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Fabian Piorkowsky beschäftigt sich seit fast 30 Jahren intensiv mit Schamanismus.

© Kai-Uwe Heinrich

Schamanismus und Ayahuasca: Vom Banker zum Schamanen

Er ist leitender Angestellter bei J.P. Morgan, als Fabian Piorkowsky die halluzinogene Droge Ayahuasca probiert –  und Schamane wird.

Herr Piorkowsky, für Ihren Kunden Sting sind Sie ein „Schamane“. Was tun Sie genau?

Ich bin etwas ähnliches wie ein Psychotherapeut, integriere Erfahrungen in das Bewusstsein, die verschüttet sind. Dabei verwende ich Pflanzen mit psychoaktiver Wirkung, weil sie helfen, eine tiefe Verbindung zu sich selbst zu schaffen. Ich arbeite vor allem mit Ayahuasca.

Und das ist?

Ein Gebräu aus zwei Amazonas-Pflanzen. Der Wirkstoff, der darin steckt, ist die Stickstoffverbindung DMT, Dimethyltryptamin. DMT kommt zum Beispiel in den Blättern des Chacruna-Busches vor. In geringer Konzentration ist das in jedem Lebewesen vorhanden, auch bei uns Menschen …

… dazu gibt es keine abschließende Studie.

Normalerweise wird DMT gleich nach dem Entstehen von körpereigenen Enzymen abgebaut. Nur bei der Geburt und im Moment des Todes wurden bei Menschen hohe Konzentrationen im Blut nachgewiesen. Damit dieser Wirkstoff aktiv sein kann, brauchen wir die Ayahuasca-Liane, denn die enthält Stickstoffverbindungen, die das Enzym eine Zeitlang blockieren.

Was passiert dann mit einem?

Üblicherweise haben die Menschen Visionen. Die meisten beschreiben, dass sie Szenen ihres eigenen Lebens von außen betrachtet haben wie bei einem Theaterstück, und dass sie emotional ganz nah dran waren. Von außen sieht man den Leuten während der Sessions nichts an, sie sind ganz ruhig. Also fast. Irgendwann muss jeder kotzen.

Eklig.

Viele können sich gar nicht mehr übergeben! Ich denke, diese Abneigung hat viel mit der Angst vor dem Tod und dem Leistungsdruck zu tun. Erbrechen wird mit Kranksein assoziiert …

… vielleicht nicht ohne Grund?

Damit will niemand etwas zu tun haben. Schweiß, Kotze, Urin, Spucke finden die meisten eklig.

Sie finden es nicht abstoßend, wenn sich die Teilnehmer Ihrer Zeremonien übergeben?

Nein! Ich freue mich – denn ich weiß, dass es den Leuten danach besser geht. Wer sich übergibt, reinigt sich. Im Ayurveda wird das Erbrechen durch Salzwasser herbeigeführt. Es gibt einen Stamm in Südamerika, da trinken sie jeden Morgen einen bitteren Tee zu diesem Zweck. Die Menschen fühlen sich sonst nicht sauber, für sie ist das wie duschen. Am Ende meiner Zeremonien muss natürlich jeder seinen Eimer selber sauber machen.

Wer sind sonst noch Ihre Kunden?

Mit Sting arbeite ich schon lange zusammen, seit ein paar Jahren auch manchmal mit Paris Hilton. Einige Teilnehmer meiner Zeremonien sind Politiker oder arbeiten im Silicon Valley. Ich glaube, dass dort kaum eine Erfindung nicht auf Psychedelika basiert. Steve Jobs hat ja sogar mal gesagt, dass sein LSD-Trip eine der fünf wichtigsten Erfahrungen in seinem Leben war.

"Ich bin ins Büro: Ich komm’ nicht wieder!"

Erst träumen, dann kotzen. Während der Zeremonie wird der Ayahuasca-Sud getrunken.
Erst träumen, dann kotzen. Während der Zeremonie wird der Ayahuasca-Sud getrunken.

