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Woody Harrelson, 55, ist ab 3.August als Bösewicht in "Planet der Affen: Survival" zu sehen.

© AFP/Angela Weiss

Woody Harrelson im Interview: "Lernen Sie mich erst mal richtig kennen!"

Woody Harrelson über seinen Antrittsbesuch bei Pornokönig Larry Flynt, den nicht besonders einfühlsamen Oliver Stone und die trockene Art der Coen-Brüder. Unser Blendle-Tipp.

Mr. Harrelson, Sie sind nach Ihrem Schauspielstudium in Indiana mit 22 Jahren nach New York gezogen. War das eine aufregende Zeit?

Es war die Hölle! New York ist grausam, wenn man kein Geld hat. Ich schlug mich als Hilfskellner durch und wurde regelmäßig gefeuert, weil ich mich nicht rumkommandieren ließ. Als man mich anschnauzte, ich solle die Kotze von Tisch 14 aufwischen, bellte ich zurück: „Mach’s doch selber!“ Im ersten Jahr hatte ich ungefähr 17 verschiedene Jobs.

Und darunter kein einziger als Schauspieler?

Genau. Ich fand noch nicht einmal einen Agenten, der mir zu einem Vorsprechen hätte verhelfen können. Ich hauste in einer schäbigen WG mit Freunden, die ich ständig anpumpen musste, und meiner damaligen Freundin, einer heißblütigen Italienerin. Ich ließ ordentliche Fotos von mir machen und verschickte sie an zahllose Künstlervermittler, niemand meldete sich bei mir. Endlich, nach wochenlanger Warterei, rief mich eine Agentin an und sagte: „Ich finde Ihr Gesicht interessant. Könnten Sie mal vorbeikommen?“ Ich meinte: „Moment, ich muss kurz meinen Terminkalender … ja, das ließe sich einrichten.“ Ich fragte, warum sie sich denn nicht früher gemeldet hätte. Sie sagte: „Hab’ ich doch! X-Mal habe ich es probiert, aber jedes Mal ging eine junge Frau ans Telefon; sie kläffte bloß, Woody wäre nicht zu sprechen, und knallte den Hörer auf.“ Sie sehen: Meine italienische Freundin war eine eifersüchtige Furie – ausgerechnet sie, die einzige Frau, der ich je treu war!

Sie lachen. Mithilfe der Agentin ging es dann aufwärts?

Nein. Ich versagte bei jedem Vorsprechen, weil ich zu nervös und verkrampft war. Zum Verzweifeln! Schließlich, als ich wegen einer hässlichen Schlägerei nicht nur mal wieder meinen Job, sondern auch noch meinen Lohnscheck in Höhe von 132 US-Dollar verloren hatte, sagte ich: „Okay, ich geb’s auf. Ich hab’ die Schnauze voll von New York, gehe zurück zu Mama nach Ohio und arbeite in Zukunft als Lkw-Fahrer.“ Als ich mir schon für 39,99 Dollar ein Ticket für die Heimfahrt besorgt hatte, meinte meine Agentin, sie hätte noch ein allerletztes Casting für mich: ein neues Broadway-Stück von Neil Simon namens „Biloxi Blues“. Ich hatte innerlich bereits mit New York abgeschlossen, ging deshalb mit einer lockeren Leckt-mich-Haltung in dieses Vorsprechen und wurde prompt engagiert.

Von null auf 100? Direkt an den Broadway?

Naja, nicht ganz. Ich war bloß die Zweitbesetzung. Aber dann wurde die Erstbesetzung tatsächlich gefeuert, und ich stand mit 23 kurz vor meinem Broadway-Debüt – das war die Erfüllung meiner kühnsten Träume! Dann erzählte mir ein Kumpel, für die erfolgreiche TV-Serie „Cheers“ werde ein neuer Hauptdarsteller gesucht. Ich meinte etwas hochnäsig: „Du, auf Fernsehen hab’ ich echt keinen Bock. Ich spiel’ doch jetzt am Broadway.“ Trotzdem ging ich zum Vorsprechen, wieder völlig entspannt, weil ich ja sowieso meinen Theater-Traumjob hatte – und auch diesmal haben sie mich genommen.

Woody Harrelson debütierte 1982 im Fernsehen. Er spielte Woody in der beliebten Sitcom "Cheers".
Woody Harrelson debütierte 1982 im Fernsehen. Er spielte Woody in der beliebten Sitcom "Cheers".

