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Mittelalterlich. In Caernarfon wurde Charles zum Prince of Wales gekrönt.

© Austilat

Reise: Verirrt in Yr Ysgwrn

Diese Frage begleitet einen hier ständig: Wo bin ich? In Plas Tan y Bwich, in Abergynowyn oder doch schon in Aberystwyth? Fest steht: In der Geschichte von Wales geht es zu wie in Game of Thrones!

Von Andreas Austilat

Diese Frage begleitet einen hier ständig: Wo bin ich? In Plas Tan y Bwich, in Abergynowyn oder doch schon in Aberystwyth? „So ging es mir in Japan“, sagt ein guter Bekannter. Aber das hier ist Wales, das Land der Legenden, wie die Leute stolz behaupten.

Bill O’Keefe, Geschichtslehrer aus Cardiff, sagt, wir seien weder in Abergynowyn noch in Aberystwyth, sondern in Yr Ysgwrn – was so ähnlich klingt wie Öhrskwirrin. Ein winziger Ort am Fuße des Snowdonia Nationalparks mit seinen 1000 Meter hohen Bergen, eine Pilgerstätte für Waliser. Was auch mit der walisischen Sprache zu tun hat, die beinahe ausgestorben war.

Die Waliser sind stolz auf diese Sprache, die mit dem Englischen so rein gar nichts gemein hat, dafür eher mit dem Bretonischen. Es ist die lebendigste der keltischen Sprachen. Rund ein Fünftel der drei Millionen Einwohner zwischen Cardiff und Angelsey verwendet sie im Alltag. Tendenz steigend. Und das, obwohl das Walisische noch in den frühen 1960ern im Straßenbild praktisch verschwunden war.

Eigentlich ist Yr Ysgwrn nicht viel mehr als eine 200 Jahre alte Bauernkate, um die Schafe streichen. Lieblich gelegen, zwischen sanften Hügeln, so grün, wie man sie von Modelleisenbahnen kennt. Der Kontrast zum schroffen Snowdon könnte größer nicht sein. In dieser Kate hier wurde Hedd Wyn geboren.

Der Farmerjunge hegte einen großen Traum

„Habt ihr auch einen Dichter wie unseren Hedd Wyn“, will Emma wissen, die in der guten Stube Kuchen serviert. Eine Wohnküche mit polierten Kupferkesseln und Blümchentapete.

In Wales ist die Erinnerung an Hedd Wyn allgegenwärtig. Er war ein Farmerjunge, der sich in den Kopf setzte, einmal beim Eisteddfod, dem walisischen nationalen Dichterwettbewerb, auf dem hölzernen Stuhl sitzen zu dürfen, eine Ehre, die nur dem besten Barden gebührt.

Wilde Landschaften. Snowdonia mit seinen 1000 Meter hohen Bergen ist der größte Nationalpark in Wales.
Wilde Landschaften. Snowdonia mit seinen 1000 Meter hohen Bergen ist der größte Nationalpark in Wales.

© Andreas Austilat

Wahrscheinlich wird seine Geschichte oft erzählt werden, wenn sich auch in diesem Jahr wieder Sänger, Dichter, Künstler und Handwerker in der ersten Augustwoche zum nationalen „Eisteddfod“ versammeln – dem walisischen Kulturereignis. Gastgeber wird das Dorf Bodedern auf der Insel Anglesey sein, im äußersten Nordwesten von Wales. Wer nicht dort ist, geht nach Yr Ysgwrn, auf die Farm im Snowdonia Nationalpark. Weshalb sie gerade erst so liebevoll rekonstruiert wurde.

Dichter und Barden sind wichtig in einem Land, das seine Sprache gerade erst wiederentdeckt hat. Inzwischen sei es von Vorteil, wenn man Walisisch beherrsche, sagt Bill O’Keefe. Waliser Behörden schätzten die Zweisprachigkeit.

In der Geschichte von Wales geht es zu wie in "Game of Thrones"

Hedd Wyn schrieb ein Gedicht, das von der Liebe handelt, von der Schönheit der Natur, von Freiheit und Gerechtigkeit. Ein Gedicht also, das vom Leben in den Hügeln erzählte. Er wollte nicht in den Ersten Weltkrieg und ging auf Bitten seines Vaters doch, weil es sonst den jüngeren Bruder getroffen hätte. Er trug die Uniform kaum zwei Monate, dann fiel er in Flandern. Doch sein Gedicht gewann 1917 den „Eisteddfod“. Als die Leute erfuhren, dass der Urheber tot war, verhüllten sie den Stuhl mit schwarzem Tuch.

