zum Hauptinhalt

Reparatur im Hinterhof: Der Club der linken Hände

Was für ein Problem: Ein Politologe soll eine Lampe reparieren. Denn seiner Freundin liegt viel an dem alten Ding. Was für ein Glück: In einem Hinterhof wird dem Armen geholfen.

Was mache ich hier? Ich wühle in Werkzeug und suche nach etwas, von dem ich keine Vorstellung habe. Eine Abisolierzange brauche ich, wurde mir gesagt. Doch wie sieht die aus? Auf meiner Stirn bilden sich Schweißperlen, um mich herum beugen sich Menschen über Geräte und wissen offenbar sehr genau, was sie tun.

Als ich etwas finde, das ich für eine Abisolierzange halte, zeige ich es Mike Tempel, der mir in der nächsten Stunde Beistand geben wird. Beim Blick auf meinen Fund schüttelt er streng den Kopf. Er ist Dr. Ing. der Hochfrequenztechnik, ich habe Politik studiert, vermutlich ist das der Unterschied zwischen uns beiden. Ich suche weiter und fühle mich wie ein Nackter am Textilstrand – am falschen Ort. Und das alles für eine hässliche, alte, kaputte Lampe. Gehört sie nicht besser auf den Müll als auf den OP-Tisch?

Bisher hat es mich nie gestört, ein handwerklicher Analphabet zu sein. Ich habe einen großen Bruder, das hat gereicht. Auch als wir längst nicht mehr in einer Stadt gewohnt haben. Das war zwar etwas umständlich, aber alle paar Monate hat er mich ja besucht. So lange musste das kaputte Fahrrad, Radio oder Laufwerk halt auf die Reparatur warten.

Bis in mir die Erkenntnis reifte, dass ich etwas ändern muss. Auslöser dafür ist der Umzug, in dessen letzten Zügen ich mich zurzeit befinde. Das erfordert Geschick. Ständig gibt es etwas zu werkeln, hier mal rumschrauben, dort mal draufhauen. Sachen gehen zu Bruch, versagen den Dienst, geben den Geist auf. Sie liegen da und starren mich böse an, als wollten sie schreien: Repariere mich!

Das allein wäre noch nicht so schlimm, würde ich nicht mit meiner Freundin zusammenziehen. Anscheinend hat sie noch nichts davon gehört, dass der neue Mann nicht mehr handwerklich begabt sein muss. Dass das Merkmal moderner Beziehungen eine neue Rollenverteilung ist. Eigentlich ist sie also das Problem. Schließlich lässt es meine Männlichkeit vollkommen kalt, wenn sie die Waschmaschine anschließt, während ich die Wäsche zusammenlege. Meine Freundin leider zeigt sich seltsam irritiert, wenn sie mich nach einem Hammer fragt und ich mit einem Schraubenzieher ankomme.

So geht es nicht weiter. Und dieses Mal gibt es keine Chance für Ausreden. In meiner Nachbarschaft hat ein Repair-Café aufgemacht, vom Kulturverein Kunst-Stoffe initiiert. Jeder, der will, kann einfach vorbeikommen, mit einem Gerät, das reparaturbedürftig ist. Es gibt Werkzeug zur freien Verwendung. Es gibt Experten, die beratend eingreifen. Es gibt Kaffee und Kuchen – und es kostet nichts.

Das Konzept stammt ursprünglich aus den Niederlanden und findet zunehmend Verbreitung in ganz Europa, seit diesem Jahr auch in Berlin. In einer Welt des Konsums verliert der einzelne Gegenstand seinen Wert, wird schnell durch Neues ersetzt, die Müllberge wachsen. Das Repair-Café will hingegen Nachhaltigkeit fördern, den Wert von Dingen hervorheben. Es ist ein Konzept, dem ich Sympathie entgegenbringe. Was mich aber am meisten überzeugt: Ich brauche offiziell keine Vorkenntnisse.

Also habe ich mich auf den Weg in einen Kreuzberger Hinterhof in der Alexandrinenstraße gemacht. Mit dabei habe ich die Lampe – ein verhunztes Stück Inventar, das meiner Freundin gehört. Auf dem Flohmarktverkauf, den wir planen, werde ich das kaum los. Der Mehrwert liegt mehr in seiner Nostalgie- als in der Leuchtfunktion. Meine Freundin hat sich allerdings schrecklich aufgeregt, als die Lampe ihren Dienst versagte. Vermutlich gehörte sie mal ihrer Oma. Also nahm ich die Lampe mit, als Geste des guten Willens.

Und stehe nun hier, in einem schmucklosen Raum, der sonst von der Kunst-Stoffe-Mitarbeiterin Elisa Garotte als Galerie für Objektkunst genutzt wird, und in dem sich eine merkwürdige Mischung aus ausgelassener Stimmung und konzentrierter Arbeit breitmacht. Überall liegen Kabel, Schrauben, Muttern. Werkzeuge, deren Namen ich nicht kenne. Aufgeschraubte Gehäuse, aus denen Drähte gucken.

