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Yoga soll ja vor allem entspannen. Eigentlich.

© Getty Images/iStockphoto

Yogakolumne: Besuch der schweren Brüder

„Unsere Kumpels haben gesagt, da gehen die Pussies jetzt zum Yoga. Ich glaube wenn die unser Grinsen heute Abend sehen, kommen die nächste Woche alle mit!“

An einem der letzten schönen Herbsttage erscheinen in meinem Studio im wohlbehüteten Zehlendorf zwei Typen zum Yoga. Auch wenn immer noch weit weniger Männer meine Kurse besuchen, ist das erst mal nichts Ungewöhnliches. Meist plagen die Herren mittleren Alters die Rückenschmerzen.

Doch diese sehen anders aus. Also spreche ich sie an. Der etwas Größere sagt: „Da haben Sie aber einen ganz besonderen Ort geschaffen, liebe Frau Thielemann.“ Der Kleinere sagt: „Wir beide sitzen ja schon ziemlich lange.“

Ich bin seit über 25 Jahren in der Yogawelt verankert. Sitzen bedeutet für mich, dass jemand schon lange regelmäßig meditiert. Ursprünglich dienten die physischen Übungen, die Asanas, dazu, die Praktizierenden darauf vorzubereiten, möglichst lange und aufrecht sitzend schmerzfrei meditieren zu können. „Ah“, sage ich wissend, „es freut mich, dass ihr nun nach vielen Jahren geistiger Schulung euren Fokus auf das Körperliche legen wollt.“ Ich bin nämlich davon überzeugt, dass wir in Europa Yoga eher brauchen, um nach langer Zeit am Schreibtisch wieder einen Bezug zu unserem Körper zu finden.

Da antwortet der Große: „Nee, da haste was nich janz kapiert – mit dem Körper haben wir keene Probleme.“ Sie seien Schwerverbrecher im offenen Vollzug. „Und Yoga bei dir ist echt Sahne“, legt der Kleine nach. Ich lächle schmallippig und suche den Rückzug zwischen den Wischmopps in der Besenkammer.

Man könnte meinen, dass ich nach all den Jahren yogischer Lehre aufgehört hätte, über andere zu urteilen. Dass ich ohnehin immer alles richtig mache. Jetzt wird mir klar, dass ich meine konservative Erziehung nicht so leicht ablegen kann. Oder ist es einfach gesunder Menschenverstand, wenn ich anfange, meinen Blick über die Burberry-Mäntel, neuen iPhones und Ugg Boots meiner Klientinnen schweifen zu lassen? Haben es die schweren Jungs in Wahrheit vielleicht eher darauf abgesehen? Und, oh Gott, die Knastbrüder haben sich direkt ins Epizentrum der Schönheit gebeamt. Die Dreamgirls, die hierher kommen, mögen selbstbestimmt sein, aber muss ich nicht trotzdem auf sie aufpassen?

Hey, rufe ich mich zurück, du gehst doch den Weg der Achtsamkeit, also hör’ endlich auf zu werten. Akzeptiere, was ist. Sei großzügig und wohlwollend gegenüber dieser Wiedereingliederungsmaßnahme auf deinen rutschfesten Matten.

Woche für Woche zeichne ich nun den Wisch fürs Gefängnis ab, dass die beiden Männer ihren Ausgang auch wirklich beim Sonnengruß verbracht haben. Nicht einmal beobachte ich ein wanderndes Auge, wenn sich meine Teilnehmerinnen in ihren Leggings bücken, nicht einmal fehlt etwas aus einer ihrer Handtaschen. Spirit Yoga scheint den Jungs den Einstieg in die Welt hier draußen zu erleichtern.

Ich weiß bis heute nicht, wie sie ihren Weg ausgerechnet in mein Studio gefunden haben. Aber es rührt mich, wenn ich die beiden Männer, voll tätowiert, einer mit Narbe im Gesicht, nach der Stunde mit den anderen Teilnehmern über den Nieselregen smalltalken sehe. Ich stelle mich dazu und schenke den beiden Jungs noch ein Tässchen Yogitee mit Honig ein. Da sagt der Kleinere zu meinem Schreck: „Weißte, ist echt schön hier. Unsere Kumpels haben die letzten Wochen gesagt – da gehen die Pussies jetzt zum Yoga. Ich glaube wenn die unser Grinsen heute Abend sehen, kommen die nächste Woche alle mit!“

Unsere Kolumnistin Patricia Thielemann ist Chefin von spirityoga.de und vertritt Katja Demirci.

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