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Leanne Shapton hat ein Buch über Frauen und ihre Beziehung zu Kleidung geschrieben.

© Thilo Rückeis

Schriftstellerin Leanne Shapton im Interview: „Wenn Sie wüssten, wo wir Frauen hinsehen!“

Mode ist mehr als Dekoraktion, sagt Leanne Shapton. Warum sie an fremden Mänteln riecht, Reithosen schätzt und Männer bemitleidet.

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Frau Shapton, Sie tragen Bluse, Rock und Stiefel. Wie lange haben Sie heute Morgen für Ihr Outfit gebraucht?
Kurz. Weil ich meine Sachen in New York schon gepackt und mir überlegt hatte, was ich in Berlin anziehen würde. Ich habe mich für drei Teile entschieden. Darin fühle ich mich professionell, unantastbar. Die weiße Bluse mit verdeckter Knopfleiste hat an genau den richtigen Stellen Taschen: Ich muss darunter keinen BH tragen. Ich habe sie wie diesen Rock mit Hahnentrittmuster schon 1997 in einem New Yorker Second-Hand-Laden gekauft. Die schwarzen Lederstiefel sind aus einem Schuhgeschäft in Turin.

Für das Buch „Frauen und Kleider“ haben Sie und zwei Koautorinnen mehr als 600 Frauen gebeten, einen Fragebogen auszufüllen. Eine Frage stellen wir gern zurück: Tragen Sie dieses Outfit zu oft?

Im Gegenteil – wir wechseln unsere Klamotten zu häufig. In Modezeitschriften steht manchmal über eine Schauspielerin verächtlich: Sie hat schon wieder dasselbe Kleid getragen. Ich denke eher, toll, wie effektiv sie einkauft. Sie lässt sich nicht zum Werkzeug der Werbung machen. Das sollte gewürdigt anstatt belächelt werden.

Sie haben diese Sachen also schon ein paar Tage an?

Das hat gestern doch gut funktioniert, ich ziehe nur neue Unterwäsche an und rieche noch mal am Achselansatz, ob alles o.k. ist. Wir machen uns doch gar nicht schmutzig oder schwitzen stark, wenn wir den ganzen Tag in Büros sitzen.

Für das Buch arbeiteten Sie mit einer Geruchswissenschaftlerin.

Mein Mann arbeitet für eine Restaurantkette in New York. Wir Autorinnen haben ihn bekniet, dass wir an einem Winterabend mal in die Garderobe hinein und mit der Wissenschaftlerin an den abgegebenen Mänteln riechen dürfen.

Ganz schön intim.

Eine Jacke roch beinahe neutral, nur schwach nach unparfümierten Seifen und Deodorants. Der Besitzer muss ein Roboter sein, sagte die Expertin. Hingegen roch der Mantel der Begleitperson dieses Roboters streng nach einem Second-Hand-Laden der Heilsarmee. Die Wissenschaftlerin schlussfolgerte: Diese Person stinkt und weiß es nicht, sie ist zusammen mit einem Mann, der nach nichts riecht, die Beziehung ist dazu bestimmt, bald auseinanderzubrechen.

Frauen reden über Klamotten. Kennen wir das nicht zur Genüge aus der TV-Serie „Sex and the City“?

In der Serie ging es um Frauen mit Modelmaßen, die exzessiv shoppten, weil ihnen etwas fehlte. Die Heldin Carrie Bradshaw suchte einen Mann und fand Schuhe von Manolo Blahnik. Wir wollten etwas anderes. Deshalb haben wir keine Fotos der befragten Frauen abgedruckt. Wir haben stattdessen versucht, in Interviews herauszufinden, was der eigene Stil der jeweiligen Frau ist. Wir fragten nicht nach Marken, sondern nach Gewohnheiten: Wie packt sie ihren Koffer, sortiert ihren Kleiderschrank, wählt ihre Einkäufe aus.

Was ist Ihr ganz eigener Stil?

Unordentlich. Wie eine Explosion. Ich arbeite an fünf verschiedenen Projekten, gehe 17 verschiedenen Ideen nach, habe widersprüchliche Meinungen zu bestimmten Themen. Ich bin wechselhaft, was ich gar nicht so sehr an mir mag.
Jetzt kokettieren Sie.
Nein, ich fühle mich zu Menschen hingezogen, die eine klare Vorstellung haben, mir mangelt es an dieser Stabilität.

