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Hoch im Norden. Mitten in Edinburgh steht der Berg Arthur’s Seat. Der Aufstieg dauert 45 Minuten. In der "Trainspotting"-Fortsetzung genießen Ewan McGregor (links) und Ewen Bremner die Aussicht.

© dpa/Sony

Reise nach Edinburgh: Mit dem größten Trainspotting-Fan auf Nostalgie-Trip

"Trainspotting" zeigte ein kaputtes Edinburgh, nun läuft Teil zwei. Der Film enttäuscht, nur die Stadtverwaltung kann sich freuen. Der Film fungiert als Touristen-Magnet.

Da ist die Szene, in der Ewan McGregor die Steintreppe runterhechtet, auf der Flucht vor der Polizei. Weil er in „Trainspotting“ ja den Heroinjunkie Renton spielt, und der wurde kurz vorher beim Ladendiebstahl erwischt. Die Treppe gibt’s noch, man findet sie östlich der Altstadt von Edinburgh am oberen Ende der Leith Street, direkt am Aufgang zu einem Pub namens „Black Bull“. Irgendjemand muss in den vergangenen 20 Jahren auf die Idee gekommen sein, die Wand nebenan marineblau zu streichen, dann aber nach der Hälfte aufgegeben haben. Sieht nicht schön aus.

Passanten laufen achtlos vorbei an diesem heiligen Ort der Popkultur. Müll liegt herum. Ein Hund hebt sein Bein. Man stelle sich vor, er wagte dasselbe an der Fassade von Graceland oder Jim Morrisons Grab. Sein Halter würde gelyncht.

Immerhin ist Tim Bell gekommen, Schottlands oberster Trainspotting-Exeget. Es heißt, der 71-Jährige habe Film und Romanvorlage wie kein Zweiter seziert. Er bietet Touren an, die zu den Orten der Handlung führen. Bell sagt, so verstehe man nicht nur Trainspotting besser, sondern auch die schottische Hauptstadt. Derzeit erreichen ihn viele Anfragen. Das liegt an „T2“, der Fortsetzung des Films, die seit Donnerstag auch in deutschen Kinos läuft.

Die Behörden haben den Dreh behindert

Als Tim Bell vor 13 Jahren mit seinen Rundgängen begann, hat die Stadtverwaltung ihm jede Unterstützung versagt. Denn die Abenteuer der fünf jungen Männer, die sich dem Heroin hingeben und dann nicht wissen, wie raus aus dem Elend, entsprachen nicht dem Bild, das die Behörden stadtmarketingtechnisch von Edinburgh zeichnen wollten.

Tim Bell führt zu den Orten, an denen „Trainspotting“ spielt. Zwischendurch liest er aus dem Buch.
Tim Bell führt zu den Orten, an denen „Trainspotting“ spielt. Zwischendurch liest er aus dem Buch.

© Sebastian Leber

Schon der Dreh wurde behindert. „Es gab keine Genehmigungen“, sagt Bell. Deswegen haben sie die berühmte Szene, in der Renton vom Auto angefahren wird, während im Hintergrund Iggy Pops „Lust for Life“ erklingt, heimlich in der abgelegenen Seitenstraße St Ninian’s Row gedreht. Bell zeigt sie einem.

Er gibt sich Mühe, langsam zu sprechen. Der Schotte an sich gilt ja als zuvorkommend und herzlich, bloß versteht man ihn kaum. Das Englisch eines Elefantentreibers auf Sri Lanka ist für deutsche Ohren eingängiger. Allein die Aussprache des Stadtnamens. Nicht „Ädinbörg“ oder „Ädinborro“. Korrekt ist „Ädinbra“.

Der Großteil des Romans „Trainspotting“ spielt im Problemviertel Leith, das vom Hafen im Nordosten bis fast an die Innenstadt heranreicht. Irvine Welsh, der Autor, hat dort lange gelebt. In den 1980ern gab es viel Arbeitslosigkeit und Kriminalität, wenige Perspektiven. Idealer Nährboden für eine Heroinepidemie.

