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Ähre des Argwohns. Viele Menschen misstrauen mittlerweile dem Weizenkorn, weil es Gluten enthält.

© Armin Weigel/dpa

Getreideeiweiß: Gluten ist harmlos fürs Herz

Ist es gut fürs Herz, wenn man auf Gluten verzichtet? Studien zeigen nun, dass eher das Gegenteil der Fall ist. Außer, man leidet an Zöliakie.

Gluten ist ein Proteingemisch, das in Getreidekörnern von Weizen, Roggen und Gerste „Baumaterial“ der späteren Pflanze speichert. Es klebt den Teig zusammen und macht ihn zugleich elastisch, was Gluten zu einer idealen Backzutat macht. Bekannt geworden ist das „Klebereiweiß“ aus einem anderen Grund: Es löst bei Überempfindlichen eine Darmentzündung aus, Zöliakie genannt. In diesem Fall muss man sich glutenfrei ernähren. Betroffen ist jedoch nur etwa ein Prozent der Bevölkerung.

Hat das Vermeiden des Getreideproteins darüber hinaus einen Nutzen? Viele erhoffen sich das und greifen zum wachsenden Angebot glutenfreier Lebensmittel in den Supermärkten. In den USA (Anteil der Bevölkerung mit Zöliakie: 0,7 Prozent) soll nach einer Umfrage fast jeder dritte Erwachsene versuchen, glutenhaltige Produkte zu meiden. Es wird gemutmaßt, dass Gluten dick macht, die Nerven zerrüttet, den Stoffwechsel in Gefahr bringt und das Risiko für Herz- und Gefäßleiden erhöht.

Mit Belegen für diese Behauptungen sieht es eher dünn aus. Lediglich bei Zöliakie-Patienten hat man Hinweise darauf, dass das Eiweiß das Risiko für einen Herzinfarkt erhöht. Aber das lässt sich nicht so einfach auf die gesunde Bevölkerung übertragen, im Gegenteil. Es gibt Indizien, dass bei Gesunden Glutenvermeidung eher schadet als nützt. Darauf deutet eine kürzlich im Fachblatt „British Medical Journal“ veröffentlichte Untersuchung amerikanischer Forscher hin, in der es um den Einfluss von Gluten auf das Risiko einer koronaren Herzkrankheit ging, also von verengten Herzkranzgefäßen.

Gluten hatte keinen Einfluss auf Herzleiden

Die Wissenschaftler um Andrew Chan von der Harvard-Universität werteten zwei Langzeitstudien mit rund 110 000 Teilnehmern aus dem Gesundheitswesen aus, deren Speiseplan über 26 Jahre regelmäßig registriert wurde. Aus den Angaben leiteten sie ab, wie viel Gluten am Tag verzehrt wurde. Es stellte sich heraus, dass das Getreideeiweiß das Risiko eines Herzleidens weder wesentlich vergrößerte noch verringerte. Egal, wie viel gegessen wurde.

Schon lange bekannt ist, dass eine faser- und ballaststoffreiche Ernährung gut fürs Herz ist. In einem zweiten Schritt schauten die Wissenschaftler sich daher an, welche Rolle die Vollkornernährung für die Gesundheit spielte. Wer sich reichlich mit „ganzen Körnern“ ernährte und entsprechend mehr Gluten aufnahm, dessen Risiko für ein Herzleiden sank um 15 Prozent, verglichen mit dem von Vollkornmuffeln. Aus Sicht der Forscher ein klares Argument gegen eine glutenfreie Diät – falls das Ziel sein sollte, die Gefahr einer Herzkrankheit zu verringern.

Bereits im März hatte die gleiche Forschergruppe eine ähnliche Auswertung zum Typ-2-Diabetes („Alterszucker“) veröffentlicht. Danach hatte, wer viel Gluten aß, ein geringeres Diabetesrisiko. Das liegt vermutlich ebenfalls an den gesunden Getreidefasern. Also, lassen Sie sich Ihr Frühstücksbrötchen schmecken – mit oder ohne Vollkorn!

Unser Kolumnist leitet das Wissenschaftsressort des Tagesspiegels und schreibt an dieser Stelle alle vier Wochen. Haben Sie eine Frage zu seiner guten Nachricht? Bitte an: sonntag@tagesspiegel.de

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