© Wikipedia/Terpsichore/Creative Commons

Auch in Berlin gibt es eine Szene. An vielen Wochenenden finden in der Stadt oder im Umland sogenannte „Retreats“ statt.

In Berlin sind Psychedelika in bestimmten Kreisen normal, vor allem unter Kreativen, sehr viele haben schon Ayahuasca ausprobiert. Ich selber biete keine Zeremonien mehr in Deutschland an.

Weil hierzulande Ayahuasca nicht erlaubt ist.

Nicht erlaubt ist der Wirkstoff DMT, über Ayahuasca selber steht im Betäubungsmittelgesetz nichts. Ich kenne auch niemanden, der deshalb rechtlich belangt wurde. Viele machen ja auch relativ offen Werbung für ihre Retreats, und soweit ich weiß, ist noch nie jemand aufgetaucht, um das zu unterbinden.

Ayahuasca kann, wie alle psychoaktiven Drogen, bei gefährdeten Menschen eine Psychose bewirken.

Ich habe erlebt, dass Leute bei Pilzen ausflippen, bei LSD natürlich, auch bei Marihuana. Bei Ayahuasca habe ich nicht erlebt, dass jemand so eine substanzinduzierte Psychose bekommt. Und ich habe es selber weit mehr als 500-mal getrunken und mehrere Tausend Zeremonien angeleitet.

Freunde haben gerade in Kolumbien an einer Ayahuasca-Zeremonie teilgenommen. Sie haben erzählt, dass zwei Teilnehmer über Stunden hinweg völlig weggetreten waren, sich auf dem Boden gewälzt und geschrien haben. Später erfuhren sie, dass ein junger Engländer bei einer früheren Zeremonie des Schamanen gestorben ist.

Die letale Dosis von Ayahuasca ist zehnmal höher als die von Alkohol. Man kann bestimmt fünf Liter Ayahuasca trinken, ohne dass es gefährlich wird. Doch echtes Ayahuasca ist schwer zu finden, dadurch wird es teuer. Es zu strecken, ist billiger. Tabak kann töten.

Wie sind Sie da hineingeraten?

Ich habe Physik und Chemie studiert und noch während des Studiums mit Freunden eine Multimedia-Agentur gegründet, ich war IT-Experte, unsere Auftraggeber waren zum Beispiel Mercedes und Schweppes. Headhunter haben mich von dort zu einer Beraterfirma gebracht. Nach ein paar weiteren Stationen – unter anderem beim britischen Parlament – landete ich bei J.P. Morgan. Als ich kündigte, war ich dort ein Vice President …

… und warum haben Sie diese erfolgreiche Karriere aufgegeben?

Ich war damals, vor fast zehn Jahren, supererfolgreich, eigentlich auch glücklich, verheiratet und alles. Doch unterschwellig spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Ich konnte es nicht benennen. Dann bekam ich diese Einladung zu einem Ayahuasca-Wochenende in Cambridge. Ich lebte damals in London, also bin ich hin. Danach sah ich alles glasklar. Am Montag bin ich ins Büro, habe meiner Sekretärin meine Sachen gegeben und gesagt: Ich komm’ nicht wieder!

Ihr Trip war so prägend?

Mein damaliges Leben zog an mir vorbei: Arbeiten. Essen. Feiern gehen. Arbeiten. Mal ein Wochenende nach New York fahren. Work hard, play hard. Aber im Grunde passierte nichts. Ich erkannte: Ich steckte im Hamsterrad.

Diese Einsicht klingt jetzt nicht so revolutionär.