Sie waren von 2008 bis 2010 Artdirektorin bei der „New York Times“. Fanden Sie es schwierig, sich für das Büro richtig anzuziehen?

Ich hatte zuvor immer als Autorin oder Illustratorin zu Hause gearbeitet. Niemand sah, wie ich am Schreibtisch saß. Als ich in der Redaktion anfing, trug ich eine Lesebrille, obwohl ich keine brauchte. Sie schuf Distanz zu den Menschen um mich herum, wie eine Schutzkappe. Wie viel Augenkontakt ich plötzlich an einem Tag hatte! Ich hatte damals auch eine völlig andere Beziehung zur Kleidung.

Sie war Ihnen wichtiger?

Mein Verhältnis war erwerbsorientiert. Wir sollen ständig kaufen, kaufen, alles neu, neu, neu. Wir sind ja Kreaturen, die nach Belohnung suchen. Und wenn uns die Reklame weismacht, dieses Kleid sei unser Lohn, dann ist es kein Wunder, dass die Modeindustrie gut funktioniert.

Die Menschen sind wie Laborratten trainiert, nach Valentino und Armani zu dürsten?
Der Psychologe Adam Philipps redet davon, dass unsere Exzesse in direkter Beziehung zu unseren Mängeln stehen. Das traf auf mein konsumorientiertes Verhalten bestimmt zu. Menschliche Leere wird gefüllt dank Werbebotschaften, die uns anschreien: Du verdienst das! Das ist das essenzielle Teil für dich! Ich frage mich inzwischen schon: Muss ich diese schwarze Jacke, dieses „Basic“ wie man sagt, für 1000 Dollar wirklich haben?
Sich mit Mode zu beschäftigen, gilt als oberflächlich unter Intellektuellen, wie Sie selbst eine sind.

Weil der Dialog bislang von Modezeitschriften geführt wird. Und der ist eng verbunden mit Anzeigen und Verkaufszahlen. Unser Buch will einen Diskurs stimulieren – dass es kein Tabu ist, über Kleidung zu reden.
Woher kommt das?

Mode wird als dekorativ wahrgenommen, als weiche Kunst. Ich halte sie für eine bildliche Sprache, die der Schriftsprache in nichts nachsteht. Weil sie aber kein Lexikon hat, keine lange Geschichte, Menschen, die sich damit auseinandersetzen, artikulieren sich nicht so. Ihr Vokabular ist überschwänglich und vermittelt den Eindruck, es handele sich um eine leichtfertige Angelegenheit. Was nicht stimmt: Künstlerinnen wie Cindy Sherman, Miranda July und Lena Dunham haben zu diesem Buch beigetragen. Jeder beschäftig sich mit Mode, egal ob vier oder 40 Minuten am Tag. Viele fanden es therapeutisch, endlich darüber sprechen zu dürfen. Ich habe früh gelernt, Design als Disziplin zu respektieren, mein Vater war Produktdesigner.

Sie wuchsen in Kanada auf. Was war seine größte Leistung?

Eine Bürste, um Autos von Schnee und Eis zu befreien. Er nannte sie „The Snow Trooper“ – den Schneesoldaten. Ich weiß noch, wie stolz ich als Kind war, als ich diese gelbschwarzen Bürsten in einem Kaufhaus sah. Er hatte Monate davor die Zeichnungen und Prototypen davon zu Hause, nun sah ich das fertige Produkt. Ich habe es gleich meinen Freundinnen gezeigt. Deren Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen.

Die deutsche Soziologin Barbara Vinken behauptet, dass Mode früher die Klassen getrennt habe und heute die Geschlechter separiere.

Sie trennt nach wie vor die Klassen! Die kambodschanischen Fabrikarbeiterinnen kennen all die wunderbaren Farben, die schimmernden, matten Töne, die wir so gern tragen. Sie berühren sie jeden Tag. Aber sie können sich nur die T-Shirts in einfachem Rot, Orange, Grün, Blau leisten. Von ihren fünf Cent Stundenlohn.

Vinken meint, die Mode betone nur noch bei Frauen das Sinnliche, Männeroutfits seien seit der Französischen Revolution auf Funktionalität und Repräsentation reduziert.

