentprogramm – vom Eiermalen bis zum Lammbraten. Eigentlich herrlich, doch Gründonnerstag ahnte ich schon, dass ich die nächsten Tage keine Zeit für Yoga haben würde. Es wäre auch ein bisschen dekadent gewesen, mich da einfach zwei Stunden rauszuziehen. Ich war mir sicher, damit würde ich schon klarkommen, und dachte: Das habe ich nach meiner langjährigen Praxis alles in mir. Vielleicht muss ich gar nicht mehr üben. Jetzt ist auch mal gut.

Und was geschah? Von Tag zu Tag wuchs meine Verkrampfung. Am Ostermontag haute mir dann ein Fahrradfahrer aufs Autodach. Das reichte schon, um die alte Patricia mit einem „Fuck you!“ wieder auferstehen zu lassen. Vier Tage ohne Yoga genügen, damit ich gesellschaftlich auffällig werde. Ich biss ins Lenkrad. Ausgerechnet Aggressionen im Stadtverkehr – sowieso ein Symptom für die Grundanspannung, die in Berlin so herrscht. Der arme Fahrradfahrer!

Ohne Yoga verwandele ich mich in einen Schmerz- und Krampfkörper. Diese Alltagszipperlein und seltsamen Befindlichkeiten kennt doch jeder. Man steht morgens mit Kopfweh vor dem Spiegel und fragt sich, öh, wer ist die Frau mit den dicken Augen? Ich habe doch gar keine Flasche Wein geleert! Erst mal drei Aspirin gegen den Scheinkater einwerfen.

Wie wäre alles nur, wenn ich Yoga nicht hätte?

Diese Rammdösigkeit bewirkt, dass ich zweimal die Treppe wieder hochmuss, weil ich den Zettel, auf den es ankommt, vergessen habe. Als Krönung geht in diesem Grunderschöpfungszustand oft etwas kaputt: Die Waschmaschine pumpt nicht mehr ab.

Nach Ostern konnte ich mein normales, bürgerliches Leben auf einmal wieder neu wertschätzen. Ich begriff, dass vieles gut läuft, weil ich Yoga mache. Wie wäre alles nur, wenn ich es nicht hätte? Die kleinen Alltagsnervereien, die ja nie aufhören, würden mich zur Weißglut treiben. Ohne die regelmäßige Praxis hätte ich ein viel größeres Bedürfnis, mich Extremen hinzugeben. Jüngere Lover, in einer halben Stunde die Wäscheabteilung des KaDeWe leerkaufen. Ständig Ketten sprengen und mit dem Kopf durch die Wand.

Neulich erzählte ich einem Bankberater von meinem Beruf. In seinem Gesicht las ich seine Gedanken: Mensch, freie Liebe, Goa, Aussteiger! Er sah wahrscheinlich die Bikini-Elli vor sich, die auf dem Surfbrett in den Krieger II geht.

Am Ende geht es um die Wertschätzung des Alltäglichen

Es ist natürlich komplett andersrum. Mit Yoga steige ich nicht aus, sondern checke ein. Es gibt mir innerlich ein Stück Frieden, sodass ich nicht mehr jede Kapriole im Außen ausagieren muss. Das Älterwerden und die Vergänglichkeit sind mit Yoga leichter zu erdulden, es verleiht dieser Normalität einen tieferen Sinn.

Yoga fängt mich gerade in den Momenten, wenn ich am Ende meines Jägerlateins bin.

Das geht nicht nur mir so. Die meisten besuchen ihre erste Klasse, wenn sie sich irgendwie festgefahren haben, Kraft brauchen, eine lebensverändernde Entscheidung zu treffen haben oder eine Person ziehen lassen möchten.

Auch, wenn Yoga das alles natürlich nicht zu lösen vermag, kann man sich danach selber wieder besser halten. Am Ende geht es um die Wertschätzung des Alltäglichen – und nicht darum, zu glauben, das Leben beginne, wenn man erst die Eigentumswohnung gekauft hat. Denn was, wenn man sie niemals kriegt?

Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de und vertritt Katja Demirci.

Patricia Thielemann

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