Man kennt die Antworten auf seine Fragen meistens. Wir wissen, was für uns richtig und was falsch ist, nur handeln wir selten danach. Das hat damit zu tun, dass es einen Unterschied gibt zwischen mentalem und emotionalem Verstehen. Mental haben wir die Dinge meist schnell kapiert. Um zu einer emotionalen Einsicht zu gelangen, müssen wir die Perspektive ändern. Dabei helfen Psychedelika. Sie geben uns die Möglichkeit, Dinge aus der Entfernung zu sehen und gleichzeitig im Detail. Ich zum Beispiel wusste immer schon: Der Dienst an anderen macht mich glücklicher als der Dienst an mir. Und beim Banking ist es ja nicht so, dass man der Gemeinschaft hilft, sondern sich selbst. Mein neues Leben hatte sich natürlich schon vor Ayahuasca angekündigt. Ich hatte gerade wieder angefangen, mit Kollegen und Freunden Zeremonien zu machen.

Sie haben während der Zeit bei J.P. Morgan auch als spiritueller Berater gearbeitet?

Ich habe mit Kollegen Psycholyse gemacht, so was wie Psychotherapie mit Psychedelika.

2015 haben sich 29 Heilpraktiker bei einem missglückten Psycholyse-Experiment vergiftet und mussten in einem Hamburger Krankenhaus auf ihren Betten festgeschnallt werden.

Es kommt auf die Dosis an – und auf die Substanz. Vor zehn Jahren war Psycholyse in der Schweiz übrigens legal, und gerade wird angesichts von Riesenerfolgen in den USA darüber geforscht, ob man psychoaktive Substanzen für Therapien wieder legalisieren sollte. Eine einfache Unterhaltung mit meinen Kollegen reichte damals oft schon aus, da kamen Emotionen hoch, sie erzählten von Traumata. Viele haben darüber gesprochen, dass ihr Geld Blutgeld ist, dass andere leiden müssen, damit sie mehr verdienen. Fast alle haben eine essentielle Erfahrung gemacht, glaube ich. Bloß waren viele von ihnen unfähig zu handeln. Sie hatten sich gerade Zwei-Millionen-Pfund-Häuser in London gekauft oder Familien gegründet.

"In L.A. ist Ayahuasca wie Kaffee trinken"

Zauberpilze. Die psychoaktiven Spitzkegeligen Kahlköpfe wachsen auf natürlich gedüngten Wiesen.
Zauberpilze. Die psychoaktiven Spitzkegeligen Kahlköpfe wachsen auf natürlich gedüngten Wiesen.

© imago/imagebroker

Als Sie gekündigt haben, wie hat Ihr Umfeld da reagiert?

Mein Chef hat mir eine Gehaltserhöhung angeboten. Als ich ihm sagte, es gehe mir nicht ums Geld, meinte er nur: Aha, du brauchst eine Auszeit, ein Sabbatical, in sechs Monaten melde ich mich wieder. Das sagten auch die Headhunter, die anriefen, als sie erfuhren, dass ich gekündigt hatte.

Und Ihre Frau?

Als ich am Montag von dem Ayahuasca-Wochenende zurückkam, war meine Frau gerade zu Hause, sie hatte Mittagspause. Ich habe sie umarmt, damit sie meine veränderte Energie spürt. Sie hat zwar gemerkt, was ich ihr sagen wollte, doch dann hat sie gleich gefragt: „Und wer zahlt jetzt die Miete?“ Natürlich hat es sie gestresst, dass sie erst mal die einzige Geldverdienerin im Haus war. Ich hatte zwar Geld zur Seite gelegt, das hielt aber natürlich nicht ewig. Und ich habe dann auch über Jahre hinweg die Ausbildung in Peru gemacht. Das war mit den Flügen nicht billig.

Dafür verdienen Sie heute sicher ziemlich gut mit den Zeremonien – bei so prominenten Kunden.

Mir geht es nach wie vor nicht ums Geld. Aus einer Ayahuasca-Zeremonie gehen die Leute fast immer mit einem gesteigerten Umweltbewusstsein, sie erleben nicht nur eine Verbindung zu sich selbst, sondern auch, dass sie Teil von allem sind. Schauspieler und Unternehmer sind nicht nur Multiplikatoren, sie tun auch wirklich was, um die Welt zu ändern. Demnächst bin ich aus dem Grund auch in einer Ayahuasca-Reality-Show zu sehen, für Viceland gehe ich mit Promis in den Dschungel. Leonardo DiCaprio kümmert sich jetzt um die Umwelt, er hat eine Stiftung zur Bewahrung des Regenwaldes gegründet.

