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Wer vom Wasser kommt, hat den besten Blick auf die Konstanzer Altstadt. Die umstrittene „Imperia“ steht gleich am Hafen, das Konzilsgebäude ist rechts zu sehen.

© imago/Joana Kruse

Konstanz: Dann kamen die frommen Freier

„Konstanzer Konzil“: Wie die Stadt am Bodensee im kommenden Jahr ihre Geschichte feiert.

Es wird im vergangenen Frühjahr gewesen sein, als der Konstanzer Nono und die Konstanzerin Mandy ein Vorhängeschloss kauften, mit Nagellack beschrieben und an einem Stahldrahtzaun unweit des Bodenseeufers befestigten. Sie wollten damit ihre ewige, unknackbare Liebe dokumentieren. So weit, so trivial – wenn die beiden ihr Unterpfand nicht ausgerechnet unmittelbar unterhalb der „Imperia“ angeschlossen hätten. Die ist nämlich, nun ja, das Wahrzeichen von Hurerei und Untreue.

Die neun Meter aufragende Hafenfigur, die üppigen Brüste blank, trägt ein krummbuckliges Königsmännlein in der rechten und ein zwergwüchsiges Papstkasperle in der linken Hand und dreht sich alle fünf Minuten um die eigene Achse, mal der Stadt Konstanz den Hintern zeigend, mal dem Bodensee. Die Provokation erschütterte in den 1990er Jahren die Konstanzer Bürgerschaft, weil der Bildhauer Peter Lenk damit einer der rund tausend „Hübschlerinnen“ ein Denkmal gesetzt hatte. Diese waren als mittelalterliche Sexarbeiterinnen den Kardinälen, Bischöfen, Äbten und Prälaten zu Diensten, die sich zwischen 1414 und 1418 zum „Konstanzer Konzil“ einfanden, also vor genau 600 Jahren.

Damals galt es, zu einer einheitlichen Zählweise zurückzukehren, ein Kirchenschisma abzuwenden und einen einzigen Papst zu finden. Zwischenzeitlich hatten sich nämlich drei Päpste zu Stellvertretern Christi auf Erden ernannt und sorgten für eine beträchtliche Unübersichtlichkeit in Kirche und Welt. Ein Konzil war fällig. Schnell war Konstanz als neutraler Ort ausgeguckt; die Stadt konnte einigermaßen gut erreicht und wieder verlassen werden.

Fromme Freier, örtliche Hurenhäuser und verschwiegene Absteigen

Vier Jahre lang verhandelten zahllose geistliche und weltliche Herren zumeist im Konstanzer Münster und direkt am Bodensee im Konzilsgebäude – die Einritzungen im Holzgebälk sind die erhalten gebliebenen Hinterlassenschaften gelangweilter Kleriker. Manche schwänzten die Disputationen wohl ganz und stahlen sich schon vor dem offiziellen Feierabend zu einer „Hübschlerin“.

Während des Konzils bezichtigte man den böhmischen Kirchenreformer Jan Hus der Ketzerei, lockte ihn mit falschen Versprechungen aus Prag nach Konstanz und verbrannte ihn vor der Stadtmauer. Zwei Jahre später einigten sich die Herren Kardinäle im Vier-Päpste-Jahr 1417 darauf, alle drei aktuellen Päpste respektive Gegenpäpste abzusetzen und einen gewissen Martin V. neu zu inthronisieren.

An diese Zeit des Konzils vor 600 Jahren wollen Konstanz und die umliegende Bodenseeregion in den kommenden vier Jahren erinnern; jedes Jahr steht, mit vielen Festen und Veranstaltungen, unter der Schirmherrschaft einer historischen Figur, etwa König Sigismund (2014), Jan Hus (2015), Martin V. (2017) oder Minnesänger Oskar von Wolkenstein (2018). Die Namensgeberin des Jahres 2016 wird jene legendäre Hure „Imperia“ sein, unter deren Denkmal die Konstanzer Liebespaare heute ihre stählernen Treuebekundungen abschließen.

