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Die Meuterei auf der Amistad auf einer zeitgenössischen Darstellung.

© ullstein bild

Sklaverei in Amerika: Aufstand auf der Amistad

Ein Schiff voller Sklaven in der Karibik, 1839: Die Gefangenen befreien sich und enthaupten den Kapitän. Notwehr oder Mord? Wem gehören sie nun? Das wird der Prozess in den USA klären.

Von Andreas Austilat

Im Sommer 1839 schleicht sich die „Amistad“ aus dem Hafen von Havanna. Die Signalkanone von Fort Morro hat bereits ihren Mitternachtssalut abgefeuert. Am Steuer des Zweimasters steht Ramon Ferrer, Kapitän und Eigner des Seglers. Ferrer ist 42 Jahre alt und stammt von der Baleareninsel Ibiza. Vor dem schnittigen Schoner liegt eine dreitägige Passage in die Bucht von Guanaja. Doch Ferrer wird diese Reise nicht überleben und das Schiff niemals am geplanten Ziel eintreffen. Stattdessen geht die Amistad auf eine zweimonatige Reise, die sie so berühmt machen wird, dass ihren Namen in den USA heute noch beinahe jedes Schulkind kennt und Steven Spielberg 1997 einen Film über ihre Geschichte dreht.

Zur Besatzung der Amistad gehören zwei Matrosen, ein Decksjunge und der Schiffskoch. Es gibt zwei Passagiere, den 24 Jahre alten Jose Ruiz und den 58-jährigen Pedro Montes, beides Kaufleute aus Spanien, beide wohnhaft auf Kuba. Das Schiff hat Maschinenteile für Zuckermühlen geladen, Stoffe und Kleidung, Geschirr, Sättel und Zaumzeug, Draht, Oliven, 500 Pfund getrocknetes Rindfleisch, 480 Stauden Bananen, drei Dutzend lebende Hühner, 14 große Korbflaschen Wein, aber nur sechs Fässer Wasser. Und dann sind da 53 afrikanische Sklaven, 49 Erwachsene, die Passagier Jose Ruiz in Havanna erworben hat, sowie drei Mädchen und ein Junge, gekauft von Montes.

Die Amistad macht diese Reise nicht zum ersten Mal, mit ihrem mit Kupfer beschlagenen schnittigen Rumpf ist sie schnell genug, etwaigen britischen Patrouillen zu entkommen. Doch auf dem nur 20 Meter langen Schiff herrscht drangvolle Enge. Außerdem führt die Amistad viel zu wenig Trinkwasser mit, um alle Menschen an Bord ausreichend zu versorgen. Das Wasser wird rationiert: eine Kelle täglich für jeden Sklaven.

Wegen der Sklaven an Bord agiert Ferrer bei der Ausfahrt aus Havanna so vorsichtig. Der Sklavenhandel ist seit 1807 im britischen Empire verboten. Ein Erfolg der Abolitionisten, einer Bewegung, die vor allem von evangelikalen Christen getragen wurde. Kuba gehört nicht zum Empire. Aber Großbritannien dringt darauf, dass seinen Konkurrenten kein Wettbewerbsvorteil erwächst. Verträge wurden mit verschiedenen Nationen geschlossen, die den Sklavenhandel verbieten. Dazu zählt seit 1820 auch Kubas Kolonialmacht Spanien.

Das Verbot markiert den Beginn vom Ende des transatlantischen Sklavenhandels, der beinahe 400 Jahre lang Motor der ersten Globalisierungswelle gewesen war. Bei diesem Dreieckshandel hatten europäische Schiffe Waffen und die Waren ihrer Manufakturen nach Afrika transportiert, sie dort gegen Sklaven eingetauscht, die ihrerseits auf die Plantagen jenseits des Atlantiks verschifft wurden. Deren Erträge wie Zucker, Baumwolle und Tabak wurden mit großem Gewinn in Europa verkauft.