© pa/EPA/Paul Buck

Acht Jahre lang haben Sie in der Sitcom gespielt. Manche Kollegen sind im Fernsehen regelrecht versackt. Wie haben Sie den Sprung auf die Kinoleinwand geschafft?

Das verdanke ich Michael J. Fox. Während meiner Arbeit an „Cheers“ drehte er im Studio nebenan die Serie „Familienbande“; wir wurden Freunde und ließen es abends ganz schön krachen. Eines Tages verschaffte er mir ein Vorsprechen für die Kinokomödie „Doc Hollywood“. Da sollte ich einen wütenden Monolog halten, und ich beschloss, die übliche Distanz beim Casting aufzugeben und meine Tirade dem Regisseur aus nächster Nähe ins Gesicht zu schleudern. Also schnappte ich mir einen Stuhl...

wirbelte ihn herum, pflanzte ihn direkt vor den Regisseur, hockte mich darauf und begann meinen Wortschwall. Dabei sah er mich mit einem sehr seltsamen Gesichtsausdruck an, als ob er gleich explodieren würde. Plötzlich brach es aus ihm heraus: „Du sitzt auf meinem Fuß!“

Das hat Ihnen offenbar nicht geschadet. Ihr Ruhm kam über Nacht. Dustin Hoffman hat einmal gesagt: „Der Ruhm verdirbt dich. Unweigerlich!“ Haben Sie ähnliche Erfahrungen gemacht?

Ja, leider. Dustin hat recht: Ruhm ist extrem schädlich für die Persönlichkeitsentwicklung. Er füttert dein Ego so sehr, dass er dich zu verschlingen droht. Es ist ja ganz nett, wenn dir jeder auf die Schulter klopft und dir sagt, wie großartig du bist. Aber wenn du anfängst, all das zu glauben, dann hast du ein Riesenproblem. So ist es mir ergangen, als ich mit 24 schlagartig berühmt wurde: Ich habe mich an meinem Erfolg berauscht und mich in ein aufgeblasenes, arrogantes Arschloch verwandelt.

Auf mich wirken Sie eigentlich ganz sympathisch.

Das täuscht! Wenn Sie wüssten! Lernen Sie mich erst mal richtig kennen! Im Ernst: Dass ich diese ekelhafte Egophase überwinden konnte, ist das Beste, was ich in meinem Leben je geschafft habe. Zum Glück habe ich irgendwann erkannt, dass dieser ganze Ruhmscheiß nichts weiter ist als ein hübsches Hintergrundrauschen, völlig substanz- und bedeutungslos, ganz im Gegensatz zu deiner Familie und deinen Freunden.

Wieso glaubt jeder, dass ich ein alter Kiefer bin?

Judy Greer und Woody Harrelson als schräger Vogel Wilson in einer Szene des Films "Wilson - Der Weltverbesserer".
Judy Greer und Woody Harrelson als schräger Vogel Wilson in einer Szene des Films "Wilson - Der Weltverbesserer".

© imago/Zuma Press

Um Ihnen auch mal auf die Schulter zu klopfen: Sie gelten als extrem vielseitiger Darsteller.

Nun, ich bin froh, dass ich im Laufe der Zeit meine Wandlungsfähigkeit beweisen konnte, denn während „Cheers“ hatte man mir jahrelang bloß die Rolle des gutmütigen Einfaltspinsels in diversen Komödien angeboten. In jüngster Zeit habe ich allerdings zu viele düstere Dramen gedreht – insofern wäre ich nicht unglücklich, wenn ich mich in Zukunft auf Komödien beschränken müsste, zumal mir dieses Genre einfach mehr liegt. Ich hätte auch nichts dagegen, längere Zeit gar nicht zu arbeiten. Im Grunde genommen bin ich nämlich ein ziemlich fauler Hund. Ich finde, Arbeiten ist irgendwie gegen meine Natur.

Sie müssen ja vermutlich auch weniger schuften, seit Sie nach „Die Tribute von Panem“ einige lukrative Blockbuster gedreht haben.

