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Auf ein Glas Wein und andere Köstlichkeiten. Im Podere Piccioli wird Landurlaub der feinen Art gepflegt.

© Stefanie Bisping

Toskana: Duett mit Pavarotti

Urlaub auf dem Bauernhof bekommt als „Agriturismo“ in Italien insbesondere eine kulinarische Note. Ein Besuch in der Toskana.

Als die Sonne hinter die Hügel sinkt und die ockerfarbenen Mauern des Hauses noch einmal aufleuchten lässt, versammeln sich die Gäste im Garten. Es ist Zeit für ein Glas Wein. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum sich alle auf der Terrasse vor dem über dem Sprengel San Donato gelegenen Haus einfinden. Die Familie aus Sachsen, die vier Freunde aus dem Rheinland, das Paar aus Mannheim – sie sind einem Pawlowschen Reflex gefolgt, der sie um diese Zeit in die Nähe der Küche zieht. Sie wollen wissen, welche Speisen Gastgeberin Grazia heute gezaubert hat. Sie hat gemeinsam mit Yolanda, einer Freundin der Familie, ihre Menüplanung bereits am Morgen um sechs Uhr mit einem Espresso begonnen. Grazia kocht mit Yolandas Unterstützung Tag für Tag für ihre Gäste traditionelle toskanische Gerichte, verfeinert mit Kräutern aus dem Garten und Öl der Olivenbäume hinterm Haus.

Jeder Tag im Agriturismo Podere Picciolo endet an der langen Tafel im Kaminzimmer oder, wenn es sommerlich warm ist, auf der Terrasse. Das gemeinsame Gelage ist das Herzstück des Aufenthalts im Agriturismo. Etwa 2000 kleine Familienbetriebe auf dem Land gibt es allein in der Toskana, sie bieten „Urlaub auf dem Bauernhof“ auf Italienisch. Sie haben wenige Betten – der Gutshof Podere Picciolo vermietet fünf Zimmer und eine Ferienwohnung –, hoteltypische Annehmlichkeiten wie abendlichen Turndown-Service oder eine Minibar gibt es nicht. Und: Die Gäste müssen willens sein, Tisch und Tischgespräch mit Fremden zu teilen. Für frisch Verliebte oder Flitterwöchner ist diese Urlaubsform daher eher ungeeignet. Alle anderen eint in der Regel eine Gemeinsamkeit: ein Faible für die Freuden der einfachen italienischen Küche – und fürs einfache Landleben.

Am Morgen zwitschern Vögel, über dem Arno-Tal vor dem Fenster liegt ein Nebelstreif. Am Tag faulenzen die Besucher am Pool oder erkunden die Gegend, die mehr Sehenswürdigkeiten in sich vereint als manch großes Land. Am Abend ist nicht mehr zu tun, als an der langen Tafel Platz zu nehmen: vor dem Kamin, der die Größe eines Kleinwagens hat, und unter den Blicken der Großmutter des Hausherrn, die bildschön anzusehen als Porträtgemälde von der Wand herablächelt.

Es gilt, Tisch und Gespräche mit Fremden zu teilen

Heute wird Lasagne serviert, nach einem Rezept von Grazias Großmutter, gefolgt von Schweinebraten, den die Hausherrin im Ofen geschmort und erst zum Schluss mit Olivenöl beträufelt und mit gehacktem Knoblauch und Rosmarin garniert hat. In bauchigen Karaffen leuchtet dunkelrot der Landwein. Die Gäste tauschen sich aus über die Erlebnisse des Tages. Mancher hat es nur bis zum kleinen Pool geschafft, wo sich der Tag mit der Beobachtung der Wolken am Himmel vertrödeln lässt.

Andere erzählen von Streifzügen durch Reggellos Outlets italienischer Designer oder von ihrem Besuch in der womöglich schönsten aller Städte – Florenz; die nächsten haben den Tag in Arezzo verbracht. Riccardo, Grazias Mann, hat seinen Gästen schon beim Frühstück Tipps für die Erkundung der Umgebung gegeben. Er weiß, wo man im 20 Autominuten entfernten Florenz parken sollte, welche Geschäfte in Siena interessant sind und wo man in Reggello, dem nächsten Städtchen, Hustensaft bekommt.

Und Riccardo kennt natürlich die Sehenswürdigkeiten, die es angesichts der Fülle von Kunstschätzen der Toskana trotz ihrer Schönheit nicht in die Reiseführer schaffen: das verträumte alte Grand Hotel in Saltino etwa, das auf 980 Meter Höhe einen Panoramablick bis nach Florenz öffnet und vor bald 100 Jahren Wintersportadresse für die Florentiner Hautevolee war, und die nahe Abtei von Valombroso. Beides liegt nur wenige Kilometer oberhalb des Gutshofs inmitten eines Kiefernwaldes, den wohlhabende Florentiner einst eigens aus nordeuropäischen Pflanzen anlegen ließen, um es in ihrer Sommerfrische schattig und kühl zu haben.