Zwischen elf und 15 Millionen Menschen wurden binnen 400 Jahren von Afrika auf den amerikanischen Doppelkontinent verschleppt. Ein Geschäft, an dem sich einheimische Herrscher beteiligten. 1815 beobachtete der britische Kapitän James Tuckey am Kongo-Fluss, dass sich die Menschen dort mitunter weigerten, seine Leute auch nur ins Nachbardorf zu begleiten, weil sie mit jenen im Krieg lägen. Dieser ständige Kriegszustand untereinander mache jedes Fortkommen unmöglich. Tuckey erkannte die Ursache der Misere: „Wenn die Weißen nicht länger kämen, um Sklaven einzuhandeln, würden die Kriege, die zu neun Zehnteln eine Folge dieses Sklavenhandels sind, sofort zurückgehen“, schrieb er in seinem Bericht an die Admiralität. An anderer Stelle war er weniger optimistisch. Es werde länger als eine Generation dauern, die Folgen von – damals – 300 Jahren Sklaverei zu überwinden.

Der Sklavenhandel ist verboten, die Sklaverei nicht

Sengbe Pieh, Anführer der Aufständischen.
Sengbe Pieh, Anführer der Aufständischen.

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Von überwunden kann im Sommer 1839 noch längst keine Rede sein, selbst wenn die britische Marine versucht, den mittlerweile illegalen Menschenschmuggel zu unterbinden.

Das Geschäft ist riskanter geworden. Profitabel ist es immer noch. Vor allem auf Kuba. Seit sich die Sklaven des benachbarten Haiti in einem Aufstand 1804 selbst befreit haben, ist Kuba zur Nummer eins des Weltzuckerhandels aufgestiegen. Und weil sich afrikanische Arbeiter in der Zuckerernte selbst unter unmenschlichen Arbeitsbedingungen und größter Hitze als besonders belastungsresistent erwiesen haben, werden für Sklaven astronomische Preise erzielt.

Der Historiker Michael Zeuske schätzt, dass zwischen 1821 und 1876 allein nach Kuba zwischen 700 000 und 1,3 Millionen Afrikaner verschleppt werden, trotz internationaler Verträge, die das eigentlich unterbinden sollen. Ungefähr genauso viele Afrikaner gelangen auf diesem illegalen Weg auf die Plantagen in den amerikanischen Südstaaten. Obwohl die USA den transatlantischen Sklavenhandel, nicht die Sklaverei an sich, schon seit 1808 verboten haben.

Die meisten Afrikaner an Bord der Amistad gehören dem Volk der Mende an, doch da sind auch Vertreter acht weiterer Stämme. Alle stammen aus dem Gebiet der heutigen Staaten Guinea, Sierra Leone und Liberia. Einige waren schon vorher Sklaven, doch es sind auch Edelmänner an Bord, Händler, Krieger, Reisbauern und sogar zwei Schmiede, die aufgrund ihres Handwerks daheim einen besonderen Status genießen.

Ein Mann namens Gbatu zum Beispiel sagt später aus, er sei von seinem Vater in die nächste größere Stadt geschickt worden, um dort Kleidung zu kaufen. Unterwegs hätten ihm sechs Männer aufgelauert und ihn verschleppt. Ein anderer, er heißt Grabeau, beherrscht vier Sprachen seiner Heimat und war als Holz- und Elfenbeinhändler unterwegs. Er wurde ebenso auf einer Handelsreise verschleppt wie Sessi, einer der Schmiede, und Sengbe Pieh, der Reis pflanzte. Sie alle wurden nach Lomboko gebracht, einer berüchtigten Sklavenfestung an der westafrikanischen Küste unter dem Kommando eines Spaniers, der sich Pedro Blanco nannte. Von dort gelangten sie mit über 500 Leidensgenossen an Bord der „Tecora“ nach Kuba.

