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Eskalierter Konflikt. Das Wandgemälde erinnert an die Hungerstreiks 1981 im Maze-Gefängnis, den sogenannten H-Blocks.

© polaris/laif

Irland: Grenzenlose Herzlichkeit

Sterling in Belfast, Euro in Dublin: Wie Besucher das geteilte Irland erleben.

Der Lord Mayor von Belfast heißt Gavin Robinson und ist erst 28 Jahre alt. Ein breitschultriger Mann mit dichtem schwarzen Haar, dunklem Anzug und goldener Amtskette über der Brust. Er ist höchst zufrieden mit seiner Stadt. Alles läuft bestens: Protestanten und Katholiken arbeiten zusammen, sie treffen sich in vielen Projekten und, ja, es hat auch schon Eheschließungen gegeben. Allein, in Nordirland gibt es immer noch Gräben zwischen den christlichen Konfessionen. Die sogenannten Troubles, die blutigen Auseinandersetzungen, die zwischen 1969 und dem Karfreitagsabkommen 1998 Nordirland zum Dauergast in den Schlagzeilen machten, sind zwar überwunden. Aber Frieden ist noch längst nicht selbstverständlich.

Das wird schnell klar bei der Führung entlang dem „Friedenswall“ und zu den Märtyrerstätten der Katholiken und Protestanten. Zwar gibt es neben den teils sehr aggressiv wirkenden republikanischen Mauergemälden in den katholischen Vierteln und loyalistischen in den protestantischen Gegenden auch Malereien über internationale Politik oder solche, die andere Konfliktgebiete wie Palästina betreffen, aber die Stadtführer verharren doch je nach Hintergrund sehr gerne bei dem Schlachtruf „No Surrender!“ der Loyalisten oder den emotional gemalten Erinnerungen an den tödlichen Hungerstreik.

Zur Vorbereitung auf einen Besuch in Nordirland sollte man etwas tiefer eintauchen in die Geschichte. Mindestens bis zur berühmten Schlacht am Boyne, wo der protestantische König William III. den Katholiken James II. geschlagen hat, zu dem die Iren damals hielten. Das war der Ausgangspunkt für die sogenannten Strafgesetze, die es später den Iren verboten, ein Pferd oder eigenes Land zu erwerben oder ihren katholischen Glauben öffentlich zu praktizieren. Erst 1921 formierten sich 26 der 32 irischen Countys zur Republik Irland. Die sechs restlichen gehören zu Großbritannien, weshalb man in Nordirland auch heute noch mit britischen Pfund bezahlt, im Rest des Landes hingegen mit Euro.

Die Wachtürme und Grenzanlagen sind im Zuge des Friedensprozesses vor einigen Jahren abgebaut worden. Wer vom Flughafen in Dublin mit dem Bus nach Belfast fährt, wird vergeblich nach einem Zeichen für die Grenze Ausschau halten. Die Ankunft in Nordirland ist lediglich daran zu erkennen, dass die Entfernungen plötzlich nicht mehr in Kilometern, sondern in Meilen angegeben werden. Es gebe auch Überwachungskameras, verrät der Bürgermeister von Belfast. Die Schilder „Willkommen in Nordirland“, die sie aufstellten, seien immer wieder zerstört worden, fügt er in bitterem Ton hinzu.

Geht es nach der Vergangenheitstour in das moderne Zentrum der Stadt mit schicken Einkaufszentren und traditionellen Pubs, könnte man fast vergessen, dass dieser Zipfel der Welt immer noch nicht ganz über den 30-jährigen Krieg hinausgekommen ist, wie es ein Ire formuliert. Beliebt bei den Republikanern sind T-Shirts mit der Aufschrift: „Die Iren haben die ,Titanic‘ gebaut, ein Engländer hat sie versenkt.“ Der Bau der „Titanic“ und anderer großer Ozeandampfer hat der Stadt einst einen erheblichen Aufschwung beschert, der Stolz darauf wirkt bis heute nach.

Das im vergangenen Jahr eröffnete, nach allen Regeln moderner Museumspädagogik gestaltete Titanic-Museum ist ein wirkliches Mussziel bei einem Besuch in Belfast. Man erlebt das Innere der Werft in einer Art Geisterbahn, macht eine virtuelle Reise über die Decks bis zur Brücke und kann sich die Originalnachbauten der Kabinen anschauen. Auch der Museumsshop ist besuchenswert.

Ansonsten ist Belfast sicher kein Traumziel für Shopper. Denn schon am frühen Abend werden in der Regel die Bürgersteige hochgeklappt, die stabilen Rollläden heruntergelassen. Dann allerdings ist es Zeit für Fish and Chips und ein großes Glas Guinness.

Auch in Derry, das von Loyalisten immer noch Londonderry genannt wird, machen die Ladenbesitzer pünktlich Feierabend. Doch hier ist in diesem Sommer mehr los als sonst, denn der Ort ist Großbritanniens „Kulturhauptstadt 2013“. Von der berühmten Stadtmauer aus wird einem zwar gleich am Anfang der Schauplatz des „Bloody Sunday“ gezeigt, bei dem im Januar 1972 die britische Armee 13 unbewaffnete Demonstranten tötete. Aber 12 der 16 Tore, die nachts verschlossen wurden, um die verfeindeten Gruppen voneinander fernzuhalten, wurden jüngst abmontiert.

