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Von der Mafia betreut? Auch Europas größtes Flüchtlingszentrum im sizilianischen Mineo befindet sich im Visier der italienischen Ermittler.

© picture alliance / dpa

Organisierte Kriminalität: Mafia führte Flüchtlingsheim in Italien

Ein Flüchtlingszentrum in Kalabrien befand sich praktisch vollständig in der Hand der ’Ndrangheta. Der Mafia-Clan zweigte mindestens 36 Millionen Euro in die eigenen Kassen ab.

Die gemeinnützigen Vereine und Kooperativen, die in Italien im Auftrag des Staates die Flüchtlingszentren führen, tragen meist wohlklingende und unverdächtige Namen. So auch im Fall des Aufnahme- und Asylzentrums im kalabresischen Isola di Capo Rizzuto bei Crotone: Die „Bruderschaft der Barmherzigkeit“ hatte sich vor Jahren den Auftrag gesichert, das mit rund 1500 Plätzen zweitgrößte Asylzentrum Italiens zu führen. Die Flüchtlingsbetreuung ist ein Millionengeschäft – allein in Form von Geldern der Europäischen Union (EU) sind zwischen 2006 und 2015 über 100 Millionen Euro in das Zentrum im äußersten Süden Kalabriens geflossen.

Ermittlungen der Staatsanwaltschaft von Catanzaro haben nun ergeben, dass sich das Zentrum von Isola di Capo Rizzuto praktisch vollständig in der Hand der kalabresischen ’Ndrangheta befand: Zusammen mit dem Präsidenten der „Bruderschaft der Barmherzigkeit“, Leonardo Sacco, sind bei einer Großrazzia am Montagmorgen insgesamt 68 Personen verhaftet worden. Die meisten von ihnen gehören direkt dem mächtigen ’Ndrangheta-Clan der Arena-Familie an oder sind mit diesem liiert. Von den über hundert Millionen EU-Geldern sind laut Erkenntnissen der Staatsanwälte rund 36 Millionen Euro unrechtmäßig in die Kassen des Clans abgezweigt worden.

Leonardo Sacco, die Schlüsselfigur der Affäre, ist laut der Staatsanwaltschaft ein klassischer Strohmann der Mafia: Laut den Ermittlungen hat er als „Präsident der Bruderschaft der Barmherzigkeit“ dafür gesorgt, dass die von der Zentrumsleitung an Drittunternehmen vergebenen Aufträge für die Verpflegung, die Wäsche und andere Dienste an die „richtigen“ Adressen erfolgten. Meist handelte es sich dabei um eigens für diesen Zweck vom Arena-Clan gegründete Firmen. Hinter Gitter gewandert ist auch der Priester von Isola di Capo Rizzuto, welcher der Führung des Zentrums eine zusätzliche Aura von Frömmigkeit verliehen hatte – und sich ebenfalls schamlos bereichert haben soll: Don Edoardo Scordio – so heißt der Mann – hat laut der Staatsanwaltschaft unrechtmäßig 132 000 Euro für angebliche „sprirituelle Dienste“ in Rechnung gestellt. Das Geld deponierte der Priester auf einem Schweizer Bank.

Wenn in Süditalien öffentliche Gelder fließen, sind die Mafia-Clans in der Regel nicht weit

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft an die bei der gestrigen Razzia verhafteten Personen sind die üblichen in solchen Fällen: Sie lauten auf Mitgliedschaft in einer mafiösen Vereinigung, Erpressung, illegalen Waffenbesitz, schweren Betrug zulasten des Staates und Ähnliches.

Bei der Arena-Familie handelt es sich um eine der gefährlichsten und mächtigsten an der Küste des Ionischen Meeres: In den Provinzen Catanzaro und Crotone befinden sich große Teile der lokalen Wirtschaft unter ihrer Kontrolle; wer sich dem Arena-Clan widersetzt, muss mit Anschlägen gegen sein Geschäft oder auch gegen Familienmitglieder rechnen. Ihr Strohmann Sacco wiederum ist politisch bestens vernetzt und unter anderem mit Außenminister Angelino Alfano, einem Sizilianer, befreundet. Sacco soll es auch geschafft haben, einzelne Auftragsvergaben des Flüchtlingszentrums von Lampedusa im Sinne der Clans „pilotiert“ zu haben.

Der Verdacht, dass die Mafia ihre Tentakel auch in die lukrative Flüchtlingsbetreuung ausgestreckt hat, steht schon länger im Raum: Wenn in Süditalien irgendwo öffentliche Gelder in größerem Umfang fließen, sind die Clans in der Regel nicht weit. Auch das größte Flüchtlingszentrum Europas, jenes im sizilianischen Mineo mit 4000 Plätzen, befindet sich im Visier der Ermittler. Dort soll das Römer Verbrecherkartell „Mafia Capitale“ mitkassiert haben. Der Hauptstadt-Mafia wird seit einigen Monaten in Rom der Prozess gemacht.

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