Wirklich? Gucken Sie sich doch um, wie die Männermode sich verändert hat. Es gibt mehr Stretch-Anteile in Jeans als früher. Die Werbebilder für Männer sind oft homoerotisch, sehr sexualisiert. Eine rasierte Brust, gewachste Körper.

Sind Heteros die Verlierer der Mode?

Leanne Shapton hat ein Buch über Frauen und ihre Beziehung zu Kleidung geschrieben.
Leanne Shapton hat ein Buch über Frauen und ihre Beziehung zu Kleidung geschrieben.

© Thilo Rückeis

Vielleicht fällt es heterosexuellen Männern deshalb schwer, sich körperbetont anzuziehen. Sind sie die Verlierer der Mode?

Es gibt bei Männern zumindest viel unerforschtes Terrain. Genauso wie Frauen sich weniger um Mathematik, Autos und Tiefseeforschung kümmern. Was sie aber tun sollten. Ich habe Mitleid mit Männern. Es macht Spaß, sich für einen Abend aufzubrezeln. Schade, dass sie sich nicht trauen „Guck dir mal meinen Hintern an!“ zu sagen. Wenn sie wüssten, wo wir Frauen hinsehen.

Sie wollen mehr pralle Hintern sehen?

Ich will mehr Männer sehen, denen es gefällt, sich anzuziehen.

Wie reagieren Männer auf Ihr Buch?

Manche sagen, es sei, als würden sie ihre Schwestern belauschen. Sie erfahren von Erinnerungen an die Kindheit oder Affären, die in den Kleidern stecken. Sie hätten nie geahnt, wie viel persönliche Geschichte in die Entscheidung für bestimmte Kleider einfließt. Oft fragt man ja: Für wen ziehen sich Frauen an? Sie tun das für andere Frauen.
Doch nicht, wenn Sie zu einem Date gehen.

Ich habe mal Lucy Birley, die Ex-Frau von Bryan Ferry, interviewt. Sie hat sich extra sexy angezogen, wenn sie mit ihm ausging. Um anderen Frauen zu signalisieren: Weg da, das ist mein Mann!

Wenn Frauen sich auf der Straße nach anderen Frauen umsehen ...

… suchen sie nach Information, nach News. Sie lassen den Blick wie einen Scan über die andere gleiten, als würden wir den Wetterbericht lesen.

Sie waren auf dem Met Ball und der Oscar-Verleihung. Was haben Sie dort „gelesen“?

Vor allem Anspannung! Niemals zuvor habe ich mich so unwohl gefühlt wie auf diesen roten Teppichen. Jeder Gast wird den Fotografen zum Fraß vorgeworfen. Das ist wie eine Treibjagd. Auf dem Met Ball trug ich ein Kleid, das ich danach nicht mal behalten durfte. Wunderschön, blau-grau, vom Designer Zac Posen entworfen. Ich weiß noch, dass ich vor der Veranstaltung in sein Atelier kam und mir aus vier Kleidern eines aussuchen sollte. Und wenn mir keines davon gefällt?, fragte ich mich. Dieses Gefühl, dass jemand anders Entscheidungen für einen trifft, einem das Haar frisiert, Make-up aufträgt, ist furchtbar. Man sieht sich im Spiegel und denkt: Wer zur Hölle ist das?

Eines Ihrer ersten Kleidungsstücke, das Sie bewusst auswählten, war ein kariertes Hemd von Ralph Lauren. Da waren Sie zwölf. Wofür stand das?

Konformität. Ich ging damals auf eine High School und wollte nicht auffallen. Alle trugen solche Hemden. Ein Madrasmuster in pink, grün, gelb, rot, das Pferd im Logo anders eingefärbt, das fand ich faszinierend. Ich wollte es unbedingt. Denselben Impuls beobachte ich bei meiner Tochter. Sie ist zwei Jahre alt und will diese Flip-Flops haben, die sie an einem zehnjährigen Mädchen gesehen hat.

Und, schon gekauft?

Nein, aber das Prinzip ist dasselbe wie bei mir damals: Wir sehen jemanden als eine Version von uns, die wir selbst gern sein würden. Ist es Diebstahl geistigen Eigentums, Kleider zu kaufen, die man an jemand anderem gesehen hat? Wenn Sie die Person kennen und sie mehr als fünf Minuten für ihre Garderobe geopfert hat, ja. Ich habe einmal ein Kleid gekauft, das mir an einer Bekannten gefallen hat, und immer noch Angst, sie auf der Straße wieder zu treffen.

