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Was für ein Blick! Vom Schloss auf dem Arenenberg im schweizerischen Salenstein schaut der Besucher direkt auf die Insel Reichenau.

© mauritius images/Westend61

Bodenseegärten: Spaziergänge durch die Zeit

Gestaltete Landschaften: Das Netzwerk „Bodenseegärten“ vereint 13 erstaunliche Parks und Anlagen.

Schade, aber aus den Zuckererbsen ist dieses Jahr nichts geworden: Zu kalt, zu früh gelegt, zu viel Regen vielleicht während der Keimzeit – so genau weiß man das ja nie. Da half es auch nicht, dass Matthias Thalmann die Samen pünktlich zum Vollmond in die Erde gebracht und mit einer guten Portion des sehr speziell präparierten Komposts versehen hatte – auch wer nach Demeter-Regeln arbeitet, hat keine Garantie fürs Gelingen.

Der Salat dagegen steht gut im Biogarten von Schloss Wartegg am Bodensee. Auch die „Blaue St. Galler“ im Kartoffelbeet machen einen gesunden Eindruck. Und eben baut der Meister mit seiner Kollegin Elvira Exer das Gerüst für die Stangenbohnen auf: „Klapproths lila Schecke“ hat sich seit Jahren bewährt.

Tief gebräunt, drahtig, ergrauende Locken – der 49-Jährige wirkt, als wäre er eben dem Bilderbuch des Biogärtners entsprungen. Und aus seinen Augen spricht die Liebe zum Beruf. Seit 2000 baut er das ehemalige Maisfeld zu einem „Garten für den ganzen Menschen, für Kopf, Herz und Hand“ um. „Gemüse mit Terroir“, Karotten und Rote Bete, aus denen man den Standort herausschmeckt, sind sein Ziel. Dafür müht er sich, alte Arten, vergessene Sorten zu erhalten. Deswegen wachsen hier Knollenziest, Haferwurz und Große Klette. Und Süßdolde, Ingwerminze und Griechischer Bergtee hat auch nicht jeder in seinem Kräutergarten stehen.

Mit ihren Produkten beliefert die Gärtnerei das hoteleigene Restaurant – auch wenn die Köche nicht mit jedem Neuzugang einverstanden sind: „Der Hirschhornwegerich hat dort keine Freunde gefunden. War ihnen wohl zu bitter“, sagt Thalmann schief lächelnd. Grundsätzlich sind die Kollegen jedoch sehr interessiert, neue alte Geschmacksträger auszuprobieren, und auch die Floristin bedient sich bei Akelei, Wiesenraute und Schwarzem Emmer, um luftige Gestecke zu komponieren. Die Erbse-Minz-Suppe mit Blüten der Blauen Jungfer erweist sich auch als geschmackliches wie ästhetisches Erlebnis.

Der Park von Schloss Meersburg macht streng auf Barock

Matthias Thalmanns Gartenreich ist Teil des Netzwerks „Bodenseegärten – eine Reise durch die Zeit“. Darin haben sich 13 Parks und Anlagen zusammengeschlossen, um gemeinsam auf sich aufmerksam zu machen. Der Bodensee mit seinem milden Klima war so etwas wie die Wiege der Gartenbaukultur für Deutschland, ansehnliche Beispiele aus vielen Jahrhunderten haben sich bis heute erhalten. So weist denn auch jede Anlage ihre unverwechselbare Besonderheit auf: Die steinzeitlichen Gärten in Frauenfeld und Hemmenhofen bauen Kolbenhirse, Buchweizen und Ackerbohne an, Gemüse, mit dem unsere ganz frühen Vorfahren dem Hunger trotzten.

