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Kreuzfahrt in die Antarktis: Empfang im Frack

Die Antarktis ist rau, unwirtlich und kalt. Pinguinen ist das recht. Auch ihretwegen sind die Besucher gekommen.

Der erste Antarktis-Eindruck ist ein Geruch. Verzeihung, aber es riecht nach Pinguin-Mist. Ein leicht salzig-stechender Windhauch weht von Half Moon Island auf den Süd-Shetlands herüber und kitzelt die Nase. Die Zehntausenden von Pinguinen auf den felsigen Hügeln der Insel interessiert es wenig, dass gerade eine Kreuzfahrtjacht in ihrer Bucht vor Anker geht. Bei den 160 Passagieren der „L’Austral“ dagegen sorgt der Geruch der Zügelpinguinkolonie und das geschäftige Schnattern der adrett gekleideten Seevögel für Hochgefühle. Nach zweitägiger Seefahrt durch die berüchtigte Drake Passage sind sie endlich angekommen auf dem eisigen Kontinent.

Die rund 1000 Kilometer lange, oft unruhige Fahrt durch die Drake Passage von der Südspitze Argentiniens aus zum ersten Vorposten der Antarktis wirkt wie ein symbolischer Schnitt zwischen der hektischen, realen Welt in diesem seltsam und märchenhaft wirkenden Kontinent aus Eis und Fels. Rau und unwirtlich, extrem und unerbittlich, ist die Antarktis das Gegenbild zu unserer schnellen, lauten Welt, in der alles geplant, geregelt und von westlicher Zivilisation bestimmt ist.

Die klare, trockene Luft, die tiefe Stille, das Weiß und Blau der Eisberge und Gletscher, das intensiv schwarzblaue Meer, das Knistern des Gletschereises, wenn es beim Schmelzen jahrtausendealte Luftbläschen freisetzt, der kräftige Geruch der Pinguinkolonien und das Spektakel Abertausender dieser so possierlichen Seevögel lassen die Welt jenseits der Drake Passage für die Antarktis-Besucher verblassen. Es zählt nur noch das Hier und Jetzt, der Genuss dieser Traumlandschaft in vollen Zügen.

Flipflops an die Füße, Kamera um den Hals und dann schnell an Land gehen wie bei einer klassischen Kreuzfahrt funktioniert hier freilich nicht. Überhaupt ist auf einer Antarktis-Kreuzfahrt alles etwas anders – bis auf das Essen im Bordrestaurant vielleicht. Das ist so gut wie auf den meisten Schiffen. Doch am Ufer warten keine Ausflugsbusse, Taxifahrer und Souvenirhändler, sondern Schneefelder, ein paar Robben, Tausende von Pinguinen und an manchen Stellen wie hier in Half Moon Bay ein paar Forscher einer argentinischen Antarktis-Basis, die sich über jeden Besucher freuen. Eine Abwechslung im meist einsamen Alltag.

Zum Ufer fahren die Passagiere mit Schlauchbooten, sogenannten Zodiacs, gut verpackt in wasserdichten Hosen, kniehohen Gummistiefeln, winddichten Polarparkas, Hightech-Schwimmwesten und warmen Mützen. Die Kamera hüllt man besser in eine Plastiktüte, denn beim Anlanden per Zodiac fliegt schon mal eine ordentliche Ladung salziger Gischt übers Boot. Und auch das Aussteigen – man watet durchs eisige Wasser am Ufer – kann eine überaus feuchte Angelegenheit werden, wenn die Gummistiefel nicht wirklich bis zum Knie reichen. Aber das lernt man als Antarktis-Kreuzfahrer schnell. Spätestens am zweiten Tag werden Zodiac-Anlandungen zur liebgewonnen Routine.