Über fromme Freier, örtliche Hurenhäuser und verschwiegene Absteigen schrieb und zeichnete auch der Konstanzer Ortschronist Ulrich Richental (1360–1437), der wie ein genau beobachtender Lokalreporter das Konzil in Texten und Bildern beschrieb, vor allem das Leben drum herum. Eine Handschrift mit den bebilderten Lokalreportagen, die vor allem den wirtschaftlichen Alltag zur Zeit des Konzils lebhaft widerspiegeln, wird derzeit im Konstanzer Rosgartenmuseum in einem hermetischen Stahlschrank aufbewahrt, in den Privilegierte durch einen Schlitz wie zum Zwecke einer Peepshow hineinlugen dürfen. Aus der Museumsleitung ist zu erfahren, dass an einer besseren Präsentation gearbeitet werde.

Dem mittelalterlichen Zeitgeist auf die Spur

Bis dahin können Besucher in Faksimiles blättern oder dem aktuellen Stadt- und Konzilsführer Henry Gerlach folgen, der sich für besondere Gäste auch schon mal als Ulrich Richental wandet und Konstanz nahebringt, detailverliebt und geschichtensatt. Viele dieser Stories und Histörchen hat er zu „In Nomine Diaboli“ verdichtet, einem 790-Seiten-Kriminalroman aus der Zeit des Konstanzer Konzils. Um auch als Fremder den Verirrungen und Verstrickungen des Romanhelden Cunrat Wolgemut folgen zu können, bietet sich der Münsterplatz an, wo zwischen Domdekaneihof und Münsterkirche ein dreidimensionales Stadtmodell steht. Für viele war – und ist – Konstanz eine Zwischenstation: Ein blau-gelber, muschelförmiger Jakobswegweiser – nach Santiago de Compostella sind es noch schlappe 2340 Kilometer – ist an die Kastanie vor dem etwas mickrigen Münsterturm genagelt.

Ein paar Schritte weiter sind, unter einer mannshohen Pyramide aus dickem Glas, Überreste des Kastells aus der Konstanzer Römerzeit zu besichtigen. An der Turmwand spreizt sich ein Wasserspeier ins Gegenlicht, der mal wie ein genervter Zauberlehrling wirkt, mal wie ein verkorkster Scherenschnitt. Die Einkaufsstraße ist nicht weit; eilig rumpeln und rollen Mütter Kinderwagen und -karren mit protestierenden Sprösslingen über die Pflastersteine vor dem Münster. Im Inneren des Doms stützt Urvater Abraham als bärtiger Prophet den Kanzelstuhl auf seinem Kopf, scheint ihn mit den Fingerspitzen auszubalancieren wie eine Afrikanerin ihren Krug auf dem Weg von der Wasserstelle.

Gasse zum Münster
Gasse zum Münster

© picture-alliance/ dpa

Um an die Wasserstellen der Konstanzer – der Rhein, der Bodensee – zu gelangen und gleichzeitig ein wenig dem mittelalterlichen Zeitgeist der Konzilszeit auf die Spur zu kommen, empfiehlt sich ein spätabendlicher Weg durch Niederburg, den ältesten Stadtteil von Konstanz. Ähnlich schummrig wie heute mag es auch vor 600 Jahren gewesen sein, als sich die Konzilsteilnehmer, immer an den Mauern des Klosters Zoffingen und der Spitalkellerei entlang, in ihre Quartiere schlichen. Oder sie kehrten noch zur nächtlichen Spätdisputation ein, führten ungezählte Humpen zur Brust und prosteten, die ewige Liebe beschwörend, der einen oder anderen „Hübschlerin“ zu, bevor sie im Morgengrauen in die Brückengasse taumelten – vielleicht aus einem Wirtshaus heraus, das heute das „Haus der aufgehenden Sonne“ in der Konstanzer Altstadt ist.

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