Ganz bei der Sache. Mathias Thalmann, Biogärtner auf Schloss Wartegg
Ganz bei der Sache. Mathias Thalmann, Biogärtner auf Schloss Wartegg

© Franz Lerchenmüller

Auf der Insel Reichenau wachsen die Pflanzen aus dem „Hortulus“, dem ersten Gartenratgeber, den der Mönch Walahfrid Strabo vor fast 1200 Jahren geschrieben hat. Der Park von Schloss Meersburg demonstriert, in welch strengen Formen Gärten im Barock angelegt sein mussten, um als modisch zu gelten. Die Insel Mainau, die Stadt Überlingen und der Lindenhofpark in Lindau warten mit zahlreichen jener Exoten auf, die die Gartenplaner im 19. Jahrhundert mit nicht endender Begeisterung sammelten, und die inzwischen zu wahren Giganten herangewachsen sind: Mammutbäume, Blauzedern, Ginkgos, Sumpfzypressen.

Es findet hier also jeder Besucher „seinen“ Garten: der Feinschmecker, der Ästhet, der Historiker, der Flaneur. Und auch der um seine Gesundheit besorgte Zeitgenosse. Im schweizerischen Roggwil gründete der Heilpraktiker Alfred Vogel 1963 seine Firma Bioforce, die heute mit 500 Mitarbeitern weltweit jedes Jahr 350 Tonnen Frischpflanzentinktur produziert. Das Standbein des Unternehmens sind Tropfen und Tabletten aus dem Roten Sonnenhut, Echinacea purpurea, die vorbeugend gegen Erkältungen wirken sollen.

Pünktlich zum 50. Geburtstag gönnte sich die Firma gar einen „Echina Point“, ein Info-Zentrum in Form einer Blüte auf dem Acker, in deren sieben Segmenten sich viel über Geschichte und die Philosophie des Unternehmens erfahren lässt. Die Produkte des Hauses sind nebenan im Laden für einen ordentlichen Frankenbatzen zu erwerben.

Königin Hortense ließ in Arenenberg einen englischen Park anlegen

Fürst Pückler legte auch im Garten des Schlosses auf dem Arenenberg Hand an.
Fürst Pückler legte auch im Garten des Schlosses auf dem Arenenberg Hand an.

© Franz Lerchenmüller

Gratis dagegen ist der Blick über den See vom Arenenberg im Kanton Thurgau, gleich hinter der Grenze bei Konstanz. Und auch den Park zum Schloss darf jeder unentgeltlich betreten, während das dazugehörige Napoleonmuseum Eintritt verlangt. David Brogle arbeitet seit 1999 hier als Landschaftsgärtner. Milde gebräunt, die Sonnenbrille hochgeschoben ins schwarze Haar, ginge der 48-Jährige ohne Weiteres als Luftikus in Filmkomödien durch, erweist sich jedoch als tiefgründiger Kenner der Gartenbaugeschichte und Philosoph seines Berufs.

Königin Hortense de Beauharnais, die Schwägerin Napoleons I., kaufte nach ihrer Vertreibung 1815 den Arenenberg, ließ das Schloss errichten und einen englischen Park anlegen, zu dem auch Fürst Pückler Ideen beisteuerte. Als in den 1960er Jahren gleich daneben eine Landwirtschaftsschule gebaut wurde, kippte man den Aushub einfach den Hang hinunter, der sehr bald zuwuchs und zu einem „Schattenloch“ wurde. Erst Anfang des neuen Jahrtausends kam die Idee auf, die alten Strukturen freizulegen.

Es gab Pläne des Parks, doch keine Abbildungen davon. Sieben Meter Erde mussten die Bagger abtragen, dann kamen die Wände einer Tuffgrotte und Fundamente einer ehemaligen Eremitage zum Vorschein. Zwei Jahre werkelten die Arbeiter, das Ergebnis kann sich – im Sinn des Wortes – sehen lassen.

"Wir Gärtner, wir malen mit der Zeit"

Deutlich ist heute zu erkennen, wie die Planer die existierende Landschaft aufnahmen und umformten. Am einen Ende bauten sie eine gewundene Straße hinein, säumten sie mit einer Allee und bauten einen Pavillon. Weit geht der Blick von hier über den See, fängt sich an hohen Säulenpappeln in Ermatingen und schweift weiter übers Wasserblau. Am Steilhang entlang führt der Weg durch Wald auf eine Lichtung. Hier hindern hohe Bäume den Ausblick – mit voller Absicht.

