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Linz

© Kaiser

Linz: Erst die Kunst, dann die Torte

Linz an der Donau hatte es lange schwer: Die meisten Touristen sind einfach vorbeigefahren. Nun zieht die Kulturhauptstadt 2009 alle Register.

Oskar Kokoschka war ja nicht irgendwer. Und als der bedeutende Künstler zu Beginn der fünfziger Jahre der Bitte nachgekommen war, ihre Stadt zu malen, mochten die Linzer ihn umso mehr. Nur das Ergebnis hätte, bittschön, ein bisserl anders ausfallen können. Gewiss, das Grün und die Donau und die Basilika auf dem Pöstlingberg hatte er schön in Szene gesetzt in seinem Gemälde "Linzer Landschaft". Aber auf dem Bild waren eben auch die Industrieanlagen zu sehen. Und die, fanden die Linzer, hätte er doch wirklich weglassen können.

Seit der Stahlkrise in den siebziger Jahren rauchen hier kaum noch Schlote, doch die weitläufigen Werksanlagen sind ja nicht verschwunden. Noch immer ist Linz das Zentrum der oberösterreichischen Großindustrie. Lange versuchte die Stadt, ihr Image vom hässlichen Industriestandort abzustreifen. Vergeblich. Sogar bevor die Nazis mit den "Hermann-Göring-Werken" hier gigantische Fabrikareale errichteten, galt Linz jedoch nicht als Perle an der Donau. Ernst Moritz Arndt erinnerte nach seinem Besuch um 1800 "schlechte Gassen mit schönen Häusern", und Hans Christian Andersen erwähnte Linz einzig, weil er dort dem "teuren Wien" entronnen war und sich nun auf Salzburg freuen konnte. Die meisten Schriftsteller fuhren einfach durch die Stadt hindurch. So wie Franz Grillparzer, der 1836 notierte: "Regen. Kann nicht mal die Stadt ansehen, die ich zehnmal besehen und zehnmal wieder vergessen habe."

Nun soll alles anders werden. Linz ist Kulturhauptstadt 2009. Die ganze Welt soll kommen - und staunen. Über das vor sechs Jahren gebaute Lentos-Museum am rechten Donauufer, dessen gläserner Quader abends erst hellrosa, dann lila und magentafarben leuchtet. Und über das erst in diesem Jahr eröffnete Ars Electronica Center (AEC) auf der anderen Seite, in dem die Besucher in virtuelle Welten tauchen können. "Das ist kein normales Museum", sagt die Stadtführerin Ulrike Hack. "Da drin muss jeder selbst aktiv werden." Die spannende Wissenschaftswelt steckt in einer mutig konzipierten, futuristischen Hülle. Sobald es dunkel wird, schillert der Glasbau in Regenbogenfarben - wie ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das gegen den Strom schwimmt. Das passt zu Linz. "Nicht das Biedere und Brave macht die Stadt aus, sondern das bisserl Schräge", sagt Ulrike Hack.

Von der kühnen Moderne am Fluss bis ins 16. Jahrhundert hinein sind es nur wenige hundert Meter. Ein riesiger Platz ist da, in der Mitte eine reichverzierte, ungewöhnlich hohe Pestsäule, drumherum beeindruckende barocke Häuser. "Es ist sozusagen das Serviertablett der Stadt" sagt Ulrike Hack. Kaiser-Franz-Josef-Platz stand lange dran. Bis zum 121, März 1938, als sich 60 000 Menschen hier drängten und begeistert dem "Führer" auf dem Rathausbalkon zujubelten. Kurze Zeit später wurde der Adolf-Hitler-Platz daraus. Seit 1945 heißt er einfach nur "Hauptplatz". Die Leute, so vermutet Hack lächelnd, hätten Namen wohl nicht mehr getraut.

