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Wenig haben macht glücklich: Joachim Klöckner in seiner leeren Wohnung

© Marlen Mueller

Gesellschaft: Maximaler Minimalismus

In komplizierten Zeiten sehnen sich immer mehr Menschen nach dem einfachen Leben. Lina Jachmann hat eine Anleitung zur Befreiung von der Last der Dinge geschrieben.

Perfekter Lidstrich zum dunklen Pony, Ringelshirt zur schwarzen Hose - Mimi, die ihren Nachnamen nicht verraten möchte, sieht aus wie einem Nouvelle-Vague-Film entsprungen. Es ist offensichtlich, dass der zierlichen 27-Jährigen ihr Äußeres wichtig ist. Dennoch besitzt sie nur 18 Kleidungsstücke. Denn Mimi ist Minimalistin. Wie sie aus wenig viel macht, wie sie also aus ihren 18 Kleidungsstücken immer neue Outfits zaubert oder für eine Reise alles, was sie braucht, in eine kleine Tasche packt, schauen sich Tausende auf dem Youtube-Kanal „Minimal Mimi“ an.

Und im gerade erschienenen Buch „Einfach Leben“ von Lina Jachmann.

In dem schön gestalteten und reich bebilderten Band gibt die Berliner Autorin eine Anleitung für einen minimalistischen Lebensstil. Ausführlich betrachtet sie das Phänomen in Kapiteln über Wohnen, Mode, Körperpflege und Ernährung und gibt jede Menge praktische Tipps von der Anleitung zum Ausmisten, über das Rezept für selbst gemachtes Deo bis hin zur Zusammenstellung einer „Capsule Wardrobe“, einer Garderobe also, die nur aus ausgesuchten Lieblingsteilen besteht, die alle kombinierbar sind. Das erleichtert die Entscheidung beim Anziehen und hilft dabei, den eigenen Stil zu definieren. Außerdem trifft Jachmann unterschiedliche Menschen, die der Wunsch vereint, ein glücklicheres Leben zu führen, indem sie sich von Dingen befreien. „Der minimalistische Lebensstil hilft uns dabei, alles Überflüssige loszulassen und die Aufmerksamkeit auf das Wesentliche zu richten: glücklich zu sein“, ist sie überzeugt.

Bei ihr selbst begann die Reise damit, dass sie Veganerin wurde. „Ich musste die Dinge auf einmal sehr viel genauer anschauen. Wer die Ernährung entrümpelt, kommt schnell dazu, auch andere Bereiche zu entrümpeln.“

Mimi wurde von dem Wunsch angetrieben, „irgendwie die Welt besser zu machen.“ Früher habe sie zu viel gekauft, sagt sie, heute macht ihre Mutter sich Sorgen, weil es so wenig ist und bietet immer wieder an, der Tochter etwas zu schenken. „Aber ich brauche wirklich nichts“, sagt Mimi und lächelt strahlend.

Minmal Mimi vor ihrem Kleiderschrank
Minmal Mimi vor ihrem Kleiderschrank

© Marlen Mueller

Immer weniger braucht auch Joachim Klöckner, der zu einer Art Star der Minimalismus-Bewegung avanciert ist. Der 67-Jährige kommt mit insgesamt 50 Dingen aus. Was in den 80ern aus der Sorge um die Umwelt begann, entwickelte sich zur persönlichen Herausforderung, der er sich immer wieder neu stellt. Weil er auf Reisen nicht mehr am Gepäckband warten wollte, hat er seinen Besitz kürzlich so weit reduziert, dass er ins Handgepäck passt. Dabei hat er gar nichts gegen Dinge. Jeder soll so viele haben, wie ihm Freude machen, findet er. „Ich bin einfach für Freude und Leichtigkeit. Wenig tote Dinge erlauben mir viel Zeit für Leben.“ Klöckner geht sogar so weit, zu sagen, Minimalismus sei für ihn eine Art Meditation. „Er gibt mir diese Klarheit.“

Bewusster Lebensstil, der mit einem hohen Anspruch an die Gegenstände einhergeht, mit denen man sich umgeben möchte, liegt im Trend. Der Wunsch nach den „guten alten Dingen“ beschert Traditionsmanufakturen, die lange Zeit ums Überleben kämpfen mussten, ungeahnten Aufschwung.

Nostalgie, Sinnsuche und Überdruss angesichts des Überangebots an unter menschenverachtenden Bedingungen hergestellter Billigware nähren die Sehnsucht nach einem einfachen Leben, gerne - zumindest am Wochenende- auf dem Land.

Alle Weltreligionen predigen Konsumverzicht

Eigentlich ist das nichts Neues. Alle Weltreligionen predigen Konsumverzicht als Abkürzung auf dem Weg zu Gott und bereits 300 vor Christus sagte der griechische Philosoph Epikur „Wem genug zu wenig ist, dem ist nichts genug.“ Philosophen- und Dichterkollegen pflichteten ihm im Laufe der Jahrhunderte bei. Goethe verstand sich selbst „als einen Reisenden, der vielem entsagt, um vieles zu genießen“ und der englische Dichter Robert Browning verkündete im 19. Jahrhundert den Satz, der als Grundsatz aller Minimalisten gelten kann: „Weniger ist mehr.“

Mit seinem Roman „Walden“, in dem er sein Leben im Wald beschreibt, verfasste Henry David Thoreau eine Art Manifest für den „Lifestyle of „Voluntary Simplicity“, der gewissermaßen die Kehrseite des konsumorientierten American Way of Life darstellt.

Was Walden seine Blockhütte, ist den bärtigen Zivilisationskritikern von heute ihr Tiny House. Um die perfekten kleinen Häuser oder Wohnwagen, in die nur das Allernötigste hineinpasst, ist ein regelrechter Kult entstanden.

Für Gestalter hat die Reduktion auf das Wesentliche schon immer einen großen Reiz gehabt von den Bauhaus-Designern bis hin zu Coco Chanel, die sagte: „Einfachheit ist der Schlüssel jeder wahren Eleganz.“ Dem würde die „Queen of Less“, Jil Sander, sicherlich ebenso beipflichten wie die Berliner Designer Michael Sontag und Perret Schaad.

Natürlich ist der in Blogs und schönen Bildbänden gefeierte Minimalismus ein Luxus-Phänomen. Wenig haben könnte sich an sich jeder leisten. Der Sinn für das sorgfältige Kuratieren weniger besonderer Gegenstände, die man in sein Leben lassen möchte, dürfte den wirklich Armen aber wohl abgehen. Auch die, die - ganz minimalistisch - auf Feldbetten in Turnhallen schlafen, haben wahrscheinlich andere Sorgen.

Und das Nichtkaufen ist auch nicht der Königsweg zur Rettung der Welt. Schließlich hängen Millionen von Arbeitsplätzen und damit Existenzen am Konsum. „So wie ich lebe, schade ich im Grunde dem System“, ist sich Minimalist Joachim Klöckner durchaus bewusst. Im Prinzip hat er auch gar nichts gegen Wachstum ohne das Kapitalismus, so wie wir ihn kennen, nicht funktioniert. „Ich sehe großes Wachstums- und Investitionspotenzial in den Bereichen Bildung und soziale Beziehungen.“

Lina Jachmann, „Einfach Leben - Der Guide für einen minimalistischen Lebensstil“, mit Fotografien von Marlen Mueller, Knesebeck Verlag, 240 Seiten, 24,95 Euro

Bettina Homann

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