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Kleines Lehrstück der Evolution. An Schlammspringern zeigt sich, wie sich ein Fischkörper verändert, um an Land gehen zu können.

© imago/imagebroker

Berliner Schnauzen: Diese Fische klettern auf Bäume

Sie sind wasserscheu und nutzen ihre Flossen lieber wie Arme. Aber nicht nur deshalb sind die streitlustigen Schlammspringer für Biologen so interessant.

Von Barbara Nolte

Sie sind Zwischenwesen: Wasser- und Landtier zugleich. Ein Stadium, das unsere Vorfahren vor 364 Millionen Jahren durchliefen, als sie das Wasser verließen, um das Land zu besiedeln.

Doch in dem kleinen, kopflastigen Geschöpf, das im Berliner Aquarium jetzt begeistert an der Glasscheibe hin und her hüpft, weil es den gepiercten Mann dahinter als seinen Pfleger erkannt hat, sehen wir nicht uns selbst in der evolutionären Rückschau. Unser letzter gemeinsamer Urahn lebte vor 400 Millionen Jahren. Der Schlammspringer, Periophthalmus, liegt auf einem Seitenast der Evolution.

Bei den Tieren lassen sich evolutionäre Prozesse künstlich beschleunigen

Die Tiere gehören zur Gattung der Fische, werden jedoch in der Literatur als „fast wasserscheu“ beschrieben. Ihre Brustflossen nutzen sie lieber wie Arme, klettern mit ihnen bei steigendem Wasserpegel gar Bäume hinauf. Ihre Rückenflossen können sie auffalten wie Fächer, wenn sie Weibchen beeindrucken oder Konkurrenten einschüchtern wollen. Dann sehen sie aus wie kleine Drachen. Auf dem höchsten Punkt ihres Kopfes wölben sich Glubschaugen, mit denen sie über die Wasseroberfläche hinwegsehen können. Die Augen lassen sich unabhängig voneinander bewegen und um 360 Grad drehen.

Nicht nur deshalb ist die Gattung für Biologen besonders interessant. Ulrich Kutschera, Professor in Stanford und Kassel, spricht von einer Übergangsform. An ihr zeigt sich modellhaft, wie sich ein Fischkörper verändert, um an Land auf Nahrungssuche gehen zu können. Bei Schlammspringern lassen sich evolutionäre Prozesse sogar künstlich beschleunigen. Forscher versetzten ihr Futter mit Schilddrüsenhormonen, woraufhin, wie sie berichteten, binnen Monaten ihre Kiemen kleiner und aus ihren Brustflossen „beinchenartige Extremitäten“ geworden seien.

Der Berliner Zoo hält nur Zwergschlammspringer

Im Aquarium steigt der Tierpfleger auf eine Leiter, um über die Glaswand zu greifen und einige Teelöffel einer braunen Paste im Terrarium zu verteilen: Antennenkrebse. Der Schlammspringer hat sich sicherheitshalber unter einem Stein versteckt. Nur sein Schwanz guckt heraus. In den Mangrovenwäldern und dem Brackwasser an Afrikas, Asiens und Australiens Küsten kämen die Feinde von oben, sagt Marco Hasselmann, Reviertierpfleger für Süßwasserfische. Ein weiterer Schlammspringer robbt sich an den Futterklecks heran, reißt drohend das Maul auf und entfaltet seine Rückenflosse.

Die Tiere seien relativ streitsüchtig, erklärt Hasselmann. Deshalb hält der Berliner Zoo auch nur Zwergschlammspringer, 20 Stück, fünf Zentimeter klein. Andere Arten werden so groß wie Meerschweinchen, aber bei denen dulden sich keine zwei Männchen auf so engem Raum. Der Zoo kauft die Tiere als Halbwüchsige bei einem Großhändler, der von indischen Zierfischfängern beliefert wird. Eine eigene Zucht wäre zu kompliziert, sagt Hasselmann. Damit die Larven überleben, müssen im Aquarium die natürlichen Umweltbedingungen perfekt imitiert werden. Dass die Fortpflanzung ausfällt, hält die Schlammspringer-Männchen nicht davon ab, in der Balzzeit, jetzt im Juni, ihre bis zu zehn Zentimeter hohen Luftsprünge aufzuführen, die der Art ihren Namen gaben, und die Schlammspringer-Frauen in tiefe, selbst gegrabene Höhlen zu locken.

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