Ihre Mutter war einst ein Model auf den Philippinen. Was hat die zu dem Mainstream-Hemd gesagt?

Für meine Familie waren 40 Dollar damals sehr viel Geld. Meine Eltern haben von Anfang an klargemacht, dass sie das nicht kaufen werden, dass ich jeden einzelnen Dollar selbst ansparen muss. Sie dachten, ich hätte die falschen Werte. Ich bin froh, dass ich diese Lektion fürs Leben gelernt habe. Nach meinem Schulabschluss trug ich eine Zeitlang nur Springerstiefel, Männerjacken, die viel zu groß für mich waren, riesige Sweatshirts, alles secondhand. Meine Mutter hasste die Sachen. Wie ziehst du dich bloß an?

Sie wollten Ihren Körper verstecken?

Nach wie vor stehe ich jeder Frau ehrfürchtig gegenüber, die einfach ihre Brüste zeigt. Meine Mutter wollte, dass ich mich so feminin wie sie kleidete: Seidenblusen, lange Hosen, große Halsketten. Sie erzählte mir, dass Kleidung in ihrer Heimat etwas anderes bedeutet. Sich ordentlich anzuziehen, hieß auf den Philippinen, Respekt zu zeigen. Den eigenen Eltern gegenüber, die nach außen beweisen müssen, dass sie es sich leisten können, die Kinder vernünftig zu kleiden. Andererseits Gastgebern gegenüber: Eine schöne Garderobe ist eine Art Dankeschön für die Einladung.

Wurde sie Ihr modisches Vorbild?

Auch. Aber vor allem habe ich meine Großeltern bewundert, den militärischen Stil der 30er und 40er Jahre, den sie pflegten. Mein Großvater war in der kanadischen Luftwaffe und trug diese hochtaillierten Hosen. Auf ihrem Hochzeitsfoto trug er seine Uniform und meine Großmutter hatte ein pinkfarbenes Damenkostüm an. Mir gefällt, dass sie kein weißes Kleid und Smoking anhatten.

Sie sagen von sich, dass Sie nichts wegwerfen können. Weshalb nicht?

Aus reiner Sentimentalität. Meine Mitautorin Heidi Julavits meint, wir ziehen uns für die unmittelbare Zukunft an, die wir damit beeinflussen. Will ich meine Zukunft wegwerfen?

Wo lagern Sie das alles?

Wir haben einen begehbaren Schrank. Mein Mann hortet auch Kleidung. Das ist nichts, worauf ich stolz bin. Wir besitzen die ganzen Sachen nicht, weil wir sie brauchen. Sie sammeln sich an wie Plaque, die unsere Wohnung verstopft.

Was ist Ihr ältestes Kleidungsstück?

Mein Badeanzug von 1988 …

… in Ihrer Jugend waren Sie Leistungsschwimmerin, hätten sich beinahe für Olympia qualifiziert.

Ich glaube, dass der Wert eines Gegenstandes mit der Zeit wächst. Selbst wenn es sich um einen Nylon-Badeanzug handelt. Vielleicht will meine Tochter den Anzug eines Tages sehen. Er ist materiell nichts wert, er ist ein Artefakt. Ich lade ihn mit Bedeutung auf, als Erinnerung an eine schöne Zeit.

Stellen wir uns vor, jemand stöberte in Ihrem Schrank. Was wäre sein Überraschungsfund?

Reitkleidung, obwohl ich nicht reiten kann.

Finden Sie das irgendwie … erotisch?

Das können Sie hineinlesen, wenn Sie möchten. Was mir an der Kleidung gefällt: Da ist so viel Platz um den Hintern herum, so wenig Platz um die Knie. Mir gefällt die Silhouette, wie ich darin aussehe, die Schwere des Stoffes, das alles verleiht mir Autorität. Ich gehe oft in Läden, schaue mir Reithosen an, und die Verkäuferin fragt mich: Was für ein Pferd reiten Sie? Und ich muss ehrlich zugeben: Sorry, das ist nur ein Fetisch.

Das Interview führten Uld Lippitz und Julia Prosinger.

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