Die Zustände auf der Tecora waren höllisch. Die Gefangenen konnten sich oft nicht einmal aufrichten, blieben die ganze Zeit aneinander gefesselt, wurden bei geringsten Anzeichen von Widerstand ausgepeitscht. Das Schiff selbst wechselte nach Bedarf die Nationalität, nach Kuba gelangte es mutmaßlich unter amerikanischer Flagge als „Hugh Boyle“, wie der Historiker Michael Zeuske recherchiert hat.

An Bord der Amistad geht das Martyrium der Gefangenen weiter. Vor allem der erst 16-jährige Schiffskoch Celestino tut sich dabei hervor. Gestenreich macht er den Gefangenen vor, sie würden am Ziel ihrer Reise verspeist. Und er bedient sich vor ihren Augen reichlich aus dem Wasserfass. Weder Celestino noch die anderen Männer der Besatzung bemerken, dass ihre Sklaven sie sehr genau beobachten und sich über ihr Schicksal beraten.

Einer von ihnen, Sengbe Pieh, fragt die anderen, wer für Revolte sei. Die überwältigende Mehrheit stimmt dafür, zumal sie davon überzeugt sind, bei den Weißen handele es sich tatsächlich um Kannibalen. Wie genau sie sich ihrer Ketten entledigen, ist später nicht zu rekonstruieren. Einer sagt aus, Sengbe Pieh habe mit einem Nagel das Schloss geöffnet, welches die Kette an ihren Halseisen sichert. Ein anderer behauptet, sie hätten dieses Schloss mit einem hölzernen Belegnagel, geformt wie ein Knüppel, aufgebrochen.

Der Koch stirbt als Erster

Celestino, der Koch, stirbt als Erster, und es soll wieder Sengbe Pieh gewesen sein, der ihn mit einer kurzen Keule, wahrscheinlich solch einem Belegnagel zum Befestigen der Segeltaue, niederstreckt. Die beiden Matrosen sehen die heranstürmenden Afrikaner, werfen ein Kanu ins Meer und springen hinterher. Ferrer weist seinen Decksjungen Antonio an, Schiffszwieback auf das Deck zu werfen, er hofft, die hungrige Meute werde sich zuerst darauf stürzen. Doch Ferrer wird rasch umringt. Er kommt nicht mehr an sein Gewehr. Einen Angreifer ersticht er, ein zweiter wird tödlich verwundet, bevor Ferrer unter den Schlägen zu Boden geht und enthauptet wird.

Es entbrennt ein kurzer Streit, wie mit den Überlebenden zu verfahren sei, den beiden Passagieren und Ferrers Diener Antonio, der selbst Sklave ist. Man entscheidet, sie am Leben zu lassen, zumal Montes ein Schiff führen kann. Er soll nun Kurs auf Afrika nehmen, dort werde man ihn freilassen.

Zwar weiß Sengbe Pieh, inzwischen zum Anführer der Afrikaner an Bord gewählt, dass Afrika in Richtung der aufgehenden Sonne liegt, doch nachts ändert Montes den Kurs in Richtung auf das amerikanische Festland. Nach einer zweimonatigen Odyssee, unterbrochen nur von heimlichen Landgängen, in denen die Besatzung Wasser aufnimmt, sichten die Afrikaner am 25. August 1839, fast auf den Tag genau vor 175 Jahren, einen Leuchtturm. Ein Boot mit einem Mann namens Fa wird ausgesetzt, um zu erkunden, ob man tatsächlich Afrika erreicht hat. Vielleicht ist Fa also der erste afrikanische Seefahrer, der als freier Mann an der Küste der USA landet, denn es handelt sich um den östlichen Zipfel Long Islands.

Im gleichen Moment taucht die Washington auf, ein amerikanisches Kriegsschiff. Dessen Kommandant ist sicher, ein Piratenschiff vor sich zu haben. Die Amistad wird geentert und nach New London in Connecticut geschleppt.

