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Vater unser im Himmel: Die Worte des Gebets sollen von Jesus selbst stammen.

© Arno Burgi/dpa-Zentralbild/dpa

Papst Franziskus kritisiert deutsche Übersetzung: Wird das Vaterunser umgeschrieben?

"Und führe uns nicht in Versuchung": Das sei eine schlechte Übersetzung, meint der Papst. Denn nicht Gott führe Menschen in Versuchung, sondern der Satan. Die EKD widerspricht.

Das Vaterunser wird in fast jedem Gottesdienst von Christen aller Konfessionen gebetet. Kein Text aus der Bibel ist bekannter, er steht zentral in der Mitte der Bergpredigt. Am wichtigsten aber: Den Text soll Jesus selbst formuliert haben, als Antwort auf die Bitte eines seiner Jünger, sie das Beten zu lehren. Deshalb wird das Vaterunser, begleitet oft von Glockengeläut, im Gottesdienst so angekündigt: „Mit Jesu Worten beten wir“, oder „Lasst uns beten, wie der Herr es uns gelehrt hat“. Darf man diesen Text verändern?

Just das soll nach dem Willen von Papst Franziskus geschehen. Am vergangenen Mittwoch kritisierte das Oberhaupt der Katholischen Kirche im italienischen Fernsehen die deutsche Formulierung „Und führe uns nicht in Versuchung“. Das sei keine gute Übersetzung, meinte Franziskus, denn nicht Gott, sondern der Satan führe die Menschen in Versuchung. „Ein Vater tut so etwas nicht. Ein Vater hilft, sofort wieder aufzustehen.“ Die Übersetzung „Lass mich nicht in Versuchung geraten“ träfe es besser.

Was für Außenstehende überraschend kam, wurde in anderen Ländern schon umgesetzt: Die römisch-katholische Kirche Frankreichs hat ihre Übersetzung des Textes zu Beginn des neuen Kirchenjahres am 1. Advent geändert. Dort heißt es jetzt „Lass uns nicht eintreten in die Versuchung“. Die Schweizer Bischöfe wollen zu Ostern 2018 folgen. Auch die reformierten Kirchen der Schweiz reagieren positiv. Betont wird besonders der ökumenische Aspekt des Vaterunsers. Protestanten und Katholiken sollten weiterhin einen gemeinsamen Text beten können.

Ganz neu ist die Kontroverse also nicht. Bereits im 20. Jahrhundert hatten Theologen vorgeschlagen, diese sechste von sieben Bitten aus dem Vaterunser des Matthäus-Evangeliums – bei Lukas gibt es nur fünf Bitten – neu zu übersetzen. Das zentrale Argument: Gott zu unterstellen, er würde Menschen in Versuchung führen, widerspreche dem Geist der biblischen Botschaft, wie er etwa im Jakobusbrief zum Ausdruck kommt: „Niemand, der in Versuchung gerät, sage: Ich werde von Gott versucht; denn Gott kann nicht vom Bösen versucht werden und führt auch niemanden in Versuchung.“

In ihrer „Luther-Bibel 2017“ bleibt die EKD dem Original treu

Alternativvorschläge gibt es zuhauf. In der ökumenischen „Gute Nachricht Bibel“ heißt es: „Lass uns nicht in Gefahr kommen, dir untreu zu werden.“ Der Neutestamentler Klaus Berger schlug vor: „Führe uns an der Versuchung vorbei.“ In der „Bibel in gerechter Sprache“ steht: „Führe uns nicht zum Verrat an dir!“ Die „Freien Christen“ beten: „Du führst uns in der Versuchung und erlöst uns von dem Bösen.“

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat alle Übersetzungen geprüft und blieb in ihrer „Luther-Bibel 2017“ dem Original treu. Auch nach der Kritik des Papstes will sie an der gängigen Übersetzung des Vaterunsers festhalten. Sie verteidigte den Gebetstext in der Form, wie er auch in der Luther-Bibel 2017 enthalten ist. „Dabei bleiben wir auch“, teilte die EKD am Freitag auf ihrer Facebook-Seite mit. Befürchtet werden auch Akzeptanzprobleme in den Gemeinden, ist aus Kirchenkreisen zu hören. Der Text des Vaterunsers werde mit nur minimalen Änderungen – „erlöse uns von dem Bösen“ statt „dem Übel“ – seit Jahrhunderten gebetet. Er sei in seiner geläufigen Form ein tradiertes Identitätsmerkmal jedes Christen.

