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Eine Frau verbraucht im Leben durchschnittlich 16 800 Tampons.

© Federico Gambarini dpa/lnw

Maris Hubschmid traut sich was: Eine Busfahrt mit 32 Tampons

Vibratoren gibt's sogar an öffentlichen Automaten, aber so ein Wattepfropfen sorgt immer noch für pikierte Reaktionen. Oder? Der ultimative Bustest.

Von Maris Hubschmid

Ausstaffiert mit einer Packung Super-Plus-Tampons steige ich in den Bus. Niemand könnte überraschter sein als ich, dass ich so einen Text beginne. Als meine Großmutter noch Damenbinden brauchte, bekam man die Produkte der Marke Camelia in ein mit Sternchen bedrucktes Papier gewickelt, das den Inhalt verbarg. Hach, du liebe Emanzipation, dachte ich, als ich das hörte, welche Errungenschaft ist, dass man sich heute an öffentlichen Automaten Taschenvibratoren ziehen kann.

Dann erfuhr ich von einer Freundin, dass es ihr unangenehm ist, Tampons zu kaufen. Einer Studie zufolge geht es 22 Prozent aller Frauen so. Eine Frau verbraucht im Leben durchschnittlich 16 800 Stück. Dennoch finden sich im Internet Diskussionen wie diese: „Lenaundsoo“ schreibt, es sei ihr „voll peinlich, die zu kaufen, vor allem, wenn ein Mann an der Kasse ist. Ich denke immer, die lachen innerlich.“ Besorgniserregender als die Offenbarung der mutmaßlich Minderjährigen sind die Antworten. „Birdy“ empfiehlt, „eine Tüte Gummibären verdeckt eine kleine Packung! Leg sie so auf das Band, dass man sie nicht sieht!“ – „Skywatcher“ beginnt mit den Sicherheitsvorkehrungen früher: „Warte, bis alle, die du kennst, aus dem Laden heraus sind. Stell dich an ein Regal neben das mit den Tampons. Falls jemand kommt, kannst du so tun, als ob du dort etwas suchst.“

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass jemand, der älter als 14 ist, im dritten Jahrtausend nach Mariä jungfräulicher Empfängnis pikiert auf Tampons reagiert.

Von der Rückbank aus rollen sie am besten

Da sitze ich also, neben drei sich breitbeinig fläzenden jungen Männern mit Kapuzenpullis. Ausgerechnet. Von der Rückbank aus rollen sie am besten, hatte ich überlegt. Der Bus ist gut besetzt, die Fahrgäste scheinen einen ziemlich perfekten Querschnitt unserer Gesellschaft abzugeben. Dennoch lasse ich Station um Station passieren, fahre schließlich an meiner Haltestelle vorbei. Die Kerle sitzen immer noch.

Endlich öffne ich meine Handtasche und gebe mir im wahrsten Sinne des Wortes einen Ruck. 32 extragroße Tampons verteilen sich vor mir. Die Jungs grinsen breit. Die Erwartbarkeit ihrer Reaktion ärgert mich. Ohne sich zu rühren, sehen sie mir geradezu genüsslich dabei zu, wie ich zwischen ihren Nike-Schuhen die Dinger zusammenklaube. Ein schwarzhaariges Mädchen mit Geigenkasten starrt konzentriert an mir vorbei. Es ist nicht leicht, Gesichter zu studieren, während man in einem fahrenden Bus Tampons aufliest. Der Inder im Gang guckt hin, guckt weg, keine Regung in seinem Gesicht erkennbar.

„Wussten Sie, dass O. B. für ‚ohne Binde‘ steht?“

Auf einmal sind da sehr gepflegte, goldberingte Hände. Eine Frau um die 50 hilft mir beim Einsammeln und lächelt. Sie trägt einen Rock, und ich ahne, dass es anstrengend ist, so darin zu hocken, dass er nicht hochrutscht. Als der Bus abbiegt, verlieren wir die Balance. Ein kleiner, weißhaariger Herr streckt seinen Arm aus, um uns Halt zu geben. Dann hebt auch er einen folienverpackten Wattepfropfen auf, betrachtet ihn interessiert. „Wussten Sie, dass O. B. für ‚ohne Binde‘ steht?“, fragt er. „In Wuppertal werden jährlich zwei Milliarden produziert“, sprudelt es aus mir hervor. Jetzt scheint er doch erstaunt, weiß ja nicht, dass ich vorbereitet bin. Eine Frau mit Kinderwagen presst sich an die Seite, damit ich zwei Tampons aufpflücken kann.

Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie auch ein dicklicher Mann mit Metallica-T-Shirt sich bückt. Schon will ich ihm danken, da lässt er die Tampons in seine Tasche gleiten. Ich gucke ihn an, er sieht weg. Ich frage nicht nach.

Dieser Text erschien zuerst am 14. Mai 2017 im Rahmen der Kolumne „Maris Hubschmid traut sich was“ in der gedruckten Sonntagsbeilage.

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