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Eleganz der Belle Epoque. Das Hotel Miramar eröffnete 1884, die Hautevolee strömte herbei. Das Haus ist noch immer erste Adresse in Opatija.

© p-a/Bildagentur Huber

Kroatien: Ein Sonnenschirmchen für die Dame

Wie vor hundert Jahren: Ein Spaziergang auf dem Lungomare, der zwölf Kilometer langen Promenade an der kroatischen Riviera.

Der Mann sitzt mit dem Rücken zum Meer und liest Zeitung. Natürlich ein Einheimischer. Wer jeden Tag schon beim Öffnen der Fensterläden bis nachts zum Schlummertrunk aufs Wasser schaut, der kann sich morgens im Café am Hafen auf die Zeitungslektüre konzentrieren. Hinter ihm stupsen sich sacht die vertäuten Boote an, das Meer liegt ruhig da. Der Mann liest seine „Novi List“. Wir sind in Volosko, einem Fischerdorf zwischen Opatija und Rijeka. Steile Gassen winden sich von der Küstenstraße hinunter ans Meer. Hier beginnt die zwölf Kilometer lange Promenade nach Lovran, die wir entlangspazieren wollen.

Eine schwarze Katze räkelt sich auf mächtigen Betonschalen. Was aussieht wie ein zerbrochener Brunnen ist ein Denkmal für Andrija Mohorovicic, 1857 in Volosko geboren, Meteorologe und Begründer der modernen Seismologie. Nach ihm heißen ein Krater auf dem Mond und eine Schicht zwischen Kruste und Mantel auf dem Mars. Und die Betonteile stellen die Erdschichten dar. Das kann natürlich kein Mensch wissen – deswegen steht es auf einem Schild daneben. Einige solcher Schilder folgen auf dem Weg, so lernt man noch etwas beim Spazierengehen.

Gibt es einen perfekteren Weg als am Meer entlang? Kaum vorstellbar, links die Fläche Blau, und rechts Villen, Gärten, Parks. Die violetten Dolden der Glyzinien hängen im Frühling so voll und schwer über die Mauern, dass man sich einmal fragen kann, wie viel Blüten eigentlich wiegen. Ihr süßer Geruch durchdringt die Luft.

Die Promenade wurde vor gut 100 Jahren angelegt. Manchmal ragt sie ausgelagert übers Meer hinaus. Sie folgt jeder kleinen Bucht und jedem Felsen. Der Messinghandlauf glänzt in der Sonne. Angler sind auch schon unterwegs. Sie lehnen an der Mauer, lassen sich von den Sonnenstrahlen wärmen, ihre Angeln stehen in Reih’ und Glied am Geländer.

Auch wenn die Promenade offiziell Kaiser-Franz-Josef-Weg heißt, nennt jeder sie Lungomare. Bereits 1873 begann der Tourimus an der kroatischen Riviera, die seinerzeit zu Österreich-Ungarn gehörte. Von jenem Jahr an fuhr die Eisenbahn von Wien bis Matulji. Tout Wien fuhr ans Meer, und wollte dort so hübsch flanieren wie im Schlosspark Schönbrunn. Friedrich Julius Schüler, Direktor der k. u. k. Südbahngesellschaft, ließ Hotels und Villen in Opatija und Lovran bauen und entwarf die Küstenpromenade. Praktischerweise befanden bald Ärzte, das „Spazieren im Meeresaerosol“ sei heilsam.

Von der Terrasse der Villa Neptun erklingt Frühstücksgeschirrgeklapper. Hier speiste der russisch-amerikanische Schriftsteller Vladimir Nabokov – als Fünfjähriger. Heute gehört die Belle-Epoque-Villa zum Hotel Miramar. Wir nähern uns Opatija, einer Abfolge von alten Villen und Hotels, und kaum verbauten Berghängen über dem Ortskern. Eine Bucht weiter leuchtet gelb das Kvarner, 1884 als erstes Hotel eröffnet. Noch ist wenig los auf der Promenade, einige ältere Frauen führen ihre kleinen Hunde aus.

Bald biegt der Lungomare ab in den Park der Villa Angiolina. Eine Gruppe Koreanerinnen spaziert an einer Mauer mit Streetart vorbei, die zeigt bunte Porträts berühmter Gäste im „Curort“ Opatija. Die Asiatinnen schützen ihren hellen Teint mit tief ins Gesicht gezogenen Schirmmützen und Seidenschals um den Hals. Zwischen Bambus und Palmen wuselt eine Frau in grüner Latzhose umher, sie trägt Kisten voller Blumen: Amela Ilic, 42, Gärtnerin im Park Angiolina. Soeben ersetzt sie die verblühten Tulpen aus dem verschlungenen Barockbeet vor der Villa, sie schleppt Begonien, Tagetes und Salvia. Kräftige bunte Farben.

Sozialismus konnte der Idylle erstaunlich wenig anhaben

Mag keine Kamelien. Amela Ilic, Gärtnerin im Park Angiolina.
Mag keine Kamelien. Amela Ilic, Gärtnerin im Park Angiolina.

