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Die Golden Gate Bridge in San Francisco.

© mauritius images

Schutz gegen Selbstmord in San Francisco: Ein Fangnetz für die Golden Gate Bridge

1700 Menschen haben sich in ihrer Geschichte von der Golden Gate Bridge gestürzt, 46 waren es im vergangenen Jahr. Jetzt wird ein Fangnetz gebaut.

Ein junger Mann in weißem T-Shirt, dunklen Shorts und Turnschuhen steht an der Außenseite der Brüstung der Golden Gate Bridge in San Francisco, 67 Meter über dem Meer. Es ist der 11. März 2005. Kevin Berthia ist an diesem Morgen über das Brückengeländer geklettert, um sich das Leben zu nehmen. Der 22-jährige ist verzweifelt, weil er die Krankenhausbehandlung für seine frühgeborene Tochter in Höhe von 250000 Dollar nicht bezahlen kann. Berthia hält sich nicht fest, nur der starke Wind drückt ihn gegen das kalte Metall des Geländers und verhindert, dass er in die Tiefe stürzt.

Mit ihren mehr als 200 Meter hohen Pfeilern, dem eleganten Schwung ihrer Halteseile und der unvergleichlichen Lage vor den Toren San Franciscos ist die Golden Gate Bridge eines der bekanntesten Bauwerke der Welt. Zehn Millionen Besucher schauen sich die Brücke jedes Jahr an, rund 40 Millionen Fahrzeuge nutzen sie. Doch die leuchtend orange-rote Stahlkonstruktion aus dem Jahr 1937 zieht nicht nur Touristen und Autofahrer an. Die Golden Gate Bridge ist ein Magnet für Selbstmörder. An keinem anderen Ort der USA bringen sich so viele Menschen um. Durchschnittlich alle zwei Wochen springt ein Verzweifelter vom Brückengeländer aus in den Tod.

46 Tote im letzten Jahr

Im März 2005 sieht auch Berthia keinen Ausweg mehr. Den gesenkten Kopf zwischen die Pfosten des Geländers gesteckt, balanciert er auf einem schmalen Rohr an der Außenseite der Brücke. Kevin Briggs, ein Beamter der Autobahnpolizei, bemerkt den Schwarzen und verwickelt ihn in ein Gespräch. Anderthalb Stunden später zieht Briggs den Selbstmordkandidaten mit Hilfe eines Kollegen über die Brüstung in Sicherheit. Berthia ist so überwältigt, dass er seinen Vornamen in „Grateful“ – Dankbar – ändert.

Auch heute, zwölf Jahre später, betreten viele Menschen mit Selbstmordabsichten die tagsüber für Fußgänger und Radfahrer geöffneten Gehwege auf der Ost- und Westseite der gut 2,7 Kilometer langen Brücke. Mehr als 1700 Menschen sind seit 1937 hier in den Tod gesprungen. Allein im vergangenen Jahr waren es 39, nach 33 im Jahr davor und 46 – der bisher höchsten Opferzahl für ein Jahr – im Jahr 2014. Eine Vollsperrung der Golden- Gate-Brücke für Fußgänger und Radler kommt für die Menschen in der Stadt nicht in Frage.

Dabei sind Hinterbliebene von Opfern überzeugt, dass die gute Erreichbarkeit der Brücke die schnelle Umsetzung von Selbstmordabsichten fördert und keine Zeit für Zweifel lässt. Nicola Aparicio, Vater eines 17-Jährigen Mädchens, das sich vor drei Jahren von der Golden Gate Bridge stürzte, sagte bei einer Gedenkveranstaltung, ohne den „leichten Zugang“ zur Brücke wäre seine Tochter noch am Leben.

Patrouillen von Helfern der Frewilligen-Truppe „Bridgewatch Angels“ können die Lebensmüden nicht immer aufhalten. Die „Angels“ schauen sich vor allem Menschen genauer an, die allein auf der Brücke unterwegs sind oder die unentschlossen hin- und hergehen. Im vergangenen Jahr konnten 162 Menschen gerettet werden, doch häufig kommen die „Engel“ zu spät. Allein im Februar ließen sich vier Menschen innerhalb von zwei Wochen ins Meer fallen.

Mehr als 200 Millionen Dollar teure Konstruktion gegen Selbstmord

Nun aber ist Kevin „Grateful“ Berthia sicher, dass die Brücke bald ihren Ruf als tödliche Schönheit ablegen kann. Nach langer Diskussion soll die Golden Gate Bridge bis zum kommenden Jahr mit stählernen Fangnetzen von etwa drei Meter Breite an ihren beiden Seiten ausgestattet werden. „Das Netz hätte auch mich vom Sprung abgehalten“, sagte Berthia kürzlich dem lokalen Fernsehsender KTVU.

Das ist der Abschreckungseffekt, auf den die Behörden setzen. Ewa Baur, Chef-Ingenieurin der Brücke, geht davon aus, dass die mehr als 200 Millionen Dollar teure Konstruktion die Selbstmordwelle auf der Brücke stoppen wird. Für Selbstmordkandidaten, die vorhaben sollten, sich künftig zuerst auf die dünnen Stahldrähte des Netzes fallen zu lassen, um dann von dort aus ins Meer zu springen, hält sie eine Warnung bereit: „Springt nicht, denn es wird wehtun. Es ist eine harte Landung“, sagt sie in einem Video der Brückenverwaltung.

Beim offiziellen Baubeginn für das Fangnetz in der vergangenen Woche betonte Dianne Feinstein, die Kalifornien im Senat in Washington vertritt, das Netz werde hoffentlich dazu beitragen, dass die Zahl der Selbstmorde an der Brücke auf Null sinke.

Der Optimismus von Feinstein, Baur, Berthia und anderen gründet sich auf Ergebnisse von Untersuchungen, wonach neun von zehn Überlebenden eines Suizidversuchs neuen Lebensmut fassen und es nicht noch einmal versuchen.

Manche Überlebende berichten davon, dass sie im entscheidenden Augenblick plötzlich die Gewissheit hatten, doch nicht sterben zu wollen. Kevin Hines ist einer von ihnen. Im Jahr 2000 brach sich der damals 19-Jährige nach dem Sprung von der Brücke beim Aufprall auf das Wasser das Rückgrat, doch er wurde gerettet. „Was habe ich getan? Ich will nicht sterben. Gott steh’ mir bei“, habe er gedacht, nachdem er das Geländer losließ, berichtete Hines später. Nach seinen Angaben berichteten 19 andere Überlebende von ähnlichen Gedanken.

Ingenieurin Baur steht jetzt vor der Aufgabe, das Netz so zu konstruieren, dass es einen Menschen auffangen und dem starken Wind an der Brücke standhalten kann. Zudem soll die weltberühmte Silhouette der Brücke so wenig wie möglich durch das insgesamt knapp 5,5 Kilometer lange Netz beeinträchtigt werden. Kritiker hatten in den vergangenen Jahren immer wieder auf die hohen Kosten und die unsicheren Erfolgsaussichten verwiesen. Doch Berthia lässt diese Einwände nicht gelten. Das Netz ist die Lösung, da ist er sich sicher: „Ich bin außer mir vor Freude.“

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