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MEDIZIN Frauen: Die erste deutsche Ärztin

Über die Chirurgin Franziska Tiburtius

FRANZISKA TIBURTIUS

Als wir eintraten, war der Saal dicht gefüllt … und es erhob sich ein wüster Lärm, Schreien, Johlen, Pfeifen.“ Franziska Tiburtius’ erster Auftritt im Präpariersaal der Universität Zürich erinnert mehr an einen Besuch im Zoo als im Medizinseminar. Die Horde männlicher Studenten spürt voll Unbehagen, dass sich vor ihren Augen etwas Weltveränderndes abspielt; dass mit jeder neuen Frau, die das Studium aufnimmt, die Medizin männlicher Schule ins Wanken gerät. Das muss verhindert werden, notfalls symbolisch: Als Tiburtius ihre Schürze im Nebenraum des Saals angelegt hat, ist die Tür plötzlich abgeschlossen: „Sehr unangenehme Lage!“, konstatiert sie. Aber aussperren lässt sie sich nicht, dazu ist sie schon zu weit gekommen. In der Schule ist sie ein schlauer Kopf. Die Eltern glauben, dass sie es bis zur Erzieherin mit Lehrerinnenexamen schaffen kann. Dieser Beruf macht ihr Spaß, nur spürt sie, dass da noch Platz nach oben ist. Als sie 28-jährig als Gouvernante aus London nach Stralsund zurückkehrt, ermutigt sie ihr Bruder, Medizin zu studieren in Zürich. Dort sind Frauen bei einigen Vorlesungen geduldet und dürfen sogar promovieren. Im Deutschen Reich leisten die medizinischen Fakultäten dagegen erbitterten Widerstand. Frauen seien gefühlsgesteuert und darum nicht urteilsfähig. Die „körperliche Minderwertigkeit der Frau“ wird überall diskutiert, „neueste wissenschaftliche Befunde“ zum Beweis herangeschafft: Ein Baseler Professor wiegt die Gehirne von Frauen und stellt fest, dass sie leichter sind als die männlichen. Zartgefühl und Geduld prädestinieren gerade Frauen für den Ärzteberuf, sagen dagegen die Verfechter des Frauenstudiums. Außerdem verbiete vielen Frauen das „natürliche Schamgefühl“, ihr Leiden einem männlichen Arzt zu offenbaren – eine Gefahr für die Volksgesundheit! Und so formt sich in den 1870ern das Bild vom „weiblichen Arzt“. Als Tiburtius 1876 Berlin erreicht, gilt sie ihren Kollegen dennoch als „Kurpfuscherin“. Der „Dr. in Zürich“ wird in Preußen nicht anerkannt. Aber es herrscht Gewerbefreiheit, Tiburtius und ihre Studienfreundin Emilie Lehmus eröffnen also eine Praxis in Prenzlauer Berg. Es ist die erste von Frauen geführte – und die Nachfrage ist riesig. Tausende bedürftige Frauen kommen binnen eines Jahres. Die Ärztinnen behandeln zum Unkostenbeitrag und leben vom Geld ihrer Familien. Kollegen versuchen mehrmals Tiburtius den „Dr. med.“ vom Klingelschild wegzuklagen. Es nützt nichts. Ab 1908 immatrikulieren sich Medizinstudentinnen im Deutschen Reich. Als Tiburtius 1927 stirbt, ist aus der Kellerpraxis die „Chirurgische Klinik weiblicher Ärzte“ geworden. Hätten die Studenten damals in Zürich die Tür zum Hörsaal zugemauert – Franziska Tiburtius wäre durchs Fenster eingestiegen.

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