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Merckle

© dpa

Mit Aktien verzockt: Leer verkauft

Der Ulmer Selfmade-Unternehmer Adolf Merckle war der fünftreichste Mann Deutschlands – bis er auf fallende VW-Kurse setzte.

Von Andreas Oswald

Es ist kein Grund, Mitleid zu haben oder Schadenfreude zu empfinden, aber es ist eine markante Tatsache, dass die ersten Verlierer der Finanzkrise die Milliardäre sind. Ihre Vermögen zerrinnen mit jedem Tag, an dem die Kurse purzeln. Und mancher von ihnen hilft selber noch ein bisschen nach, um ärmer zu werden. Adolf Merckle wird bei „Forbes“ als fünft reichster Mann Deutschlands geführt. Das ist er jetzt wohl nicht mehr. Nach Angaben des „Handelsblatts“ verhandelt Merckle derzeit mit einem Bankenkonsortium über einen Überbrückungskredit, der ihn retten soll. Dem Ulmer Unternehmer droht der Absturz. Er soll mit VW-Aktien im großen Stil auf sinkende Kurse gesetzt und katastrophal verloren haben. Nach verschiedenen Medienberichten ist er jetzt über eine Milliarde Euro ärmer. Die Vorgänge um die Kapriolen der VW-Aktie bekommen nun erstmals ein Gesicht. Mancher hat sich in den letzten Wochen gefragt, wer eigentlich diese Leerverkäufer sind, die zwischenzeitlich über 1000 Euro für die VW-Aktie bezahlen mussten, um ihre geliehenen Aktien zurückgeben zu können (s. Kasten).

Für diese Spekulanten waren die letzten Wochen eine Katastrophe. Und Merckle war wohl ganz groß dabei. Wie kommt es, dass ein Multimilliardär, dazu ein gestandener, solider deutscher Unternehmer und Geschäftsmann, sich auf solche Spiele einlässt? Ist es Gier? Können Reiche ihren Hals nie voll kriegen?

Der Ulmer Selfmade-Milliardär, dem der größte deutsche Generikahersteller Ratiopharm, der größte deutsche Pharmahändler Phoenix und der größte deutsche Baustoffkonzern Heidelberg Cement gehören, gilt als konservativ wirtschaftender Patriarch. Er ist der größte Waldbesitzer Deutschlands und wird als ein Mann beschrieben, der auf seiner eigenen Hauptversammlung wie ein Kleinaktionär wirkt. Er tritt gänzlich unspektakulär auf, grüßt jeden, gibt jedem die Hand und wacht über sein Reich wie ein Vater. Nie käme es ihm in den Sinn, seine Firmen zu verkaufen. Er gilt als sparsam, er hasst Verschwendung. Er verkörpert genau jenen Typus von Unternehmer, den wir jetzt so sehr vermissen, seit die Banken mit ihren abenteuerlichen Finanzkonstruktionen die Welt in den Abgrund reißen.

Das „Handelsblatt“ hat errechnet, dass Merckles Imperium in letzter Zeit Schulden in Höhe von 16 Milliarden Euro angehäuft hat. Vor allem durch Firmenzukäufe. Expansion ist in guten Zeiten etwas Gutes. Doch jetzt, wo Finanzierungen mit den Banken teurer werden oder ganz verweigert werden, kann eine solche Schuldenlast in den Ruin führen. Den Berichten zufolge soll Merckle einen Verkauf des hochprofitablen Unternehmens Ratiopharm erwägen.

Eine Frage steht im Raum. Wollte Merckle in der Not zum großen Rettungsschlag ausholen und witterte mit der VW-Spekulation einen sicheren Gewinn? Wollte er damit sein Reich retten?

Es wäre das umgekehrte Motiv wie das der Banken, die sich mit ihrem großen Zocken ruiniert haben. Merckle, hätte er edle Absichten gehabt, wäre aber auch ein Beispiel, dass beim Zocken das Motiv keine Rolle spielt. Am Ende steht die Katastrophe, wenn das Risiko nicht eisern begrenzt wird.

Es gibt derzeit viele Beispiele, wie Milliardäre ihre Milliarden verlieren. An ihrem Lebensstandard wird das wahrscheinlich nicht allzu viel ändern, aber sie haben im Moment ziemlich viel Stress. Madeleine Schickedanz verlor Milliarden, als der Konzern Arcandor – früher Karstadt-Quelle – über 90 Prozent seines Werts einbüßte und sie auf dem Weg nach unten noch viel Geld aus ihrem übrigen Vermögen einschoss, weil sie ihren Vorstandsvorsitzenden Thomas Middelhoff wohl für einen Magier hielt.

Im Moment richten sich die Augen auf Maria-Elisabeth Schaeffler. Der Familienkonzern aus Herzogenaurach, auch er bekannt durch seine konservative, traditionelle Haltung, geriet durch die Übernahme von Conti in die Schlagzeilen und siegte über den Abwehrkampf des Managements und der Gewerkschaften. Ein bitterer Sieg. Anschließend kam die Finanzkrise. Schaeffler hatte 75 Euro pro Aktie geboten. Dieser Preis steht fest. Wenn die EU ihr Okay für die Übernahme gibt, wird die Zahlung fällig. Was Schaeffler jetzt hinauszögern will. Die Aktie sank zwischenzeitlich auf 27 Euro und stand gestern bei knapp 39. Zahlen muss die Schaeffler-Familie trotzdem 75 Euro. Berichten zufolge verursacht die Übernahme zehn Milliarden Euro Schulden, die, zusammen mit anderen Schulden, ein explosives Gemisch ergeben.

Deutschland, deine Milliardäre, es geht ihnen nicht gut.

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