Dass sich rundherum während der Nazizeit baulich kaum etwas geändert hat, ist ein kleines Wunder. Denn Hitler wollte aus Linz, wo er seine Jugendjahre verbracht hatte, "seine" Stadt formen. Die Pläne für ein gigantisches Führermuseum, Führerbibliothek und Führerhotel waren von Roderich Fick und Albert Speer gezeichnet worden. Hitler wurden sie auf dem Obersalzberg präsentiert - er soll begeistert gewesen sein. Ausgeführt wurde indes nichts davon. Auch die monumentale Verbauung beider Donauufer fand nicht statt. Nur die von Hitler gewünschte mächtige Nibelungenbrücke spannt sich seit 1940 über den Fluss. Auch die beiden Brückenköpfe zeugen als überdimensionierte Plateaus vom Stil der Naziarchitektur. An einem hat man zur Platzseite für ein Projekt von Linz 09 den Putz abgeschlagen. Die Risse und Linien darin sollen die Wege jener Menschen symbolisieren, die damals fliehen mussten. "Die dunklen Jahre" nennen die Linzer jene Zeit. Und machen sie in diesem Jahr sichtbar. Für das Projekt namens In Situ wurden Details des Naziterrors in weißen Buchstaben aufs graue Pflaster geschrieben. Nüchterne Meldungen wie etwa in der Zollamtstraße 8. Da liest man: "Nach dem ,Anschluss' kommt es zu gewalttätigen Übergriffen auf die jüdische Bevölkerung. Im Café Olympia wird Ernst S. unter dem Beifall einer riesigen Menschenmenge misshandelt und verhaftet." Der Besucher erfährt auch, dass in der Reichspogromnacht am 9. November 1938 kein jüdisches Geschäft zerstört wurde. Zu diesem Zeitpunkt waren sie sämtlich längst geplündert und geschlossen. Schon wenige Stunden nach dem "Anschluss" im Frühjahr hatte der antisemitische Mob in Linz "ganze Arbeit" geleistet.

Die umfangreiche Ausstellung zum Thema "Kulturstadt des Führers" im Schloss begann schon im September 2008 und ist dieser Tage zu Ende gegangen. Ein Besuchermagnet, auch bei den Einheimischen. Warum sie nicht länger zu sehen ist? "Wir wollten nicht, dass dieses Thema alles andere überlagert", sagt ein Mitarbeiter von Linz 09. Linz wolle seine Vergangenheit nicht verstecken, aber vor allem Gegenwart zeigen. Und die steckt voller Kunst, Kultur und Lebensqualität.

Wenn es um Kaufkraft geht, rangiert die oberösterreichische Landeshauptstadt auf den vorderen Plätzen. 190 000 Menschen wohnen in Linz, und Zehntausende pendeln täglich zum Arbeiten her. Jobs in zukunftsweisenden Branchen sind entstanden, in kleinen und großen Betrieben wird geforscht, getüftelt, produziert. "Im Dezember lag die Arbeitslosigkeit bei 2,8 Prozent, jetzt, bedingt durch die weltweite Krise, ist sie auf gut vier Prozent gestiegen", sagt Ulrike Hack. Noch muss sich hier wohl niemand ernsthaft Sorgen machen.

So schlendern die Menschen entspannt die Landstraße entlang, schauen hier in einen Schmuckladen, probieren dort Schuhe an oder bewundern die Osterdekoration einer Bäckerei. Die Landstraße ist die Shoppingmeile der Stadt und zieht sich vom Hauptplatz fast drei Kilometer bis zur Ringstraße hin. In der Mitte fährt eine Straßenbahn, Autos stören nicht.

Erst recht nicht in den mal geraden, mal krummen Seitengassen, in denen man ausruhen und genießen kann. Natürlich auch die Linzer Torte. Zwar steht längst fest, dass sie nicht in Linz, sondern von einem Wiener Konditor namens Linzer erfunden wurde, aber nur hier schmeckt sie eben, wie sie schmecken soll. Das findet jedenfalls Fritz Rath, Inhaber der k. u. k. Hofbäckerei in der Pfarrgasse 17. "Dutzende von sogenannten Originalrezepten kreisen in der Welt herum", sagt Rath schmunzelnd, aber welches das echte, das von 1653 ist, wisse niemand genau. Damals hätte es eben - im Gegensatz zur viel jüngeren Sachertorte - noch keine Patente gegeben. Sein Rezept verrät Rath nicht, aber was er draus macht, schmeckt köstlich.

Wer eine "Linzer" nicht in der kleinen Konditorei, sondern in einem veritablen Kaffeehaus essen möchte, geht zu Traxlmayr an der Promenade 16. Seit einigen Jahren präsentiert sich die erste Adresse für Melange, Kuchen und kleine Gerichte wieder so, wie sie 1905 von Mauritz Balzarek, einem Schüler von Otto Wagner, im Stil der aufkeimenden neuen Sachlichkeit gestaltet worden war. Feine rote Linien betonen die hellgelbe Decke, es gibt Kronleuchter und rotgoldene Rhombenmuster auf den Polstern.