Und dann kommt er angewatschelt, der erste Pinguin. Ganz ohne Scheu, fast als bemerke er einen gar nicht – was oft tatsächlich der Fall ist, denn diese Tiere sehen nicht besonders gut. Nur wenige Zentimeter vor den Gummistiefeln eines Besuchers bleibt er stehen, reckt den Schnabel nach oben in die Luft und dreht den Kopf erst nach links, dann nach rechts und wieder zurück, um diese große, fremde Gestalt vor ihm besser erfassen zu können.

Hatte der Expeditionsleiter in seinem Einführungsvortrag nicht einen Mindestabstand von fünf Metern verlangt? Der Pinguin jedenfalls kennt allem Anschein nach diese Regel nicht. Der Mensch spürt bei dieser Begegnung große Ehrfurcht und glühende Freude zugleich. Ehrfurcht vor diesem magischen Moment, Freude über die Nähe und scheinbare Vertrautheit mit diesem liebenswerten, kleinen Tier. Zumindest bis der Pinguin erkennt, dass lediglich sein gewohnter Weg versperrt ist und er sich deshalb eine andere Route suchen muss. Trotzdem bleibt dem Besucher das freudige Gefühl, einige Augenblicke lang diesen schönen Tieren direkt gegenüberzustehen, wenn sie sich ganz freiwillig manchmal bis auf wenige Zentimeter nähern; das Glück, als Gast in der Welt dieser Tiere akzeptiert zu sein.

Der Gedanke, mit einer luxuriösen Kreuzfahrtjacht wie der „L’Austral“ in die Antarktis zu fahren, erscheint in einer solchen Umgebung zunächst paradox, beinahe dekadent. An Bord Champagner und Galadinner, draußen unwirtliche Natur mit schroffen Eisbergen, beißenden Windböen und Pinguinen, die ihre Küken gegen Raubmöwen und sich selbst gegen Seeleoparden verteidigen müssen. Doch in der Antarktis verliert man schnell die Perspektive, gewöhnt sich im Nu an die rauen Bedingungen, den Wind, das Eis, den Geruch der Pinguine und die Selbstverständlichkeit, für jeden Landgang ins Zodiac zu steigen. Genau der paradox erscheinende Luxus an Bord des Schiffes gibt den Passagieren dann einen Bezugspunkt zu ihrer vertrauten Welt.

Auf diese Weise nimmt man den Kontrast zwischen dem Komfort auf dem Schiff und der unwirtlichen Welt zwischen Eisbergen, Felsen und Pinguinen immer wieder von Neuem und viel intensiver wahr. Ein Übriges tragen Expeditionsleiter wie Nicolas Dubreuil bei – er verbringt seit mehr als 20 Jahren die Hälfte des Jahres in der Nähe von Nord- und Südpol und betrachtet selbst Tauchgänge im Eis als höchstes Vergnügen. Nachmachen will das keiner der Passagiere, aber seine Erfahrung und sein Wissen lassen selbst den wissbegierigsten Antarktis-Reisenden staunen.

Der Bezug zur Welt nördlich der Drake Passage geht freilich trotz dieser Kontraste ein wenig verloren: Nach zehn Tagen zurück im südargentinischen Hafen von Ushuaia muss man sich buchstäblich wieder an die Zivilisation gewöhnen. Der Anblick von Autos, Straßen und Häusern wirkt plötzlich fremd, beinahe surreal.

Der strenge Geruch der Pinguinkolonien hat sich dagegen so tief als positive Erinnerung an diese Traumwelt aus Eis und Fels eingeprägt, dass mancher Passagier nach seiner Antarktis-Kreuzfahrt auf der „L’Austral“ zu Hause zögert, den Polarparka in die Waschmaschine zu stecken. Er riecht immer noch nach Pinguin und lässt die Erinnerungen wieder aufblitzen: Ein Eselspinguin tapst über die Felsen zu seinem Nest aus kleinen Steinchen, zwei Zügelpinguine streiten lauthals schnatternd über ihre Reviergrenzen, ein flauschiges Adelie-Pinguinküken bettelt um eine Portion Krill aus dem Kropf der Mutter.

Franz Neumeier

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