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Fashion Week in Berlin: Li Edelkoort sagt Trends voraus

Trendforscherinnen sind ihrer Zeit voraus. Was Li Edelkoort, eine der bekanntesten, für den Sommer 2019 auf ihren Seminaren verkündet, passt zu der Entwicklung. die in der Gesellschaft spürbar ist: Das Zeitalter der Frauen bricht an. Ein Interview mit der Niederländerin.

Li Edelkoort trägt gern dick auf: Für sie sind Göttinnen die neuen Leitbilder für Frauen. Sie ordnet die verschiedenen Frauentypen 16 Göttinnen mit ihren verschiedenen Eigenschaften und Vorlieben zu. Da gibt es Mutter Erde, die sehr wütend ist, weil wir sie so schlecht behandeln. Oder die unabhängige Hestia, die keine Männer braucht und allein lebt, wie es viele junge Frauen heute tun. Sie mag kräftige Farben wie Orange und Gelb und Lila. Die verführerische Aphrodite dagegen bevorzugt Hauttöne und trägt transparente Kleider, Volants und Ohrringe, die jetzt wieder sehr wichtig werden. Ihnen allen ist gemeinsam: Sie wollen sich ausdrücken, ihre Weiblichkeit in den Mittelpunkt stellen, auch über die Mode. Während diese im Moment von einer Unisex-Ästhetik geprägt ist, Einflüsse aus Streetwear und Funktionskleidung bestimmend sind, wird sie schon bald geschlechtsspezifischer werden und große Inszenierungen erleben.

All das erzählt die 67-Jährige einem sehr aufmerksamen Publikum, dass sich Tag ein, Tag aus mit Mode beschäftigt. Das Unternehmen Liganova in Stuttgart ist der Gastgeber und

deutsche Partner des Studio Edelkoort für die Designer, Firmeninhaber und leitenden Angestellten. Li Edelkoort spricht im sogenannten „Brand Retail Space“. Das Untergeschoss ist so etwas wie das Labor für den Einzelhandel. Denn bei Liganova wird auch über die Zukunft des Einzelhandels nachgedacht. Da gibt es interaktive Schaufenster und Spiegel, die Kleidung bestellen.

Aber heute geht es um die Bilder von Göttinnen, die Li Edelkoort für ihren Vortrag an die Wand wirft. Die Fotografien sind von atemberaubender Schönheit und sie kommen einem sehr vertraut vor. Kein Wunder, seit mehr als 40 Jahren hilft die Niederländerin der Designwelt mit ihrer Beratungsfirma Trendunion, die richtigen Stimmungen, Farben und Formen für die übernächste Saison zu finden. Die Ästhetik von Li Edelkoort hat die Modeindustrie geprägt. Sie spricht nicht wie eine Prophetin, erzählt, wie man von seiner Arbeit erzählt. Das ist wohl ihr niederländischer Pragmatismus: Sie wird nun mal dafür bezahlt, herauszubekommen, was in der Luft liegt. Edelkoort selbst hält nicht an dem eingeübten System fest. Vor drei Jahren hat sie ein Manifest geschrieben, darüber, dass es mit der Mode nicht so weitergehen kann.

Sie setzt all ihre Hoffnungen in die Jugend – sie glaubt daran, dass wir knapp entkommen, und weiß, dass Dinge Zeit brauchen. Wenn sie mit ihren 67 Jahren von 30 Jahren spricht, die es braucht, bis sich etwas durchsetzt, weiß sie auch, dass es andere erleben und vor allem umsetzen müssen, was sie jetzt orakelt.

Und da Li Edelkoort eine kluge Frau ist, richtet sie sich auch noch mal ausdrücklich an die Männer im „Space“, die sollten sich nicht ausgeschlossen fühlen. Auch sie würden sich in vielem ändern, wie, das erzählt sie hier im Gespräch in ihrer Mittagspause:

Sie sagen, dass es nicht mehr notwendig ist, dass Frauen und Männer Beziehungen wie bisher haben?
Wir sind mitten in einer Evolution. In den letzten 15 Jahren es gab viele Scheidungen, viele neue Heiraten und Untreue überall. Und all das wegen des Internets, der Suche nach Freiheit und Abenteuer. Es gibt viele Kinder, die in zwei oder mehr Haushalten großgezogen werden, die neu zusammengesetzten Patchworkfamilien sind wirklich ein großes Thema. Und eine Menge älterer Frauen bekommen Kinder – Lastminute-Babys, weil kein Partner da ist. Es gibt also jede Menge Zeichen im Moment. Ich habe noch nie etwas so Trauriges gemacht, aber es ist sehr fassbar für mich, das sich bei Frauen und Männern alles verändert.

Sie sagen, dass Männer heute viel häuslicher sind. Liegt es daran, dass Frauen heute unabhängiger sind?
Nein, es begann damit, dass Männer anfingen, sich für Kinder zu interessieren. Jetzt wollen die Jungs früher Babys als die Frauen, sich um sie kümmern, also eine aktive Vaterschaft leben. Das hatten wir noch nie in unserer Geschichte. Der Mann ging zum Jagen nach draußen, die Frau blieb beim Feuer. Es gibt also eine Mutation der Gesellschaft – und plötzlich driften Männer und Frauen auseinander. Es gibt zwar noch eine Anziehungskraft, aber einfach nicht mehr die Notwendigkeit von beiden Seiten, zusammen zu sein.

Die Modewelt hat sehr aufgeregt auf Ihr Manifest zum Tod der Mode reagiert. Sie haben einen Nerv getroffen, hatten Sie das so erwartet?
Nicht in diesem Maße. 50.000 Leute haben das Video dazu angesehen. Das ist verrückt, ich bin ja kein Popstar. Aber es ist gut, weil es eine echte Bewegung ist. Und wir setzen das fort. Es wird eine Konferenz im Juni geben, wir werden Vertreter unterschiedlichster Branchen und eine Menge junger Leute einladen, wir versuchen dazu eine Website mit all den guten Ideen zu entwickeln.

Was war Ihr Anliegen mit dem Manifest?
Ich wollte nur klarmachen, dass es keine wirkliche Mode mehr gibt. Der letzte wirkliche Kreateur, Azzedine Alaïa, ist im November gestorben. Jetzt machen alle nur noch Kleidung – es macht mir nichts aus, da sind viele schöne Sachen darunter.

Was könnte eine Alternative zum Massenkonsum sein?
Der einzige Weg ist, dass eine junge Generation nicht mehr so viel besitzen will und nicht mehr so sehr in Dinge investiert. Es ist einfach nicht möglich, den Planeten weiterhin so zu verschmutzen. Aber die junge Generation ist sich sehr viel bewusster darüber, wie gefährdet unser Leben ist.

Man spürt gerade eine Menge Angst.
Das ist der Grund, warum ich mit der Antifashionbewegung Neues erforsche. Es gibt so viele junge Designstudenten, die auf dem Weg sind. Sie wollen ein neues System, sich nicht mit dem alten zufriedengeben. Sie denken nicht so viel über neue Kleidung, sondern eher über ein neues System dafür nach.

Schönheit ist Ihnen offensichtlich sehr wichtig.
Das ist wie eine Heilung, wir sind von einer Menge hässlicher Dinge umgeben und wir brauchen eine Balance. Und da gibt es eine Menge, was du als Kunde kaufen kannst, zum Beispiel ein schönes Tuch, ein Paar Sandalen, großartige Ohrringe, das gibt allem anderen Glanz und macht es besonders. Da muss man nicht jede Saison 25 neue Teile kaufen.

Mehr zur Berliner Mode im Blog zur Fashion Week.

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