Im Juni 2010 sendete „Deutschlandfunk Kultur“ einen Beitrag des Theologen und Publizisten Uwe Birnstein zu dem Thema. Darin kam ausführlich der Berliner Theologe und Professor für Antikes Christentum, Christoph Markschies, zu Wort. Er verteidigte die alte Version mit dem Hinweis, dass die Übersetzung des griechischen Wortes „peirasmos“ mit „Versuchung“ eine sehr eingeschränkte und keineswegs erschöpfende Bedeutung wiedergebe. Möglich seien ebenso „Prüfung“ und „Erprobung“. Und Prüfungen habe Gott den Menschen sehr wohl auferlegt. Man denke an den Baum der Erkenntnis im Paradies oder den Befehl an Abraham, seinen Sohn Isaak zu opfern. „Gott führt in Situationen, in denen die Menschen leicht in Versuchung geraten können“, sagt Markschies. „Die Versuchung selbst vollzieht der Teufel.“

Man dürfe das Vaterunser nicht verharmlosen

Der Bochumer Theologe Thomas Söding hat sich nach der französischen Initiative, die Übersetzung zu ändern, im August 2017 ebenfalls eingehend mit dem Originaltext befasst. Der Sinn des griechischen Textes sei unzweideutig, meint er. Zwar hätten alle recht, die sagen, das Vaterunser umschließe die Hoffnung, von Gott vor der Versuchung bewahrt zu werden. Aber eine solche Übersetzung verharmlose das Vaterunser. „Sie zieht dem Gebet einen Stachel.“

Auch der Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer warnt vor einer „Verfälschung der Worte Jesu“. Es gehe nicht an, „Jesus diesbezüglich zu korrigieren“. Die Bibel würde sonst aufhören, „Zeugnis von Gottes Offenbarung zu sein“. Allerdings hatte Voderholzer das nach der französischen Initiative, aber vor der Kritik an der deutschen Übersetzung durch Papst Franziskus gesagt.

Die deutsche Übersetzung des Vaterunsers stammt von Martin Luther und datiert auf das Jahr 1522. In Luthers „Kleinem Katechismus“ heißt es dazu: „Gott versucht zwar niemand; aber wir bitten in diesem Gebet, dass uns Gott behüte und erhalte, damit uns der Teufel, die Welt und unser Fleisch nicht betrüge und verführe in Missglauben, Verzweiflung und andere große Schande und Laster.“

Welches Wort trifft den Geist einer Überlieferung? Wer sich an dieser Frage orientiert, spürt dem Sinn von Texten nach, auch ihren Gedanken, die sie provozieren, und den Gefühlen, die sie auslösen. Der Haupteinwand dagegen lautet: Eine solche Exegese sei befangen im jeweiligen Zeitgeist.

"Wir müssen mit Gott im Gebet ringen"

Welches ist die wortgetreuste Übersetzung? Wer sich an dieser Frage orientiert, hat ein Bild von biblischer Wahrheit vor Augen, die losgelöst von jeder Zeitgebundenheit existiert und Widersprüchliches, Unverständliches und Sperriges enthalten kann. Der Haupteinwand dagegen lautet: Auch die Bibel muss historisch-kritisch gelesen und verstanden werden.

Berlins Bischof Markus Dröge verteidigt die Ankündigung der EKD, an der deutschen Luther-Übersetzung festzuhalten. „Wir können nicht die Spannungen in der Bibel auflösen und erklären: Für das Böse ist allein der Teufel zuständig“, sagte er dem Tagesspiegel. „Sondern wir müssen mit Gott im Gebet ringen und fragen können, warum er Böses zulässt.“ Andernfalls bestünde die Gefahr eines dualistischen Gottesverständnisses, hier Gott, dort der Teufel.

Ein kleine Pointe freilich hat die Kontroverse noch: Die EKD verteidigt die Tradition gegen den Reformeifer des Vatikans. Das gab es nicht oft.

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