Stimmt. Gegen „Die Tribute von Panem“ hatte ich mich lange gesträubt, weil ich meine Rolle zu klein fand – bis man mir ein Angebot machte, das ich nicht ablehnen konnte. Heute freue ich mich, wenn ich zur Abwechslung bei einem Film mitmachen darf, der ein größeres Publikum findet. Deswegen habe ich auch die Rolle in „Planet der Affen: Survival“ angenommen. Da hätte ich zwar lieber einen Affen gespielt, aber jetzt verkörpere ich eben einen durchgeknallten Typen, der gern Affen tötet. Warum nicht?

Haben Sie ein Faible für exzentrische Filmfiguren?

Oh ja! Solche Rollen machen mir Spaß, weil ich mich dafür nicht sonderlich anstrengen oder verstellen muss. Die Titelfigur in „Wilson“ war zum Beispiel ganz nach meinem Geschmack.

Der Kerl ist aber doch ein arger Griesgram.

Er hat auch eine liebenswerte Seite. Wilson ist sehr kontaktfreudig; ihm eigen ist nur eine seltsame Art, mit den Leuten zu kommunizieren. Das kann ich sehr gut nachfühlen: Ich bin eigentlich auch ein geselliger Typ, doch sobald ich irgendeinen Erwartungsdruck verspüre, besteht die Gefahr, dass ich mich absolut unmöglich verhalte. Zum Beispiel, wenn ich meine Tochter zur Schule bringe und dort mit anderen Eltern Konversation treiben soll. Interviews und Talkshows sind übrigens auch nicht so mein Ding.

Fällt es Ihnen leicht, Ihre Filmfiguren abends abzustreifen? Oder sind Sie jemand, der wie Daniel Day-Lewis während der Dreharbeiten rund um die Uhr in seiner Rolle bleibt und auch am Set immer von allen mit seinem Rollennamen angesprochen werden will?

Nein, in dieser Hinsicht bin ich so ziemlich das Gegenteil von Daniel. Ich versuche, nach dem Dreh möglichst schnell abzuschalten und am nächsten Tag ebenso rasch wieder in eine Rolle hineinzufinden. Am besten gelingt mir das, wenn ich mich kurz vor Drehbeginn total entspannen kann.

Und wie bringen Sie sich in diesen Zustand? Rauchen Sie in Ruhe einen Joint?

Wieso glaubt eigentlich jeder, dass ich ein alter Kiffer bin? In meinem Leben hat sich so manches geändert. Ich bin immer noch ein Partylöwe, aber ich halte mich beim Alkohol zurück und habe seit dem Frühjahr 2016 nicht mehr gekifft. Zur Entspannung mache ich vor dem Drehen einer Szene ganz einfach Yoga. Danach kann ich mich völlig in meine Filmfigur hineinfallen lassen.

Müssen Sie einen Charakter eigentlich mögen, um ihn spielen zu können?

Ja, ich muss etwas Sympathisches an ihm finden, oder etwas, das ich zumindest respektieren kann. Ich hatte beispielsweise große Vorbehalte, den Porno-Pionier Larry Flynt darzustellen. Zwar hatte ich in meiner Jugend heimlich diverse Ausgaben seines Männermagazins „Hustler“ durchgeblättert, aber Flynt war in den Medien regelrecht dämonisiert worden. Als man mir die Hauptrolle in dem Biopic über ihn anbot, sagte ich: „Zuerst muss ich mich mit dem Kerl treffen, um herauszufinden, ob ich ihn mag.“

"Trump bringt uns zurück ins Mittelalter"

Harrelson als der durchgeknallte Mickey Knox in Oliver Stones "Natural Born Killers" nach einer Story von Quentin Tarantino.
Harrelson als der durchgeknallte Mickey Knox in Oliver Stones "Natural Born Killers" nach einer Story von Quentin Tarantino.

© imago/United Archives

Und wie haben Sie Larry Flynt erlebt?

Er residierte in einem Haus in Beverly Hills. Auf dem Weg zu seinem Büro musste man ein wahres Meer von Jugendstilvasen und Tiffany-Lampen durchqueren. Wenn ich dort gestolpert wäre, hätte ich wohl einen Schaden von drei Millionen Dollar angerichtet. Flynt empfing mich im Rollstuhl und war mir vom ersten Moment an sympathisch, vor allem, weil er unfassbar offenherzig war. Schon nach fünf Minuten erzählte er mir, er hätte seine ersten sexuellen Erfahrungen mit einem Huhn gemacht. Wie hätte ich diesen Mann nicht lieben sollen?