Auch in den USA gibt es zu jenem Zeitpunkt eine Bewegung der Abolitionisten, allerdings längst nicht so stark wie in Großbritannien und untereinander uneins. Das wird sich ändern.

Wegen Mordes und Meuterei wird den Afrikanern der Amistad der Prozess gemacht. Doch die Abolitionisten sorgen für größte Aufmerksamkeit. Nur sechs Tage nach ihrem Eintreffen auf amerikanischem Boden wird bereits das erste Theaterstück „The Black Schooner“ in New York auf die Bühne gebracht. Maler reisen an und zeichnen die Gefangenen, Lehrer bemühen sich, ihnen die englische Sprache beizubringen, Geld wird für Kleidung und Verteidigung gesammelt.

Sengbe Pieh, Anführer der Aufständischen.
Sengbe Pieh, Anführer der Aufständischen.

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Im Prozess geht es darum, ob die Afrikaner auf Kuba geboren wurden, wie es Ruiz und Montes behaupten. Dann wären sie nach damals auch in vielen Staaten der USA geltendem Recht deren legitimes Eigentum. Oder, ob sie über den Atlantik verschleppt wurden und sich in Notwehr aus dieser Lage befreit haben.

Martin van Buren, Präsident der USA, ist daran gelegen, diesen Prozess auf keinen Fall zu einer Angelegenheit des Bundes zu machen, er muss um die Stimmen der von ihm mitbegründeten Demokraten fürchten, deren Vertreter aus den Südstaaten den Sklavenhaltern nahestehen. Außerdem sieht sich van Buren den Protesten Spaniens ausgesetzt, das die Rechtmäßigkeit des Verfahrens anzweifelt. Auf der anderen Seite steht der Verteidigung ein ehemaliger Präsident zur Seite, John Quincy Adams, inzwischen Senator von Massachusetts.

Den Durchbruch erlangen die Verteidiger, als es ihnen endlich gelingt, einen Dolmetscher aufzutreiben. Zu diesem Zweck hat einer der Ihren eigens auf Mende bis zehn zählen gelernt und sein neues Wissen im Hafen von New York an jedem schwarzen Matrosen ausprobiert, bis ihn einer versteht.

Der Prozess zieht sich über drei Instanzen fast zwei Jahre lang hin, am Ende steht der Freispruch vor dem Supreme Court. Die Abolitionisten haben ihren ersten Sieg errungen. Zwar wird die Sklaverei vor allem in den Südstaaten der USA noch bis zum Ende des Bürgerkrieges 1865 bestehen bleiben. Doch zum ersten Mal sind afrikanische Sklaven, über deren Hintergrund die weißen Zeitungsleser damals so gut wie nichts wussten, zu Persönlichkeiten geworden, deren Geschichte diskutiert wird. Vergleichsweise ausführlich dokumentiert sie der Historiker Marcus Rediker in seinem nur auf Englisch vorliegenden Buch „The Amistad Rebellion“.

Alle Afrikaner bitten, heimfahren zu dürfen. Sengbe Pieh soll sogar gesagt haben, selbst für einen Hut voller Gold würde er nicht bleiben. Die Abolitionisten organisieren eine Vortragsreise, um mit dem Erlös die Heimfahrt finanzieren zu können. Auf dieser Reise wird Sengbe Pieh endgültig zum Hauptdarsteller, die Zeitungen vergleichen ihn mit den Helden des klassischen Altertums.

1842, drei Jahre nach ihrer Entführung, erreichen 35 von einst 53 – die Übrigen sind infolge der strapaziösen Irrfahrt der Amistad oder an Krankheiten während der Haft gestorben – an Bord der „Gentleman“ Westafrika. Der ursprüngliche Plan, in Sengbe Piehs Heimat eine Mission zu errichten, in der die Überlebenden den American Way of Life weiter pflegen können, wird nie realisiert. Denn sie alle wollen ihr altes Leben zurück.

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