Riccardo und Grazia leben ihren Traum

Schnell stellt sich das Gefühl ein, bei Freunden zu Besuch zu sein. Die Küchentür ist immer offen, und bald halten sich auch die Gäste nicht mehr damit auf, ihre Türen abzuschließen. Lernwillige weiht Grazia in die Geheimnisse der Herstellung frischer Ravioli ein. Am Abend bilden die Teigwaren in Butter und Salbei den ersten warmen Gang. Bei den Gesprächen in der Küche und beim Essen beginnt man zu begreifen, woher die kulinarische Obsession der Italiener stammt. Womöglich ist ihnen der innere Zirkel aus Familie und Freunden nicht nur das eigentliche Universum, sondern das gemeinsame Essen auch dessen Zentrum.

Teamarbeit. Grazia und Riccardo Busso sind Gastgeber in Podere Picciolo.
Teamarbeit. Grazia und Riccardo Busso sind Gastgeber in Podere Picciolo.

© Stefanie Bisping

Riccardo und Grazia Busso haben mit dem eigenen Agriturismo ihren Lebenstraum wahrgemacht. Beide stammen aus dem Piemont, ebenfalls eine Region, in der sich das Leben in erster Linie um kulinarische Genüsse dreht. Als Sohn Lorenzo flügge wurde, wollte Grazia ihre Leidenschaft fürs Kochen in geselliger Runde zum Beruf machen. „Sie kann ja nicht still sitzen“, sagt Riccardo in stiller Resignation. Dazu ist nun auch keine Gelegenheit mehr. In einer gewaltigen Anstrengung restaurierten die beiden den Gutshof aus dem 16. Jahrhundert, den sie an einem grauen Wintertag des Jahres 2008 spontan kauften – trotz des finsteren Februarhimmels und des desolaten Zustands der Gebäude eine Liebe auf den ersten Blick.

Die Begeisterung für das Objekt, das mit zehn Hektar Landwirtschaft eine Menge Arbeit macht, für gutes Essen und nicht zuletzt die Harmonie zwischen Ort und Menschen teilt sich auch den Gästen mit. Wenn am Morgen Grazia in der Küche mit dem seligen Übertenor Pavarotti um die Wette „O sole mio“ singt, fühlen sich die Gäste ein wenig wie im Film. Und wenn Riccardo am Abend gewaltige Florentiner Steaks auf dem handgefertigten Holzkohlengrill in der Außenküche gart, wünschen sie sich, länger zu bleiben.

In Siena gibt's den besten Metzger weit und breit

So zart ist das Fleisch, für das Grazia am Morgen eigens bis kurz vor Siena gefahren ist, weil dort der beste Metzger weit und breit ansässig ist. Beilagen brauchen diese Steaks nicht, allenfalls ein wenig grünen Salat. Sie sind mit Rosmarinzweigen gegrillt, darüber kommen nur ein paar Raukeblätter, Olivenöl eigener Herstellung und etwas Salz.

Dass die Gäste in dieser Woche alle Deutsche sind, ist Zufall – auch wenn es für deutschsprachige Italienreisende angenehm ist, dass die Bussos nach Jahren in Deutschland die Sprache perfekt beherrschen. Neben Europäern zählen auch Amerikaner zu den Stammgästen des Hauses. Eine Familie aus den USA mietet einmal im Jahr das gesamte Gut und übernimmt mit ihm auch die Herrschaft über die Küche. So schön es sein mag, das Anwesen für sich zu haben – die beiden wesentlichen Komponenten des Aufenthalts im Agriturismo fehlen dann: die abendlichen Gaumenfreuden aus der Küche der Hausherrin und die Tischgespräche mit anderen Gästen.

Agriturismo-Betriebe gibt es vom Trentino bis Sizilien. Eine Übersicht im Internet unter agriturismo.it/de; Broschüren für verschiedenene Regionen beim Fremdenverkehrsamt, Telefon: 069 / 23 74 34

Beispiel: Podere Picciolo, Doppelzimmer ab 38 Euro pro Person (Nebensaison) bis 66 Euro (Juli/August), inklusive Frühstück. Das Abendmenü kostet 25 Euro. Geöffnet von Ostern bis zur Olivenernte Anfang November. Telefon: 00 39 / 055 / 865 21 65, Internet: agriturismopoderepicciolo.com

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