Die Geschichte fügt sich gut in dieses Land, das so empfänglich für Melancholie ist. Das mag mit dem Wetter zu tun haben – die Grundfeuchte garantiert das satte Grün auf den geschwungenen Hügeln. Es mag auch mit der Geschichte zu tun haben, in der es zugeht wie in „Game of Thrones“. Nicht schön, für die, die dabei waren. Doch dem heutigen Wales bescherte diese Abfolge von Mord und Totschlag einige seiner größten Sehenswürdigkeiten. Wales ist das Burgenland schlechthin. Mehr als 400 sollen es sein. Nirgendwo sonst gibt es, bezogen auf die Fläche, derart viele alte Festungen, darunter die spektakulärsten des Mittelalters.

Los ging es mit den Römern, dann kam der legendäre König Arthur, über den nur niemand Genaues weiß. Doch den Paukenschlag brachte das 13. Jahrhundert, als König Edward I. von England sich entschloss, sich das Land der Kelten einzuverleiben.

Sein Bauprogramm trieb Edward in die Pleite

Filmkulisse. In Conway drehte Guy Ritchie seinen Abenteuerstreifen „King Arthur“.
Filmkulisse. In Conway drehte Guy Ritchie seinen Abenteuerstreifen „King Arthur“.

© Andreas Austilat

Die Botschaft Edwards an die Waliser sollte lauten: Wer baut wie ich, mit dem legt man sich besser gar nicht erst an! Deshalb engagierte der Normanne auf dem englischen Thron – Edward sprach bevorzugt Französisch – den bekanntesten Burgenbauer seiner Zeit: James of St. George. Der hieß in Wirklichkeit Jacques und stammte aus dem französischen Savoyen.

Edward ließ ihn gewähren, und Jacques entwarf vier der heute besterhaltenen Burgen des europäischen Mittelalters. Weil es dafür Fachleute brauchte, die es in dieser Anzahl in Wales nicht gab, wurde in Conwy eine Stadt dazu errichtet, deren Kopfsteinpflastergassen sich bemerkenswert gut erhalten haben, gesichert durch eine beinahe anderthalb Kilometer lange Mauer, die das kleine Städtchen bis heute umschließt.

Auch Guy Ritchie hat das beeindruckt. Er machte Conwy zu einem Drehort für seinen „King Arthur“-Film. Dass der gerade floppte, dafür kann Conwy nichts. Denn die Burg ist selbst als Ruine noch ein Hingucker, mit ihren dramatisch aufragenden Türmen, der Lage über dem Fluss und der mittelalterlichen Stadt. Dächer und Zwischendecken der mächtigen Königshalle sind zwar verloren, aber man erkennt die Dimensionen. Und erschauert beim Blick in das Verlies, das sich gleich hinter der Halle auftut. Wer dort unten saß, hörte vielleicht die Stimmen im Festsaal.

Die letzte Burg, Beaumaris, wurde nicht ganz fertig

In Edwards Zeit waren die Türme mit weißem Kalk verkleidet, denn die Burg sollte nicht nur stark sein und Komfort bieten, sie sollte gut aussehen. Ein Anspruch, der auch für Caernarfon gilt, die vielleicht großartigste von Edwards Burgen. Caenarfons Türme sind nicht rund wie im Mittelalter üblich, sondern achteckig, nach byzantinischem Vorbild. Weil Konstantin, legendärer Herrscher des oströmischen Reiches, ganz in der Nähe im römischen Legionslager Segontium geboren sein soll, verkaufte sich Edward als eine Art Reinkarnation.

Sein Bauprogramm trieb Edward in die Pleite, es reichte für vier Burgen, die letzte, Beaumaris, wurde nicht ganz fertig. Machte aber nichts, mit seinen Burgen begründete er die englische Herrschaft über Wales, die nie wieder ernsthaft infrage gestellt werden sollte – von einem kurzen Intermezzo im 15. Jahrhundert abgesehen. Die Waliser mussten sich mit der Rolle des Juniorpartners zufriedengeben, durften über Jahrhunderte nicht einmal innerhalb der ummauerten Städte zu Füßen von Caernarfon oder Conwy leben.