An den schön weit auseinander stehenden Marmortischen sitzen die Gäste - und lesen. 17 verschiedene Zeitungen liegen täglich aus, dazu zwei Dutzend Magazine. Stunden könnte man hier verweilen. Wenn Linz 09 den Besuchern bloß nicht so viel bieten würde. Überall lockt eine Attraktion. Im Adalbert-Stifter-Institut finden zur Mittagszeit oft Dichterlesungen statt. "Bei der ersten haben wir mit 40 Besuchern gerechnet, aber dann sind fast 150 gekommen", berichtet eine Mitarbeiterin. Und die hörten tatsächlich zu, betont sie, und kämen nicht nur zur später gereichten Gratissuppe im Erdgeschoss. Touristen, die den Mittagstermin verpassen, erfahren in den "Gedenkräumen" der einstigen Stifter-Wohnung viel über den bedeutenden oberösterreichischen Dichter und Pädagogen. Auch im Keplerhaus in der Rathausgasse drängen sich die Menschen, um zu hören, wie Wissenschaftler Phänomene erklären. "Die Vorgabe an die Experten ist, etwas wie zum Beispiel den Urknall mit einfachen Worten, also für alle verständlich zu machen", erzählt Ulrike Hack. Täglich um 18 Uhr finden sich Menschen vor der Stadtpfarrkirche ein. Denn dann steht einer auf dem Turm und bläst Trompete. Nie trompetet dieselbe Person, und nicht immer klingt's perfekt, aber alle haben ihren Spaß. Und spenden fröhlich Beifall.

Der Mariendom, die größte Kirche Österreichs, bietet rund 20 000 Menschen Platz. Die Gemäldefenster, alte konkurrieren hier auf spannende Art mit neuen, überraschen. Seit kurzem verfügt die Kirche über eine begehbare Innengalerie. Das Besondere im Kulturstadtjahr 2009: Sie haben - auf 65 Meter Höhe - die Türmerstube wieder belebt. Im Zweiten Weltkrieg hatte man sie eingerichtet, um von hier aus etwaige Bombentreffer schneller lokalisieren und Hilfe koordinieren zu können. Linz 09 hat die Stube für friedliche Zwecke wieder möbliert. Ein bisschen karg vielleicht, aber durchaus zweckmäßig. Eine Woche lang darf sich hier ein Mensch zurückziehen und ein Eremitendasein fristen. Tagebuch soll er schreiben, denken und meditieren. Eine kleine Handbibliothek steht dem Alltagsflüchtling zur Verfügung, Bücher nach eigener Wahl darf er nicht mit hinaufnehmen. "Aus allen Altersgruppen gab es Bewerbungen", sagt Ulrike Hack, und schnell waren alle Wochen des Jahres ausgebucht. Zur Mittagszeit im Dom steigt der "Eremit" zum Essen herunter und alle sind geladen, "sein Schweigen zu teilen".

Es sind die vielen Ideen, die Linz als Kulturstadt liebenswürdig machen. Lokale und globale, denn im OK, im offenen Kulturhaus, werden spannende Installationen aus aller Welt gezeigt. Klangparcours, neue Musikkompositionen im Brucknerhaus oder surrealistische Filmreihen, Linz 09 ist einfach überall.

Und wenn im Dezember alles vorüber ist? Dann garantieren 45 Museen und Galerien, Theater, Musiksäle und Festivals, dass sich hier niemand langweilen muss. Mit dem Slogan "Linz bringt's" wirbt die Stadt um Gäste. Dass man das extra betonen muss, findet die Software-Entwicklerin Alexa "a bisserl komisch". Woanders leben? "Bloß nicht", sagt ihre Freundin lachend. "Ist doch super hier." Könnte sein, dass die beiden künftig ein bisschen länger suchen müssen, um im Terrassencafé an der Donau ein freies Plätzchen zu finden. Sind einfach zu viele ausgestiegen in Linz. Dass die lange unentdeckte Stadt bei den Besuchern so gut ankommt, freut Ulrike Hack. Aber sie warnt: "Sie müssen sich Zeit nehmen für Linz." Den Pößlingberg etwa dürfe man nicht auslassen, schon weil die "steilste Schienbergbahn Europas" hinauffährt. "Oben haben Sie dann einen herrlichen Blick auf unsere Stadt", sagt Hack. Es klingt sehr stolz.

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