War Leonardo DiCaprio etwa auch in Ihren Zeremonien?

Nein. Aber ich weiß, dass er Ayahuasca genommen hat. In Hollywood und L.A. ist Ayahuasca so normal wie Kaffee trinken.

Wie genau wird man Schamane?

Erst mal habe ich an vielen Zeremonien teilgenommen, also viel Ayahuasca getrunken. Die Idee ist, dass der Schamane in der Ausbildung Energie aus den Pflanzen aufnimmt, um später damit zu heilen. Traditionell nimmt die Medizin in Südamerika nur der Schamane, nicht der Patient. Er heilt über Energie. Das hat sich in den 70er Jahren geändert – durch den Tourismus.

Wieso haben Sie nicht einfach eine Ausbildung zum Psychotherapeuten gemacht?

Ich war immer auch Alchemist, Chemiker, Kräuterfuzzi. Ich habe immer schon Pflanzen gesammelt, selbst angepflanzt. Mein Vater war Professor in Berlin, da konnte ich schon als Kind in die Universitätsbibliothek, und ich bin oft dort gewesen, um Bände über Heilpflanzen zu lesen. Mit 14 habe ich dann angefangen, mich mit Pilzen zu beschäftigen.

Was bitte heißt „beschäftigen“?

Ich habe viel Literatur gelesen, in der Psychedelika eine Rolle spielen, William Burroughs und so, dabei bin auf die mexikanische Heilerin Maria Sabina gestoßen. Ich suchte alles über ihre Zeremonien mit halluzinogenen Pilzen. Das wollte ich auch machen. Ich habe mich vorbereitet – gefastet, mir eine Intention überlegt – und dann abends in meinem Zimmer Pilze gegessen. Ich hatte das Gefühl, dass ich zum ersten Mal wirklich atme, ich fühlte mich verbunden mit allem, unglaublich glücklich. Danach war ich viel ausgeglichener und selbstbewusster.

Ihre Schulfreunde haben Pilze damals wahrscheinlich anders verwendet.

Klar. In den 80er und 90er Jahren haben die allermeisten Drogen in der Freizeit benutzt, zur Entspannung, zum Spaß. Aber als meine Freunde meine Veränderung sahen, wollten sie auch mit Mushrooms arbeiten. Und so fing das mit mir und dem Schamanismus an.

Wie unterscheiden Sie, ob jemand eine Droge missbraucht oder damit „arbeitet“?

Wenn man Drogen als Medizin einsetzt, muss man ein Ziel haben, man muss etwas erreichen wollen. Und es darf keine Gewohnheit sein.

Ihre Strategie, wenn jemand auf einen „Bad Trip“ kommt?

Ich erkläre den Leuten vorher: „Wenn das Ayahuasca einmal in euch drin ist, gibt es keinen Ausknopf. Entspannt euch, dann erspart ihr euch den Kampf.“ Selbst wenn ich das ankündige, ist es für viele nicht einfach umzusetzen. Wenn ich sehe, dass jemand kämpft, setze ich mich daneben, nehme Augenkontakt auf und atme langsam ein und aus. In 99 Prozent der Fälle reicht das. Wer eine – ich sage lieber kathartische – Erfahrung macht, muss sich nachher fragen: Will ich eine schwere Wahrheit nicht annehmen?

Nicht jeder kann mit der Ayahuasca-Erfahrung umgehen?

Nein, jedenfalls nicht in jedem Moment. Es gibt auch tausend andere, sanftere Wege, um sich zu finden und sich mit seiner Umwelt zu verbinden. Aber ich denke, eine psychedelische Erfahrung würde jedem irgendwann guttun.

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