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Alles so schön kafkaesk hier: Kinder in einer Kita.

© dpa/picture-alliance

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Franz Kafka: „Der Kindergarten“

Es schien, als baue man den BER zu Ende: Wie die Verlängerung einer Fluchttreppe in einer Charlottenburger Kita zur kafkaesken Episode wurde.

Seitdem mein Sohn in eine Berliner Kita geht, habe ich diese Stadt erst richtig kennengelernt. Die Kita heißt Sara, befindet sich im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf und ist bilingual. Es gibt ErzieherInnen aus England, Schottland, Neuseeland, Amerika, und in der roten Gruppe meines Sohns gibt es eine Irin, die singen kann wie Dolly Parton. Dazu die Kinder. Sie vereinen Nord- mit Südeuropa, Vorder- mit Ostasien und Afrika mit Südamerika, es ist wunderbar.

„In deiner Gruppe singt die ganze Welt im Morgenkreis“, sage ich meinem Sohn immer, ich glaube, ich gehe mittlerweile lieber in die Kita als er.

Die Kita hat seit Jahren 400 Kinder auf der Warteliste und oben ein Dachgeschoss, das die beiden Chefinnen Doris Rapp und Sabine Laße, Rheinländerinnen, gerne ausbauen würden. Drei Jahre kämpfen sie schon, zusammen mit dem Besitzer der Immobilie, beim Bezirksamt, Abteilung Stadtentwicklung, Fachbereich Bauaufsicht, um weitere 38 Kitaplätze zu schaffen. Ein Jahr dieses Kampfes habe ich mitbekommen, mich wundert in dieser Stadt gar nichts mehr.

Die "Direktion West Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz" riet ab

Es ging um die Verlängerung einer Fluchttreppe, um 2,50 Meter, in einem Hinterhof. Man könnte daraus einen Kafka-Roman über den behördlichen Wahnsinn in der Hauptstadt machen.

Der Amtsleiter der Bauaufsicht lehnte die verlängerte Fluchttreppe ab, sie läge nicht in der „gesetzlichen Bebauungslinie“ und müsste „eingehaust“ werden.

Von der „Einhausung“ riet aber die „Direktion West Vorbeugender Brand- und Gefahrenschutz“ ab, da man von eingehausten Treppen unzureichend retten könne, das leuchtete sogar mir ein. Ein Jahr später erklärte die Direktion Brandschutz, man rate zur Einhausung, da die Feuerwehr bei Treppen nicht anleitere.

2012 hatte die Bauaufsicht einen Bewilligungsbescheid für die Fluchttreppe erteilt, die gebunden war an eine Rückbauverpflichtung des Eigentümers, falls die Nutzung des Gebäudes nicht mehr an die Kita gebunden sei. Eine Rückbauverpflichtung bot der Eigentümer für die beantragte Verlängerung der Fluchttreppe natürlich auch an, logisch, wenn er die untere Fluchttreppe zurückbaut, muss er auch die obere zurückbauen, sonst würde sie ja in der Luft schweben, oder?

Jetzt hieß es, diesmal vom gewählten SPD-Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung selbst, die Verlängerung würde die „Zäsur zwischen Hauptbauköper und Dach aufheben“.

Irgendwann kam Frank Henkel zum Wahlkampfauftakt vorbei

Hallo? Zäsur zwischen Hauptbaukörper und Dach? Wie gesagt, es ging um den Hinterhof, es ging seit drei Jahren um 38 neue Kitaplätze, um jene Kitaplätze, die in keiner politischen Wahlkampfrede von Schulz, Merkel oder sonst wem mehr fehlen dürfen. Irgendwann kam Frank Henkel von der Berliner CDU zum Wahlkampfauftakt und versprach, wenn er Regierender werden würde, dann könne er als erste Amtshandlung die Verlängerung der Fluchttreppe genehmigen, aber Henkel verlor die Wahl.

Es schien, als baue man eher Rom nochmal neu oder den BER zu Ende als eine verlängerte Fluchttreppe im Hinterhof in Charlottenburg-Wilmersdorf.

Am Montag fielen mir beide Kitaleiterinnen gleichzeitig um den Hals. Der neue grüne Bezirksstadtrat für Stadtentwicklung schickte nach drei Jahren endlich jemanden zur Begutachtung vor Ort! Die Zäsur zwischen Hauptbaukörper und Dach darf nun aufgehoben werden – und die Zäsur zwischen dem Verstand und den gegebenen Notwendigkeiten dieser Hauptstadt wohl auch. Mein Sohn bekommt jetzt 38 neue Freunde.

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