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Etappenziel Altstadt. Nach der anstrengenden Bergtour gibt es für manche Fahrer statt nasse Schwämme ins Gesicht einen Begrüßungskuss.

© Fabian Federl

Auf zwei Rädern durch Spanien: Fahrradfahren in Girona

Lance Armstrong, Tyler Hamilton und Floyd Landis trainierten hier. Europas Radsportmekka liegt in Katalonien. Eine Tour de Force mit Tapas.

10:00 Uhr

Die Waden tun jetzt schon weh! Dabei ist die Strecke erst zur Hälfte geschafft und sowieso bloß ein kleiner „leg-loosener“, eine Aufwärmfahrt. Die einfachste Route, die das größte Fahrradgeschäft im katalonischen Girona anbietet. Zunächst ging es zehn Kilometer bergauf, 20 Kilometer hügelige Strecke folgten. Am höchsten Punkt, im Dorf Adri, steht man nun und kann hinunter ins Tal sehen – und auf Girona, das von grünen Hügeln umgeben ist. Diese Lage ist der Grund, weshalb sich die Stadt seit einigen Jahren zum Zentrum der europäischen Radsportlerszene entwickelt hat – und langsam auch das der Fahrradtouristen wird. Zum Wadenzwicken kommt jetzt ein kühler Schauer auf dem Rücken: Beim Radeln auf der Ostseite der Hügel blies der warme Wind vom Meer herüber, dafür war es auf der Westseite kälter.

11:00 Uhr

Wieder runter vom Berg, über die katalanischen Dörfer Taialà, Cartella und Canet d’Adri, zurück in die Stadt. Rund 40 Kilometer, 540 Meter Höhenunterschied, teils sehr steil. Die Strecke heißt „Vall de la Llemena“, wie das Tal, durch das sie führt. Sie ist eine von Dutzenden Touren, die Saskia Welch-Van Vuuren und ihr Ehemann Dave Welch im Cycle Center Girona anbieten, aufgezeichnet auf handlichen Karten. Im Laden findet sich vom Flickset bis zum Energieriegel alles Nötige für eine Tour. Wer mit dem Fahrrad anreist, kann es hier reparieren lassen, wer ohne da ist, kann sich eines ausleihen, vom Tourenrad für 20 Euro bis zum Rennrad für 55 Euro am Tag.

14:00 Uhr

Auf der Suche nach den Fahrradfreunden hört man häufig den Namen „La Fábrica“. Christian Meier und seine Frau Amber führen das Café, Meier ist Radprofi aus Vancouver, hat deutsche Vorfahren und zog vor einigen Jahren in den Ort mit knapp 100 000 Einwohnern. 2015 eröffnete das Paar sein Café. Kaffee ist Meiers zweite Leidenschaft neben dem Radfahren. Dieses Jahr kam einige Straßen weiter noch eine eigene Rösterei hinzu. Für 2017 hat Meier seinen Rückzug aus dem Profisport angekündigt. Mehr Zeit für Kaffee. So wie Meier leben einige Sportler in der Stadt, in der Saison von März bis November sogar bis zu 70, sagt Amber Meier. Mehr als irgendwo sonst. Ein Grund dafür: die Geografie. Östlich der Stadt ist es flach bis zum 50 Kilometer entfernten Meer. Südlich gibt es bis zu 500 Meter hohe Hügel und im Nordwesten Berge, die über 1000 Meter aufragen. Alle sind mit einem Tagesausflug zu erreichen. Es regnet fast nie, selbst im Winter wird es nicht kälter als zehn Grad. Da ständig die Sonne scheint, fühlt es sich deutlich wärmer an. Aber, sagt Amber, die Gironistas seien auch toleranter gegenüber Radfahrern. „Wir haben Vorfahrt, wenn es so ausgeschildert ist. Anderswo haben Trucks Vorfahrt. Immer.“ Und tatsächlich, auf den Straßen halten die Autofahrer Sicherheitsabstände ein, es wird weder gedrängelt noch gehupt.