In „LBJ“ haben Sie den umstrittenen US-Präsidenten Lyndon B. Johnson verkörpert. Könnten Sie sich auch vorstellen, eines Tages Donald Trump zu spielen?

Nein. Dieser Typ hat wirklich nichts, das ich auch nur ansatzweise respektieren könnte. Sicher, er besitzt ein gewisses Showtalent und hätte bestimmt auch als Jahrmarktschreier Erfolg. Doch er ist ein totaler Narzisst und damit charakterlich denkbar ungeeignet für sein Amt. Ich mag mir gar nicht vorstellen, wie viele Spiegel er zu Hause hat. Jemand, der ständig von Spaltung spricht, Volksgruppen diffamiert und den Klimawandel leugnet, sollte nicht an der Spitze der USA stehen. So jemand bringt uns nicht vorwärts, sondern zurück ins Mittelalter. Aber unser ganzes politisches System ist sowieso völlig korrupt.

Das klingt, als hätten Sie das Vertrauen in die Politik verloren.

Ich kenne keinen Politiker, der sich je des Vertrauens würdig erwiesen hätte. Sie alle haben nur ihre eigenen Interessen im Blick, das Wohl der Bevölkerung ist ihnen völlig schnurz. Anstatt die drängenden sozialen und ökologischen Probleme zu lösen, hat die US-Regierung seit Jahrzehnten bloß Kriege in alle Welt exportiert und der Waffenindustrie Steuermilliarden in den Arsch geschoben. Darum bin ich Anarchist: Politiker und Regierungen halte ich schlichtweg für überflüssig.

Sind Sie am Filmset ebenfalls ein Anarchist? Oder befolgen Sie manchmal auch Regieanweisungen?

Sinnvolle Regieanweisungen respektiere ich durchaus. Ich arbeite eh nur mit Filmemachern, denen ich vertraue. Allerdings muss ich zugeben, dass ich vor der Kamera gern ein bisschen improvisiere, und dass ich nicht immer vorher um Erlaubnis bitte. Ich liebe es, hier und da eine Prise Humor einzustreuen, damit die Chose nicht zu ernst wird. Manchmal enden meine Experimente allerdings im Desaster. Und manchmal beiße ich mit meinen Vorschlägen auf Granit.

Wann ist es Ihnen so ergangen?

Bei „No Country for Old Men“ hatte ich ein paar Ideen für meine letzte Szene mit Javier Bardem. Ich sprach mit Javier, und er war begeistert. Wir schrieben unsere Szene also um, studierten die neue Version ein und führten sie den Coen-Brüdern vor, den Autoren und Regisseuren des Films. Die beiden sahen sich unsere Darbietung seelenruhig an und meinten daraufhin nur trocken: „Also, wir mochten die Szene so, wie wir sie geschrieben hatten.“ Ende der Diskussion. Kein einziges Wort wurde geändert.

Es wäre Ihnen am liebsten, die Regisseure würden Sie einfach in Ruhe agieren lassen.

Am liebsten mag ich es, wenn ein Filmemacher mir präzise sagt, was er will. Manche Ansagen sind völlig kontraproduktiv. Bei „Natural Born Killers“ etwa gab es eine große Schießerei in einer Apotheke, bei der mehrere Scheiben zu Bruch gehen sollten. Die Szene war schwer zu spielen. Ich musste komplizierte Bewegungsabläufe bewältigen, rennen, laden, schießen, nachladen, brüllen. Und Oliver Stone, der große Regie-Zampano, meinte kurz vor dem Dreh allen Ernstes zu mir: „Du siehst ja, es würde zwei Stunden dauern, die Szene wieder neu einzurichten. Also bau gefälligst keinen Scheiß.“ Wahnsinnig ermutigend! Vielen Dank für dieses tolle Motivationsgespräch, Mr. Stone!

Gibt es denn etwas im Leben, das Sie motiviert oder antreibt, einen Leitspruch vielleicht?

Liebe. Davon habe ich eine Menge in mir. Liebe zu den Menschen allgemein, doch vor allem zu meiner Familie und meinen Freunden. Ja, ich würde sagen: Liebe ist mein wichtigster Antrieb. Zugegeben, manchmal auch bloße Wollust. 

Marco Schmidt

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