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Reise: Paris schmeckt moderner

Konservative Küche im barocken Ambiente war gestern – jetzt wird’s puristisch.

Das Hotel: sparsam modern, elegant. Das Restaurant: ein weißer Schlauch, retro-futuristisch. Gleich wird uns Mister Spock die Speisekarte heranbeamen... Das soll Paris sein, die Stadt der pseudobarock prunkenden Luxusrestaurants? Es mag an der Krise liegen, am Zeitgeist oder an beidem – aber die Pariser Restaurantszene ist gegenwärtig dabei, sich neu zu erfinden, weniger prätentiös, weniger konservativ, sogar weniger teuer, auch wenn das vor allem in Relation zu früheren Preisexzessen zu sehen ist.

Viele Legenden der Pariser Hotelkultur sind in Würde verstaubt, das Ritz wird demnächst sogar für eine – sehr dringliche – Grunderneuerung komplett geschlossen. Das ist die Chance der Neuen: Das eingangs erwähnte Raumschiffrestaurant heißt „Sur Mesures“ und liegt im frisch eröffneten Hotel Mandarin Oriental, Spitzenlage Rue Faubourg Saint-Honoré. Die Luxusgruppe tritt überall mit klarem Nummer-eins-Ehrgeiz an, der auch hier deutlich wird. Das Haus hat zwar keine ellenlange Tradition, aber vergleichsweise große, luxuriöse Zimmer, ungewöhnlich aufgeschlossenes Personal und sogar einen passablen Pool im Untergeschoss.

Den dazu passenden gastronomischen Ehrgeiz hat Mandarin Oriental schon in London mit der Verpflichtung des britischen Küchenstars Heston Blumenthal gezeigt, und auch hier ist der Name des Küchenchefs wohlbekannt; Thierry Marx kocht, ein Avantgardist, der im Château Cordeillan-Bages bei Bordeaux schon mit zwei Sternen ausgezeichnet wurde und sich nun reif für die Pariser Konkurrenz fühlt.

Marx gilt als Exponent der inzwischen eher verrufenen „Molekularküche“ – doch was er auf den Teller bringt, spielt nur sehr dezent mit den Elementen dieses Stils, wirkt im Vergleich zu ähnlich profilierten deutschen Restaurants klar und puristisch. Das „transluzide Ei“ ist ein Markenzeichen des Meisters, in einer kugelförmigen Porzellanschale liegt das sanft gegarte Eigelb auf einem Gelee, das optisch an Eiweiß erinnert, umgeben von Parmesanschaum und Parmesan, ein raffiniertes Spiel mit vertrauten, nur ganz dezent aus der Spur geworfenen Aromen.

Noch weiter geht Marx beim „Risotto“ aus Sojasprossen in Mascarpone – wieder ist ein wenig Parmesan im Spiel, dazu kommt die jodige Note einer Auster, schwarze Trüffel obenauf. Glänzend gelingt die Kombination von Jakobsmuscheln mit Kardamom, Ananas und einem kleinem, knusprigen Reiskuchen, extrem puristisch ist das Rinderfilet mit Béarnaise – die Soße steckt in einem knusprigen Kartoffelring. Fünf Gänge kosten mittags 75 Euro, neun 180 – das ist nahe dran am Berliner Preisniveau.

Ein anderer Pariser Küchenstar, Jean- Francois Piège, lässt seinen neuen Anlauf noch beiläufiger, familiärer aussehen. Er hat im ersten Stock des Hotels Thoumieux ein großes Wohnzimmer eingerichtet, komplett mit Polstermöbeln und Teppich; die Kellner tragen Jeans und sind sehr darauf bedacht, handwerkliche Präzision und Lässigkeit zu verbinden. Piège, der auch mal einer der großen Komplizierer und Spieler war, nimmt sich hier stilistisch deutlich zurück, kocht eine kraftvolle Bistroküche mit vielen Gemüsen, die früher in der französischen Hochkulinarik undenkbar waren.

Auch er punktet mit einem Eigelb, das unter einer Geleedecke von Eiweiß liegt, aber von verschiedenen Rüben und einer Oliventapenade markanter begleitet wird. Die Kombination von gebratener Entenleber und Hummer klingt banal, doch die Art, wie hier ein fruchtiger Rotweinfond die widerstreitenden Elemente verbindet, zeigt die Hand eines großen Könners. Hier sind für ein Abendmenü mit fünf üppig dosierten Gängen 190 Euro fällig, aber mit recht guten Weinen – das macht es auf diesem Niveau fast schon zum Sonderangebot.

Wie unkonventionell es inzwischen in der Pariser Topgastronomie zugeht, zeigt eines der neuen Zwei-Sterne-Restaurants, das „Passage 53“: ein kleiner Schlauch in der ältesten Pariser Ladenpassage hinter der Oper, für Uneingeweihte kaum als Restaurant zu erkennen. Küchenchef Shinichi Sato arbeitet in einer kleinen Küche im ersten Stock, die Teller werden über eine enge Wendeltreppe in den ebenso engen Gastraum hinuntergetragen. Sato, der in Tokio, Spanien und Paris gearbeitet hat, kocht im weitesten Sinn französisch, aber mit einem bestechend verknappten, persönlichen Stil. Sein Oktopus, ganz in cremeweiß mit Blumenkohlpüree und Blumenkohlscheiben, ist ein Musterbeispiel für die Kunst des Weglassens; alle Gänge sind klein, zurückhaltend dekoriert, handwerklich von unauffälliger Hochperfektion, bisweilen sogar überraschend klassisch wie das geschmorte Bressehuhn mit Tagliatelle und weißen Trüffeln. Menüs: 45/60 Euro.

Eine Gegenprobe in einer kulinarischen Pariser Institution lohnt sich. Auch das prunkvolle „Grand Vefour“ von Guy Martin hat zwei Sterne, und auch hier passiert etwas, was in der deutschen Szene kaum möglich wäre: eine gelassene, klassisch-moderne Küche, die den Geist des historischen Cafés aufnimmt. Das Menü mündet in die berühmte Version des „Hachis Parmentier“: Auf einem Sockel von zerdrückten Kartoffeln liegt ausgelöster Ochsenschwanz, überzogen mit Trüffelsoße. Wegen solcher Kontraste lohnt sich jede kulinarische Reise nach Paris.

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