Der Betrachter soll sich dem Kessel zur Linken widmen: der wiederhergestellten Grotte, der Fontäne, dem Nachbau der kleinen Eremitage-Hütte. Ein paar Meter weiter öffnet sich der Blick erneut, zwischen einer Blutbuche und einer großartigen Eiche kommt gegenüber die Insel Reichenau in Sicht – und man versteht, wie die Planer mit Sichtachsen, Waldrändern und Einzelbäumen spielten, um das zu schaffen, was sie unter einer „romantischen Landschaft“ verstanden.

Die Gärtner von heute führen das fort: Der Bach, den es einst gab, soll wiederhergestellt, die Pappelallee neu gepflanzt werden. Manche Bäume werden beschnitten, andere belassen. „Ob der Park damals tatsächlich so aussah, werden wir nie erfahren“, sagt David Brogle nachdenklich. „Aber man muss nicht nur festhalten, man muss auch weiterentwickeln. Wir Gärtner, wir malen mit der Zeit.“

Tipps für den Bodensee

ANREISE

Mit der Bahn ab Berlin über Mannheim, Ulm, Friedrichshafen in knapp neun Stunden nach Überlingen.

Alternativ: Flug mit Intersky von Tegel nach Friedrichshafen (ab etwa 250 Euro).

ÜBERNACHTEN

Hotel Villa Rosengarten: Vier Sterne im Überlinger Gartengürtel, von manchen Zimmern geht der Blick auf den Rosengarten, und bis zum Zentrum sind es fünf Minuten zu Fuß. (Telefon: 075 51 / 928 20, Internet: hotel-villa-rosengarten.de); Doppelzimmer / Frühstück ab 122 Euro.

Schloss Wartegg: Fernseher und Internet finden sich nicht auf den Zimmern, dafür strömt frische Landluft zum Fester rein, die Schafe blöken und im weiten Park duften die Linden (Telefon: 00 41 / 71 / 858 62 62, Internet: wartegg.ch); Doppelzimmer/Frühstück ab 210 Euro.

Bildungs- und Beratungszentrum Arenenberg: Schöne Zimmer hoch überm See, herrliche Ruhe, wenn die Tagestouristen abgereist sind – und den Sonnenuntergang gibt’s gratis zum kühlen Müller-Thurgau (Salenstein, Telefonnummer: 00 41 / 71 / 663 33 33, arenenberg.ch); Doppelzimmer / Frühstück 170 Euro.

GÄRTEN

Gartenkulturpfad Überlingen, Telefonnummer: 075 51 / 947 15 22, ueberlingen-bodensee.de

Insel Mainau, Telefon: 075 31 / 30 30, Internet: mainau.de

Lindauer Gartenkulturpfad, Lindau Tourismus, Telefon: 083 82 / 26 00 30, Internet: lindau-tourismus.de

Heilpflanzenwelt Roggwil, Tel: 00 41 / 71 / 454 62 42, erlebnisbesuche.avogel.ch

Schloss und Park Arenenberg, Telefonnummer: 00 41 / 58 / 345 74 10, napoleonmuseum.ch

Deutsche Bodensee Tourismus GmbH, Friedrichshafen, Telefonnummer: 075 41 / 402 8995, Internet: echt-bodensee.de

PAUSCHALEN

Angebote für Einzel- und Gruppenreisen zu den Bodenseegärten bietet die Internationale Bodensee Tourismus GmbH (Hafenstraße 6, 78462 Konstanz; Telefon: 075 31 / 90 94 90, Internet: bodenseegaerten.eu); beispielsweise zwei Übernachtungen/Frühstück und Besichtigungen ab 275 Euro

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