Im 18. Jahrhundert hatte der Konflikt an Schärfe verloren. Dicke Mauern waren nicht mehr nötig. Schön zu sehen in Powis Castle, wo man die Zugbrücke ebenso vernachlässigte wie all die aufwendigen Fallen, mit denen sich die Vorgänger noch ihrer Nachbarn erwehrten. Dafür investierten die Herren auf Powis in ihren Garten. Weil sie nicht ganz auf der Höhe der englischen Mode waren, schufen sie einen barocken Terrassengarten, wie man ihn auf den britischen Inseln selten findet, mit Figurinen und Arkaden, über denen die Wisteria blau wuchert.

Die 60er Jahre waren in Wales eine unruhige Zeit

Eine einstündige Bahnfahrt von Aberystwyth führt zu der weltberühmten Teufelsbrücke.
Eine einstündige Bahnfahrt von Aberystwyth führt zu der weltberühmten Teufelsbrücke.

© Andreas Austilat

Irgendwann schwenkte man dann im weitläufigen Landschaftspark doch auf den englischen Stil um und ließ die bis dato zierlichen Eibenhecken in Höhe und Breite wachsen. Heute, 300 Jahre später, sieht die Eibenhecke aus wie ein gigantischer grüner Wasserfall, der sich ins Tal wälzt. Schloss Powis ist offen für das Publikum, wird vom National Trust verwaltet. Nur gelegentlich müssen Besucher draußen bleiben. Etwa als Elizabeths Sohn Charles hier übernachtete, er ist immerhin der Prince of Wales.

Charles war auch der erste Prince of Wales seit 800 Jahren, der sich wenigstens bemühte, Walisisch zu lernen. „Ein halbes Jahr lang“, sagt der Geschichtslehrer Bill O’Keefe, „aber er kann es nicht.“

Die 60er Jahre waren in Wales eine unruhige Zeit. Im südwalisischen Aberfan kam der Abraum einer Kohlenmine ins Rutschen, begrub eine Schule und tötete 116 Kinder der Kleinstadt. Zur gleichen Zeit versank ein Dorf in einem künstlichen Stausee, der das englische Liverpool mit Trinkwasser versorgen sollte. Erst nachdem die Bewohner vertrieben waren, stellte man fest, der See wird nicht benötigt. Walisische Aktivisten begannen in jenen Jahren, die englischen Straßenschilder zu übermalen. Und in England fürchtete man einen Konflikt ähnlich dem in Nordirland.

In einer BBC-Krimiserie leben die Legenden weiter

Heute sind die Stauseen in den Waliser Hügeln eine Touristenattraktion. Snowdonia ist nicht mehr der schwer bezwingbare Adlerhorst, wie die Waliser die Region einst nannten, sondern ein mit fast 1500 Kilometer markierten Wegen beliebtes Wandergebiet. Und die Legenden von Drachen und Zauberern, Intrigen hinter dicken Burgmauern und in schiefergedeckten Feldsteinkaten beflügeln nicht mehr nur die Macher von „Games of Thrones“, sondern werden von der BBC inzwischen auch zeitgemäß interpretiert.

„Hinterland“ hieß die erste auf walisisch gedrehte Krimiserie, mit der die BBC 2013 an den Start ging. Das deutsche Wort „Hinterland“ meint auch die Provinz, die sich hier von ihrer mörderischen Seite zeigt. Nicht eben schmeichelhaft. Doch in Wales kam die Serie gut an, vielleicht weil die Waliser endlich die Hauptrolle spielten.

Die Zuschauer mögen sich von der Düsternis nicht irritieren lassen. Die „Teufelsbrücke“ mit ihrem 30 Meter hohen Wasserfall erweist sich als schönes Beispiel für den walisischen Regenwald. Die knapp einstündige Bahnfahrt vom Universitätstädtchen Aberystwyth an der Küste des walisischen Nordwestens mit seiner Strandpromenade, die an einer Burgruine endet, bis hoch zur Devils Bridge mit ihren Wanderwegen durch den hiesigen Dschungel, ist vollkommen ungefährlich – die kleine Dampflok bewältigt sie seit 100 Jahren.

Tipps für Wales

HINKOMMEN

Mit KLM über Amsterdam nach Cardiff oder mit Easyjet nach Manchester.

UNTERKOMMEN 

Chateau Rhianfa auf Anglesey (ab 190 €) mit Blick über Park und Wasser. celticcastles.com

EISTEDDFOD

Das Kulturfestival findet vom 4. bis 12. August in Bodedern auf Anglesey statt. visitwales.com

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