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Im Rucksack muss alles mit, was auf der langen Reise gebraucht wird.

© Imago

Reisen mit Interrail: Quer durch Europa

Fünf Tagesspiegel-Autoren berichten über ihre Interrail-Erlebnisse – fünf Geschichten über Sprachschwierigkeiten, Heimweh und Luxusreisen.

Nachtzug nach Süden

Diese Waden! Kräftig, direkt vor der Nase – und doch: das Paradies. Nie hätte ich gedacht, dass ich mich über so einen Anblick auf engstem Raum freuen könnte. Denn er bedeutete, einen Platz im Gang des Zugs ergattert zu haben. In jenem Sommer, zu vier Mädels auf Abi-Tour, hatten wir uns in den ersten Interrail-Tagen gleich Paris gegönnt. Wunderbar war das, nur leider unserem knappen Budget so gar nicht angemessen. Die Verpflegung haben wir sofort umgestellt – auf sättigende Prinzenrolle.

Fortan würden wir auch noch öfter als geplant unsere Nächte in Zügen verbringen, um zu sparen. Also weiter gen Süden. Wir standen lange in der Schlange am Schalter, um den obligatorischen Stempel für den Nachtzug zu ergattern. Irgendwann schoben wir uns endlich in einen Waggon – und fanden uns ein paar Minuten später verblüfft auf dem Bahnsteig wieder. Es war so voll, dass andere uns einfach wieder rausgedrängelt hatten.

Also ein neuer Anlauf, diesmal haben wir uns ziemlich rasch einfach im Gang fallen lassen. Neben den Waden, die dann hinter uns stoppten, eine menschliche Schranke. Die Eignerin der Waden entpuppte sich auch sonst als echte Entdeckung: Sie teilte ihre Oliven mit uns – nach all den Keksen einfach paradiesisch! Ingrid Müller

Der lange Umweg nach Westen
Letzte Schul-Sommerferien, erste große Freiheit: Das Interrail-Ticket im Brustbeutel verstaut ging es 1980 gemeinsam mit zwei Freunden vom bayerischen Vilshofen erst einmal nach Osten. Wir wollten zwar nach Westen, aber der Umweg war wegen der Interrail-Bestimmungen („Ticket gilt nicht im Wohnsitzland“) unvermeidlich.

So war es eben der Umsteige-Bahnhof von Linz, wo zum ersten Mal Abenteuergefühl aufkam. In London, der ersten Station, zeigten wir dann, was unser Schulenglisch wert war. Auf dem Zeltplatz sagte einer von uns zum Camping-Wächter: „We have almost paid“. Tatsächlich meinte er: „We have already paid“. Der Versprecher wurde während der Reise zum „running gag“. Der Freund, auf dessen Kosten wir uns amüsierten, verabschiedete sich später vorzeitig irgendwo zwischen Südfrankreich und Spanien. Albrecht Meier

Von Bayern über Linz nach London: Immer noch ein Anziehungspunkt für Touristen.
Von Bayern über Linz nach London: Immer noch ein Anziehungspunkt für Touristen.

© Luke MacGregor/Reuters

Kulturaustausch

2014 bereiste ich Skandinavien alleine per Interrail. Im Frühzug von Oslo nach Stockholm teilte ich mir ein Abteil mit einem jungen Thailänder, der seit zwei Wochen ebenfalls alleine durch Europa reiste. Irgendwann fielen mir die Tränen auf seinen Wangen auf, während er in seinem blauen Fotoalbum blätterte.

Auf meine Nachfrage drehte er das Fotoalbum in meine Richtung. Neben Fotos von Freunden fanden sich dort auch erstaunlich viele Fotos von thailändischem Gerichten. Er habe Heimweh, und auch das Essen in Europa wäre nicht so schmackhaft. Meine Versuche, ihn aufzumuntern, scheiterten.

Erst die Frage, wieso er denn nach Stockholm wolle, stoppte den Tränenfluss. Er kramte in seinem Rucksack und zog ein rotes Fotoalbum heraus – mit Bildern von ihm vor einer Wand stehend, die bis auf den letzten Zentimeter mit Abba-Postern und Zeitungsausschnitten beklebt war. „Abba, Abba“, platzte es aus ihm heraus, „it is my favourite music.“ In Stockholm wanderte er zu den Abba-Pilgerstätten der Stadt. Mich zog es ins nächstgelegene Thai-Restaurant. Auch das ist Kulturaustausch. Max Tholl

Nach Stockholm zu den Pilgerstädten der schwedischen Popgruppe Abba.
Nach Stockholm zu den Pilgerstädten der schwedischen Popgruppe Abba.

© dpa

Gut ausgerüstet
Die letzten großen Ferien als Schülerin waren der ersten großen Reise nach Südeuropa gewidmet. Das Interrail-Ticket war leicht, der gelbe Rucksack 18 Kilo schwer. Allein war es einfach, unterwegs Freundschaften zu knüpfen. Stierkampf in Madrid, Sternennächte an der Cote d’Azur, hilfreiche Hostel-Freunde in Rom.

Dann die Fähre nach Korfu, wo ich Iphigenia und ihre Freunde kennenlernte. Sie hatten in ihrem Ferienhäuschen noch ein Bett frei und luden mich spontan ein, etwas Zeit mit ihnen zu verbringen. Außerdem waren sie auch neugierig, was man in so einem schweren Rucksack wohl alles verstauen kann. Am Nachmittag packte ich vor ihren Augen aus. Angesichts deutscher Vorsorge und Gründlichkeit schon im zarten Schülerinnen-Alter lachten sie sich krümelig. Als ich noch das Frühstücksbrettchen hervorzog, lagen sie endgültig im Gras. Elisabeth Binder

Keine Lust
So wenig Lust wie ich auf billige Jugendherbergen, Isomatte und Schlafen im Zug hatte, so wenig Geld hatte ich auch. Und noch weniger Lust hatte ich auf wenig oder schlechtes Essen. Ich habe die vielen Jugendlichen, die die Nächte auf den Bahnhöfen in Amsterdam, Paris und Porto mit Wasser und billigen Schokoriegeln auf harten Wartebänken verbrachten, still belächelt.

Meine tiefste Überzeugung war: Genau das will ich nicht. Nicht damals. Und nicht heute. Urlaub ist die absolut falscheste Zeit, um Geld zu sparen. Das geht vorher – oder nachher. Aber nicht mittendrin. Ich war in tollen niederländischen Pensionen, sehr feinen französischen und portugiesischen Restaurants. Ich habe die teuersten Sachen von der Speisekarte bestellt, großartige Weine getrunken und dann in weichen Betten geschlafen. Es war eine tolle Zeit. Pleite, aber glücklich. So ist es bis heute. Lutz Haverkamp

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