17:00 Uhr

Viele Städte in der Umgebung haben die gleichen kulturellen, klimatischen und geografischen Bedingungen. Perpignan etwa, oder Terrassa. Warum gerade Girona zur Fahrradstadt geworden ist, hat noch einen speziellen Grund: Der frühere Tour-de-France-Gewinner und inzwischen des Dopings überführte Lance Armstrong hat die Stadt für sich entdeckt. Mitten in der Altstadt, an der Grenze zum jüdischen Viertel, in der Carrer de Força, steht Armstrongs ehemaliges Wohnhaus. Ein vierstöckiges Gebäude, das er 2009 gekauft hat. Davor trainierte er in Nizza. Dort wurde es ihm, so die Überlieferung, jedoch zu kalt. Er verlegte sein Wintercamp nach Katalonien. Das Essen schmeckte ihm, und die Bedingungen waren genauso gut wie in Südfrankreich. Ihm folgten Tyler Hamilton, Floyd Landis und andere Radsportler. Innerhalb eines Jahres zogen rund 30 Profis von Nizza, Palma de Mallorca, Lucca und anderen Radsporthochburgen hierher. Im Erdgeschoss von Armstrongs Haus war früher eine Kneipe, in der sich die Sportler trafen. Heute gibt es ein kleines Restaurant, mit Tagesgerichten zwischen 9 und 12 Euro.

20:00 Uhr

Saskia Welch-Van Vuuren, die seit über 20 Jahren in Girona wohnt, weiß bessere Orte für ein Abendessen. In der Hochsaison, um sich zurückzuziehen von den Touristen, geht sie gern in den Norden der Altstadt, in das Bistro „Quatre Forquilles“. Nebenan liegt „De Rosa Rios“, eine Mischung aus Restaurant und Trödelladen, wo statt einer Kerze schon mal ein Leuchtglobus auf dem Tisch steht. Beide Restaurants teilen sich die mittelalterliche Gasse als Terrasse und bieten katalanische Gerichte an. Tapas in jeglicher Form, Bacalao, also Stockfisch, oder Croquetas, Kartoffelkroketten mit verschiedenen Füllungen. Bei „Quatre Forquilles“ gibt es noch iberoamerikanische Speisen wie gegrilltes Rind mit Chimichurri.

22:00 Uhr

Auf dem Weg zurück auf die andere Flussseite überquert man die Pont de las Peixateries Velles. Von der Brücke aus sieht man, wie sich die gelben, roten und ockerfarbenen Fassaden der Häuser am Ufer des Onyar im Wasser spiegeln. Am eindrucksvollsten ist das nachts, wenn die Gebäude beleuchtet sind. Von der Brücke aus nach Norden fotografiert, ist es Gironas typisches Postkartenmotiv.

70 Kilometer von Girona entfernt liegt eines der weltbesten Restaurants

Fahrt mit Aussicht. Über den Onyar hinüber zur Kathedrale.
Fahrt mit Aussicht. Über den Onyar hinüber zur Kathedrale.

© Patrick Escudero/hemis.fr/laif

9:00 Uhr

Christian Meier empfiehlt für Girona und Umgebung seine Lieblingsroute: Vom Zentrum nach Tossa de Mar, von dort nach Platja d’Aro, dann über Madremanya zurück. 90 Kilometer, 754 Meter Höhenunterschied. Sechs Stunden würde diese Route dauern. Eine schnellere Tour führt etwa zur Torre Gironella, knapp unter einer Stunde bei heftiger Steigung. Frühstück gibt es auf dem Weg, Dutzende kleine Bäckereien bieten für die Region typische Sandwiches an, entrepans genannt. Etwa direkt an der mittelalterlichen Steinbrücke Pont de Pedra bei „Can Negre“: Käse, Chorizo, Pernil-Schinken oder Llonganissa-Wurst auf Biobrot, dazu regionales Olivenöl statt Butter. Wer extra früh aufsteht, findet frischeste Produkte Gironas in der Markthalle Mercat de Léo im Süden der Stadt.

10:30 Uhr

Oben, auf dem Weg zur Torre Gironella fährt man durch Siedlungen, in denen Hunde frei herumlaufen, also aufpassen. In voller Geschwindigkeit kann es vorkommen, dass Fahrer Eseln und Hühnern ausweichen müssen. Es lohnt sich trotzdem, vor allem wegen der Geschichte der Torre Gironella. Im Mittelalter lebte in Girona die zweitgrößte jüdische Gemeinde Kataloniens, „Mutterstadt Israel“ wurde sie genannt. 1391 fand, wie in vielen spanischen Städten, ein blutiges Pogrom statt. Einige Juden flüchteten davor auf einen unwirtlichen Berg östlich der Stadt. Sie fanden eine ehemalige römische Trutzburg, die Torre Gironella, wo sie 40 Tage verharrten. Als sie anschließend in ihre Häuser zurückkehren wollten, waren diese abgebrannt, viele Mitbürger getötet. Die Juden der Torre Gironella überlebten so das schlimmste Pogrom der Stadtgeschichte.