Opfer zu bringen war immer eine irische Spezialität

Gavin Robinson, Lord Mayor von Belfast.
Gavin Robinson, Lord Mayor von Belfast.

© picture-alliance/empics

William Morton, der Dean von St. Columb’s Cathedral, hält regelmäßig ökumenische Gottesdienste ab. Er spricht über die großen Anstrengungen der Kirchen, normale Nachbarschaft möglich zu machen, den Menschen zu helfen, die Dinge neu zu sehen. Doch, die Kathedrale enthält noch eine Reliquie, die an die Belagerung der Stadt vor der entscheidenden Schlacht erinnert: eine Kanonenkugel, die ein Blatt Papier mit der Aufforderung zur Aufgabe erhielt. Sie flog 1689 in die Stadt und gilt Bewohnern heute als „das erste Fax“. Es wird noch Zeit brauchen, bis alle Wunden verheilt sind.

Am Rande von Belfast liegt Stormont, das prachtvolle, einem Schloss sehr ähnliche Parlamentsgebäude, in dem der Friedensprozess 2007 einen kräftigen Schub bekam durch eine gemeinsame Regierung der einst verfeindeten Parteien. Die Abgeordneten Alastair Ross von der Democratic Union Party und Sean Lynch von Sinn Fein treffen gemeinsam die deutsche Besuchergruppe. Er hätte nie gedacht, dass er jemals in einem nordirischen Regierungsgebäude arbeiten würde, sagt Lynch, der wegen seiner Aktivitäten bei der IRA 14 Jahre lang im Gefängnis saß. Es ist ein kleines Wunder, dass dieses Treffen zustande kommt, denn seit dem Ausbruch des Flaggenkonflikts reden die Politiker der unterschiedlichen Gruppen nicht mehr so gern miteinander.

Sinn Fein hatte Ende vergangenen Jahres den Antrag gestellt, den Union Jack nicht mehr jeden Tag zu hissen, sondern nur noch an ausgewiesenen Flaggentagen, insgesamt 13 im Jahr. Das ging durch, sehr zum Ärger der Loyalisten. Immer wieder formieren sich kleine Demonstrationen gegen diesen Beschluss, und der Tourist staunt, wie viel Polizeipräsenz es dabei gibt. Die Frage des Besuchers, ob man nicht einfach sowohl die irische als auch die englische Flagge nebeneinander aufziehen könnte, findet der engagierte Belfaster Bürgermeister gar nicht lustig. „Man kann doch nicht einfach eine ausländische Flagge hissen“, sagt er empört.

Nicht alle Iren sehen das so streng. Im Zentrum von Belfast gibt es eine Filiale der allgegenwärtigen Souvenirkette Carrolls. Wegen der großen Auswanderungswellen in die USA haben heute etwa 40 Millionen Amerikaner irische Wurzeln, und wenn sie kommen, um die zu suchen, nehmen sie als Andenken gern Kühlschrankmagneten, T-Shirts, CDs mit Trinkliedern oder alles, was sich mit bunten Schafen bedrucken lässt, mit. Als Belohnung gibt’s Rabattgutscheine, einzulösen beim nächsten Kauf. Es war nur ein Versuch, diesen in Belfast erhaltenen Gutschein dann im Ausland, also in Dublin, einzulösen und – oh Wunder: „Kein Problem“, sagt der nette Verkäufer an der Kasse und zieht den Betrag von der Rechnung ab. Auf kommerzieller Ebene funktionieren die Brücken also doch ganz gut.

Das ist schon im Zug zu spüren. Der Getränkeschaffner fragt, wenn er Kaffee und Sandwich verkauft, routiniert nach, ob man in Sterling oder Euro bezahle. Wer von Belfast mit seinen vielen alten Konflikten ins vergleichsweise heitere Dublin kommt, versteht sofort, warum die Iren so begierig darauf sind, spätestens in einem Jahr in Euro-Land als Musterknaben dazustehen. Die erheblichen Opfer zur Rettung der Gemeinschaftswährung nimmt die Bevölkerung anders als in den mediterranen Ländern ohne zu murren hin.

Das spannungsgeladene Verhältnis zu den britischen Nachbarn schürt offensichtlich die Motivation, für die Erhaltung der gemeinschaftlichen europäischen Währung auch im Land zu kämpfen. Immer wieder hört man, dass die Menschen bereit sind, Opfer zu bringen, wenn sie ihre Lebensumstände verbessern können. Opfer zu bringen war über die Jahrhunderte wohl ohnedies eine irische Spezialität. Und trotzdem ist darüber die Lebensfreude nicht verloren gegangen. Das ist auch in den Pubs zu spüren, mit ihren guten Musikprogrammen.

Die Touristen mögen Irland, was sicher auch an der großen Herzlichkeit der Bewohner liegt. Die eint das geteilte Land, das sich eine Wiedervereinigung dennoch einfach nicht vorstellen kann.

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