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Das Lippenbärweibchen "Devi" aus dem Berliner Zoo.

© picture-alliance/ dpa

Was macht der Lippenbär im "Dschungelbuch"?: Versuch's mal mit Gemütlichkeit

Der Lippenbär diente Rudyard Kipling als Vorbild für den Bären Balu. Nur sieht der im Film ganz anders aus. Eine Aufklärung

Wer noch daran zweifelt, wie weit Wissenschaft und Fantasie auseinanderliegen (hallo, Scientologen), sollte sich einmal an das Gehege der Lippenbären im Zoo stellen. Diese südostasiatische Art diente dem britischen Schriftsteller Rudyard Kipling als Vorlage für eine seiner beliebtesten Figuren: Balu, der Bär aus dem „Dschungelbuch“.

Gerade feiert er cineastische Auferstehung in einer Neuverfilmung aus Hollywood. Dort ist er ein mächtiger Meister Petz, graubraunes Fell, kräftige Tatzen und massiger Körperbau. Er ist ein riesiges Raubtier, dem man zutraut, dass es gefährliche Bestien in die Flucht schlagen kann. In der Zeichentrickversion von Disney, die 1967 in die Kinos kam, war er noch ein korpulenter lustiger Kerl. Eine Art singende Herrentorte in Brauntönen. Aber hier im Zoo? Wo steppt der Bär?

Die beiden Exemplare des Lippenbären tapsen gemütlich durch die Felsanlage mit dem weitläufigen Rasen. Rajath und Kaveri sind höchstens ponygroß und pechschwarz (Unterschied 1 und 2). Ihre Köpfe sehen wie Vierkantschädel aus, denen man eine zu große Perücke aufgesetzt hat (Unterschied 3). Und ihre Tatzen sind zentimeterlange Krallen (Unterschied 4).

War Kipling ein Karl May?

Dass dieses zottelige Tier über namensgebende, sehr bewegliche und haarlose Lippen verfügt, geschenkt. Das fällt bestimmt nur Forschern auf. Aber die restlichen Merkmale sind so gravierend anders, dass man sich fragt, was in diesen Kipling gefahren ist. War er am Ende ein Karl May, der nie die Urwälder Südasiens bereist hatte?

Ganz und gar nicht. Rudyard Kipling wuchs Ende des 19. Jahrhunderts im kolonialen Indien auf. Er kannte die Fauna des Dschungels und wusste von der Existenz des sloth bear, wie der Lippenbär auf Englisch genannt wird. Wörtlich übersetzt: Faultierbär. Schuld daran war nicht seine vermeintliche Trägheit, denn er ist agil und kann schneller als ein Mensch laufen – es war die Form seiner Krallen, mit denen der Waldbewohner sich gut an Stämmen festhielt, die Bäume hochkletterte und Insekten oder Obst aufstöberte. Diese sichelförmigen Klauen erinnerten die Wissenschaftler an südamerikanische Faultiere.

Den Illustratoren ging die Fantasie durch

Den ersten Illustratoren ging angesichts dieser Bezeichnung die Fantasie durch. Sie dachten nicht an ein äußeres Merkmal, sondern an die innere Verfassung und malten einen heimischen, europäischen respektive amerikanischen Braunbären, vermutlich in Ermangelung echten Fachwissens und als Vereinfachung für Leser und Zuschauer. Um seinem (englischen) Namen gerecht zu werden, singt er in der Disneyversion den berühmten Schlager der Gemütlichkeit. Bis heute hat sich diese Hybridversion von Balu durchgesetzt.

Das Einzige, was die realen Bären im Zoo und Kiplings Balu eint: Beide ernähren sich auch von Früchten und Honig, um ihren Energiehaushalt aufzubessern.

Übrigens, die Patenschaft für die Lippenbären wurde gerade neu vergeben. Nein, nicht an die Scientologen, sondern an Hertha BSC. Dessen Trainer Pal Dardai hatte nach dem Pokal-Aus gegen Dortmund ziemlich schlechte Laune. Probier’s mal mit Gemütlichkeit, dieses Motto funktioniert auf dem Rasen leider nicht immer.

LIPPENBÄR IM ZOO

Lebenserwartung:  bis zu 40 Jahre

Fütterungszeiten:  keine festen Zeiten

Interessanter Nachbar: Zwergflusspferd, Nyala-Antilope

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