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Villa im Berg. Wie hier in Purullena können die Menschen ihr Haus leicht vergrößern. Sie müssen nur etwas graben.

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Andalusien: Unter Tage schläft man besser

In der Provinz Granada leben rund zehntausend Menschen in Höhlen. Was früher nur die Armen taten, wird nun schick.

Wenn Paco von seiner Höhlenwohnung erzählt, gerät er ins Schwärmen. „Ich habe hier drinnen jeden Luxus: Elektrizität, fließendes Wasser, Internet und Mikrowelle“, erzählt er stolz. Hunderte von Touristen aus aller Welt führt er täglich gegen ein kleines Eintrittsgeld durch sein Reich in dem spanischen Ort Purullena. Paco ist einer von etwa 10 000 Menschen, die in der Provinz Granada in Höhlen leben. Allein in Purullena zählt man jetzt 1100. Und es werden immer mehr. Früher wohnten nur die Armen „unter Tage“, weil sie sich kein Steinhaus leisten konnten. Doch diese Zeiten sind vorbei. Inzwischen gilt es gar als schick, eine Höhle zu besitzen.

Pacos Familie lebt bereits seit sieben Generationen in Höhlen. Drei Stockwerke hat sein Heim. Im Parterre wohnt er mit seiner Frau Marie Angeles. In den beiden oberen Etagen hat er ein Museum eingerichtet, das einen Eindruck vom arbeitsreichen und kargen Leben seiner Vorfahren vermittelt. Früher wohnten in Purullena fast alle Menschen in Höhlen. Viele gemeinsam mit ihren Tieren. Heute jedoch bleibt Pacos Esel vor der Tür und dient als Touristenattraktion, was das schlecht gelaunte Tier sichtlich nervt.

Erst in den 1960er Jahren zogen viele Bewohner in Steinhäuser um, die in den heißen Sommern durch Klimaanlagen gekühlt werden. Auf die kann Paco leicht verzichten, denn die weiß gekalkte Tonerde gibt bei Hitze Feuchtigkeit ab und sorgt so für angenehme Kühle. Eine Heizung braucht er ebenso wenig. „Die Temperatur bleibt das ganze Jahr konstant bei etwa 20 Grad“, erzählt er. Auch der Schlaf sei viel besser als in einem normalen Haus. Das bewiesen Forscher der Uni Granada. Die dicken Wände lassen weder Straßenlärm noch Elektrosmog durch. Pacos Handy funktioniert daheim allerdings nicht. „Kein Empfang“, sagt er und glaubt, dass man in der Höhle bestimmt „auch vor Radioaktivität sicher“ sei.

Es gibt noch einen weiteren Vorteil. Eine Höhle kann mit dem Platzbedarf seiner Bewohner mitwachsen. „Wenn es eng wird, grabe ich einfach ein weiteres Zimmer“, sagt der frisch verheiratete Paco. Wenn er nicht gerade Touristen durch sein Museum führt, buddelt er das künftige Kinderzimmer in das weiche Sedimentgestein.

Auch der Abraum dient noch einem guten Zweck. „Er wird als Heilmittel für Menschen mit schmerzenden Gelenken oder Gefäßkrankheiten verwendet“, berichtet Paco. Vor allem im benachbarten Ort Graena fallen viele Tonnen dieser Heilerde an. Hier ist in den vergangenen Jahren eine unterirdische Neubausiedlung entstanden, die sich immer weiter in die Landschaft frisst. In dem Ort leben inzwischen die meisten Bewohner wieder in Höhlen, darunter auch ein deutscher Informatiker.

Von einer Anhöhe bietet sich dort ein bizarrer Anblick. Hunderte von Fernsehantennen und Kaminen ragen aus Erdhügeln, die aussehen, als hätte sie ein Riesenmaulwurf aufgehäuft. Von vorne betrachtet wirken die meisten der neuen Höhlenwohnungen wie normale Einfamilienhäuser, da an der Frontseite eine Fassade aus Stein hochgezogen wird. Hässliche Metallzäune umgeben etwas spießige Vorgärtchen, die zuweilen mit grässlichem Kitsch vollgestellt sind. Auch so mancher Gartenzwerg winkt dort.

Inzwischen erheben Naturschützer Einwände gegen die unterirdische Bauwut, weil sie eine Zerstörung des Landschaftsbildes befürchten. In der historischen Stadt Guadix, in der etwa ein Viertel der 20 000 Bewohner in 1380 Höhlen leben, gibt es bereits Beschränkungen. Nicht alle halten sich daran. „Manche bauen schwarz“, weiß Paco.