© Barbara Schaefer

Berühmt ist der Park jedoch für seine Kamelien. Damit muss man Amela aber nicht kommen. „Ich mag die Kamelie nicht, eine verwöhnte Zicke. An einem Tag sieht sie gut aus, und am nächsten hat sie plötzlich gelbe Blätter. Was ist denn nun schon wieder los?“ Die Büsche bräuchten Dünger, Schatten, saure Erde. Sie kommen von weit her, aus Asien, „sind einfach nicht die richtigen Pflanzen für diese Gegend“. Die alten Zedern und die großen Pinien, sagt Amela, „sind die Könige im Park“.

Einen Schatz hütet sie in einem kleinen Topf in der Gärtnerei im Park. „Das ist meine Feige. Ich habe mir ein Zweiglein bei einem alten Mann geholt, der hatte einen alten Baum mit kleinen, gelben, sehr süßen Feigen.“ Eine ältere Frau kommt dazu, fragt etwas. Das Wort Kamelie kommt oft darin vor. Die sei krank, übersetzt Amela und verdreht die Augen. Sie empfiehlt ihr, Leguan-Dung zu kaufen. „Super für Kamelien“, sagt Amela Ilic.

Der Weg durch den Park führt zur kleinen Kirche St. Jakob. Um 1420 entstand hier ein Kapuzinerkloster, diese Abtei war namensgebend für den Ort, der auf Italienisch Abbazia hieß, was dasselbe bedeutet wie auf kroatisch Opatija. „Abbazia, Idylle von der Adria“ hieß 1883 ein Reiseführer aus Wien, und wenn vor dem Hotel Milenij ein junges Paar in historischen Kostümen promeniert – sie mit Sonnenschirmchen, er mit Zylinder – soll das daran erinnern. Ein halbes Jahrhundert Sozialismus konnte der Idylle erstaunlich wenig anhaben, und der Großteil der alten Gebäude ist nun renoviert.

Weiter am Opatijaner Ufer entlang verweisen nur große Betonterrrassen im Meer auf die 1970er Jahre. Opatija war selbst im Sozialismus ein beliebtes Reiseziel, auch für Ostdeutsche. Die mussten allerdings meist ein Familienmitglied als „Pfand“ in Deutschland lassen. Zu verlockend waren die offenen Grenzen des südlichen Bruderstaates. „Wir haben Familienzusammenführungen in Venedig gesehen, und das nicht nur einmal, mit Schiffen ...“, erinnert sich Guido Schwengersbauer, der seit 40 Jahren als Reiseleiter in Jugoslawien und jetzt in Kroatien arbeitet. Eine Frau aus Ost-Berlin schwärmt noch von der Warenwelt, die hier geboten wurde. „Meine erste Schweppes“, sagt sie, „das war ein Fest.“

Nun, später Vormittag, sind auch italienische Urlauber auf dem Lungomare anzutreffen. Das kurze Frühstück beendet, beginnen sie zu flanieren – bis heute der Italiener sportlichste Betätigung am Meer. Wer allerdings schon länger unterwegs ist, könnte nun einen Happen vertragen. Um diese Jahreszeit Risotto mit wildem, leicht bitteren Spargel. Passend dazu ein Glas Zlachtina, Wein von einer weißen, aus der Region stammenden Traube.

Oder sollte man eine Bucht weiter ein Bad wagen? Empört zeigte sich die Wiener Gesellschaft von den Sitten am Meer. Zur Zeit der ersten Hotels schwamm die einheimische Bevölkerung im Sommer entsetzlich freizügig. Die Männer gingen nackt ins Meer, und badeten mit Frauen gemeinsam. „Ausgschamt!“, rief die Habsburger Hautevolee. Baden ohne Hose war von nun an verboten, Kinder mussten Tücher, die Männer Hosen und die Frauen sogar Alltagskleidung tragen. Doch jetzt ist es den meisten noch zu kalt. Vor den Felsen dümpelt ein Taucher ganz in Neopren, er schnorchelt und zieht eine rote Boje hinter sich her.

Westlich von Opatija wird es ruhiger. Der Lungomare ist nicht so gepflegt, der Handlauf des Geländers etwas matt. Weiter geht es nach Lovran. Immer wieder gestatten schmiedeeiserne Tore Blicke in Parks. Still liegt das Meer. Den Horizont begrenzt die Insel Cres, das Meer erinnert an den Gardasee mit seinen Parks und Villen am Westufer. Icici, Ika, Lovran, dann endet der Lungomare. Mit dem Bus fahren wir zurück nach Opatija. Am Nachmittag zieht plötzlich eine Regenwand auf, die Palmen im Park Angiolina werden arg geschüttelt.

Als wir abends noch einmal auf die Promenade gehen, um in Volosko zu essen, erinnert nichts mehr an einen ruhigen See. Wellen peitschen heran, Gischt spritzt über die Promenade. Vor dem nächsten Regenguss erreichen wir das Plavi Podrum der Sommelière Danijela Kramaric. Nach all den Spazierstunden lassen wir viele Gänge auftischen. Die Kvarner Scampi schmecken so frisch, als hätte sie gerade erst eine Welle an Land gespült.

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