13:00 Uhr

Die französischen Nachbarn galten lange als Feinschmecker, Spanien stand hingegen nur für Paella und Patatas Bravas, dick geschnittene Pommes. Das hat sich in den vergangenen Jahren enorm verändert. Katalonien ist führend in der Spitzengastronomie. Ferran Adrià erdachte seine Molekularküche im inzwischen geschlossenen „El Bulli“, 70 Kilometer von Girona entfernt. Eines der weltbesten Restaurants liegt in der Stadt, in der Carrer Can Sunyer. Joan, Jordi und Josep Roca betreiben dort den „Celler de Can Roca“, 2013 und 2015 Platz eins auf der einflussreichen Liste der „World’s Best 50 Restaurants“. Zwölf Monate beträgt die Wartezeit für einen Tisch. 300 Euro pro Person, inklusive Wein, kostet das Essen. Es gibt auch ohne Reservierung die Möglichkeit, das Handwerk der Brüder zu bestaunen. Besser: eines Roca-Bruders. Im Restaurant für Nachtische zuständig, hat Joan vor drei Jahren in der Carrer Santa Clara ein Eisgeschäft aufgemacht, „Rocambolesc“. Nicht selten sprenkelt der Koch selbst die karamellisierten Erdnüsse auf die Eiscreme. Perfekte Zwischenmahlzeit vor der nächsten Tour.

18:30 Uhr

Vor dem Abendessen lohnt es sich, vom Fahrrad abzusteigen, und einen Spaziergang auf dem Passeig de la Muralla zu machen, der Stadtmauer aus dem neunten Jahrhundert. An ihrem Fuße, an der Placa del Vi, direkt vor der Rambla, gibt es das einzige vegane Café der Stadt, unter anderem mit vegetarischer Chorizo. Wem das nicht herzhaft genug ist, kann sich an die über 30 lokalen Craft-Biere auf der Karte halten.

22:00 Uhr

In der Bar „La Pedra“, direkt neben dem Fahrradgeschäft von Christian Meier, treffen sich abends Studenten. Es wird Katalanisch gesprochen, wenig Englisch. Das ändert sich vielleicht bald. Anfang Juni kommt das Sea Otter Festival in die Stadt, ein Fahrradfestival mit über 25 000 Besuchern. Außerdem habe die Stadt von der Regionalregierung fünf Millionen Euro erhalten, um sie in Infrastruktur für Fahrradtourismus zu investieren. „Bis zum Ende des nächsten Jahres hat Girona Nizza überholt“, da ist sich Amber Meier sicher. Auch „La Fábrica“ wird nicht das einzige Radfahrercafé blieben. Profisportler Rory Sutherland macht in diesem Jahr ebenfalls noch eins auf.

Reisetipps für Girona

ANREISE

Von Berlin aus nach Barcelona fliegen, etwa mit Vueling ab 150 Euro oder Ryanair ab 130 Euro, dann den Zug vom Bahnhof Sants nach Girona nehmen. Die Fahrt dauert mit dem Schnellzug AVE nur 38 Minuten.

REISEZEIT

Januar, Februar wenn man Ruhe haben will. Die Sonne scheint und wärmt. Ab März wird es angenehm, Mai, Juni und September sind warm bis heiß. Juli und August wegen Hitze, steigenden Preisen und zu vielen Feriengästen vermeiden.

UNTERKUNFT

Ein gutes Standardhotel ist das Melia Hotel im Zentrum, ein DZ kostet ab 95 Euro aufwärts. Infos unter melia.com

TOUREN

Im „Bike Breaks Girona Cycle Center“ (Carrer Mercaders 14) bieten Saskia Welch-Van Vuuren und David Welch Karten mit individuellen Touren an. Geführte Touren gibt es ab 125 Euro, Infos unter gironacyclecenter.com

ADRESSEN
La Fábrica, Carrer de la Llebre 3

Quatre Forquilles und De Rosa Rios, Plaça Bell-Loch

Celler de Can Roca, Carrer Can Sunyer 48

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