Von dem Boom profitiert der Unternehmer Juan Herrera, der sich mit seinen 21 Mitarbeitern auf den Bau von unterirdischen Wohnungen spezialisiert hat. Gemeinsam mit elf Brüdern ist er in einer Höhle ohne Strom und Wasser aufgewachsen. Fast alle leben heute noch unter Tage, wie auch Juan. Seine Frau, die früher in einem Steinhaus wohnte, fühlt sich dort am wohlsten. „Es gibt nichts Besseres, als in einer Höhle zu entspannen“, schwärmt sie. Sie kann bis in die Nacht laute Musik hören, ohne die Nachbarn zu stören.

Gelernt hat ihr Mann sein Handwerk nicht. „Das liegt mir im Blut“, meint er lachend. Einhundert Höhlen hat seine Firma inzwischen fertiggestellt, fünf sind es durchschnittlich in einem Monat. Eine Höhle ist nicht nur billiger als ein gewöhnliches Haus, sie ist auch viel haltbarer. „In dem Dorf Cortes sind einige von ihnen 800 Jahre alt“, erzählt Juan. Und im benachbarten Graena sind manche so stabil, dass sogar Autos darüberfahren.

Das bisher größte Projekt hat Juan für einen Handwerker erstellt. 325 Quadratmeter Wohnfläche, über mehrere Stockwerke verteilt, umfasst die tief gelegte Villa, die über eine Bar, einen Weinkeller und vier Garagen verfügt. Und das zum Preis von nur 140 000 Euro. „In Granada hätte der Mann dafür nur ein kleines Apartment bekommen“, sagt Juan.

Auch für Touristen entstehen immer mehr Höhlenhotels, die mit allem erdenklichen Luxus ausgestattet sind. So auch in dem Dörfchen Lopera, wo Gäste im eigenen Pool planschen können. Der ist allerdings oberirdisch und bietet einen weniger schönen Blick auf die nahe Autobahn. Große Pläne hat ein belgischer Geschäftsmann in dem Dorf Cortes. Er will hundert Apartments für Urlauber in einen Berg graben lassen, berichtet Juan.

Ob die Rechnung aufgeht, bleibt abzuwarten. Zweifel hat die Deutsche Eva Gómez Navarro. Mit ihrem spanischen Mann Rafael betreibt sie weit außerhalb des Dorfes Lugros ein neues Hotel im Stil eines andalusischen Bauernhofes. Die meisten ihrer Gäste besuchen auch die nahe gelegenen Höhlensiedlungen. „99 Prozent wollen im Urlaub aber nicht darin wohnen“, ist sich Eva sicher. Auch sie selber ist dafür nicht zu haben. „Ich will aus meinem Fenster schauen, wenn die Sonne aufgeht“, sagt sie.

Ihr lichtdurchflutetes Hotel ist das krasse Gegenteil von einer Höhle. Das auf einem Hochplateau gelegene Haus bietet einen weiten Blick über die Landschaft am Nordrand der Sierra Nevada. Das Gebirge mit seinen mehr als 3000 Meter hohen Gipfeln ist beliebt bei Wanderern, die den Großteil ihrer Gäste ausmachen. „Zu uns kommen Naturliebhaber, die Ruhe suchen“, erzählt Eva. 17 Wanderwege hat sie für ihre zumeist deutschen Urlauber ausgekundschaftet. Sieben Touren beginnen direkt am Hotel, das in einem Naturpark liegt und umgeben ist von lichten Steineichenwäldern, Olivenhainen, Pinien und Ginsterbüschen. Besonders farbenfroh präsentiert sich das Frühjahr mit blühenden Wiesen vor der Kulisse der schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada. Ein Spaziergang im Duft von Thymian, Lavendel und Rosmarin gleicht dann einer Aromatherapie.

Trotz ihrer Schönheit liegt die Region im Vergleich zum Süden der Sierra Nevada touristisch noch im Dornröschenschlaf. „Hier freuen sich die Menschen noch auf Urlauber“, davon ist Eva überzeugt. Dies liegt wohl auch daran, dass es bisher so wenige sind.

Im Hochsommer schließt das Hotel für einige Wochen. Dann ist es mit Temperaturen von bis zu 40 Grad zum Wandern zu heiß. Wohl dem, der in einer kühlen Höhle wohnt.

Ulrich Willenberg

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