In diesem Wirrwarr aus Utensilien werkelt ein gutes Dutzend Menschen, das heterogener kaum sein könnte. Da ist die junge Frau, die ihr orangefarbenes Telefon aus den 70er Jahren auseinandergenommen hat und versucht, eine neue Klingel zu installieren. Der Rentner aus Spandau, der an seinem 40-Zoll-Fernseher nach stundenlangem Werkeln die letzten Griffe ausführt. Der Fotograf aus Kreuzberg, der sein Blitzgerät mit einem Schraubenzieher bearbeitet. Und Jürgen Gehrke aus Wilmersdorf, der auf einem Tisch eine riesige AEG-Kaffeemaschine aufgebaut hat, die schon hunderte Euro an Reparaturkosten verschlungen hat. Das soll ein Ende haben, deshalb hat er den Weg auf sich genommen.

Ich habe mich mittlerweile zu einer Abisolierzange durchgefragt und gehe damit zu Mike Tempel, meinem Mentor auf Zeit. Er ist einer der Experten, die ehrenamtlich helfen. Dafür ist er heute Morgen schon um sieben Uhr zur Arbeit gegangen, um früher Feierabend machen zu können. Den verbringt er nun hier, mit Begeisterung und vor allem: mit dem entsprechenden Wissen, auch Menschen wie mich auf den rechten Technikpfad zu führen. An meiner Lampe hat er rasch ein Kabelteil als Fehlerquelle identifiziert. Ich soll nun mithilfe der Abisolierzange an der entsprechenden Stelle den Draht vom Kabel freilegen, was ich mit unbedingtem Willen und leicht zitternden Händen versuche. Leider nicht sorgfältig genug: „Das hast du nicht gut gemacht“, sagt Tempel und verlangt eine Wiederholung.

Es ist das Prinzip des Repair-Cafés, dass die Experten möglichst selten selbst Hand anlegen. Hilfe zur Selbsthilfe, das funktioniert schon in der Entwicklungshilfe nicht immer, denke ich ketzerisch, während ich die Abklemmzange ein zweites Mal an das Kabel führe. Diesmal mit mehr Vorsicht, und tatsächlich: Das Kabel löst sich vom Draht, der selber unangetastet bleibt.

Ich beginne mich zu entspannen, bereit für den nächsten Schritt. Ich schraube das Schaltergehäuse auf und gucke Mike Tempel fragend an. Er schiebt eine Lötstation zu mir hinüber und erklärt mir kurz, was ich machen muss. Ich führe die Lötspitze und das Zinn an die Teile, die miteinander verbunden werden sollen. Der Draht erhitzt sich, und das Lötzinn verläuft, bis es so silbrig glänzt, dass es eine rechte Freude ist. Ich bin 33 Jahre alt und habe zum ersten Mal einen Lötkolben in der Hand. Ich verspüre ein inneres Tatatata und grinse breit.

Der Applaus, den ich unbewusst erwarte, fällt aber aus. Größere Aufmerksamkeit erhält dafür Jürgen Gehrke, dessen Kaffeemaschine scheinbar mühelos mahlt. Zuvor hatte er sie in mehrere Bestandteile zerlegt und wieder zusammengebaut. Das, wofür er im Laden 200 Euro zahlen sollte, hat er in zwei Stunden selber geschafft. Mit Unterstützung eines Experten, aber auch der Hilfe anderer Besucher. Im Raum ist viel handwerkliches Wissen und Geschick vorhanden, das genutzt werden möchte.

Auch ich profitiere davon. Bei den letzten Schritten assistiert mir der Fotograf, der sein Blitzgerät schon repariert hat. Fast bin ich am Ziel, lege nur noch das Gehäuse auf den Schalter und stecke die Lampe an eine Steckdose. Es ist der berühmte Praxistest. Die neu entdeckte Freude am Handwerken, sie wäre hinüber, würde das verdammte Ding jetzt nicht leuchten. Doch sie funktioniert.

Ganz behutsam hebe ich die Lampe hoch und stecke sie vorsichtig in meine Tasche. Auf dass sie bloß nicht noch einmal kaputtgehe. Eine Spende noch in die Kasse und rasch nach Hause, meiner Freundin das Ergebnis einer neuen Ära präsentieren, in der ich nicht mehr nur Wäsche zusammenlege.

Auch wenn die Lampe immer noch hässlich ist, so habe ich doch eine neue Beziehung zu ihr gewonnen. Das ist ein Ergebnis des Repair-Cafés: Es fördert die Verbundenheit zu Dingen. Was mich vorher nie interessiert hat, frage ich nun nach. Woher sie die Lampe eigentlich habe? „Geschenk von ’nem Exfreund“, murmelt meine Freundin und trägt die Lampe ins Wohnzimmer. Dort leuchtet sie nun. Leuchtet ihr Licht, während ich überlege, ob ich sie auf dem Flohmarkt nicht doch verkauft bekomme.

Repair-Café. Alexandrinenstraße 4, Kreuzberg. Tel. 428 64 99, nächster Termin: 3. Juni, 16-20 Uhr

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false