Leith hat sich verändert, es gab Gentrifizierung

Der neue Film zeigt ein völlig anderes Edinburgh. Man merkt, dass sich die Stadtoberen nach dem Riesenerfolg des ersten Teils mit „Trainspotting“ schmücken wollten. Als Kulissen dienen nun die herausgeputzte Altstadt im Zentrum, schicke Einkaufsstraßen, Aussichtspunkte mit Panoramagarantie. Es ist ein bisschen so, als habe einer die Fortsetzung von „Christiane F.“ geplant und die Handlung an den Gendarmenmarkt zu Lutter & Wegner verlegt.

Andererseits, sagt Tim Bell, sei die Bildsprache des neuen Films auch Zeichen dafür, dass sich die Stadt verändert habe. Vor allem Leith. Es gab Gentrifizierung. Junge Kreative belagern Wohnzimmercafés. Wo Ewan McGregor einst langrannte, ist jetzt ein Apple-Store.

Bell hält vor einer knallroten Fassade mit weißen Gittern an den Fenstern. „Hier ist es“, sagt er.

„Ist was?“

„Das Port O’Leith.“ Stammlokal von Irvine Welsh in seiner Edinburgh-Zeit. Und Vorbild für die Gaststätte, die im neuen Film eine zentrale Rolle spielt. „Wollen wir rein?“

Drinnen sieht es ganz anders aus als im Film. Der Laden ist deutlich kleiner. Schlauchförmig. An den Wänden hängen die Konterfeis von Lenin und Che Guevara. Es müffelt. Der grauhaarige Mann hinter der Theke heißt Lory, und er sagt, wenn Irvine Welsh, der heute in Dublin lebt, Edinburgh besuche, komme er her und bestelle ein Bier nach dem anderen. Immer nur Lager. Vergangenen Sommer sei er so betrunken gewesen, dass er an der Theke zwei Mal vom Drehstuhl gekippt sei. Anschließend habe er andere Gäste angepöbelt, sodass Lory ihn schließlich vor die Tür setzen musste. Tim Bell sagt, die Geschichte stimme vermutlich. Aber Welsh sei auch sehr stolz auf seinen Ruf als Trinker. „Gut möglich also, dass ein bisschen Show dabei war.“

Die legendäre Toilette aus Welshs Buch gibt es wirklich

Das Bild zeigt, wie die von Irvine Welsh beschriebene "schlimmste Toilette Schottlands" heute aussieht.
Das Bild zeigt, wie die von Irvine Welsh beschriebene "schlimmste Toilette Schottlands" heute aussieht.

© Sebastian Leber

Weil es für den ersten Film nur ein Minibudget gab, drehte der Regisseur Danny Boyle lediglich einige wenige Szenen tatsächlich in Edinburgh, der Rest wurde 70 Kilometer westlich in einer Lagerhalle bei Glasgow gedreht. Auch der legendäre Moment, als Ewan McGregor dringend auf Toilette muss, ausgerechnet auf der dreckigsten Schottlands landet – und dann zu allem Übel in der Schüssel nach verloren gegangenen Drogen fischen muss. Beim Schreiben hatte Irvine Welsh eine bestimmte Toilette im Sinn. Auf Fanseiten im Internet heißt es, das Original habe in einem Wettbüro gestanden, es existiere heute aber nicht mehr. Falsch, sagt Tim Bell. Und er kann es beweisen.

Nach kurzer Busfahrt führt er zu einem stillgelegten Shoppingcenter. Zückt sein Romanexemplar. Es ist zerfleddert, vergilbt und bekritzelt, Unmengen von Post-its ragen heraus. Beleg jahrelanger Auseinandersetzung mit der Materie. Bell blättert auf Seite 24, folgt Welshs Hinweisen. Durch eine Passage, auf einen Parkplatz, rechts abbiegen, die Straße lang. Schließlich bleibt er vor einer Ladenfront stehen. Ein Wettbüro. Der Betreiber hat gewechselt, sagt Bell. „Aber hieran hat der Autor gedacht.“

Ob man die Toilette besichtigen darf?

Bell sagt, darum hätte auf seinen Touren jetzt noch keiner gebeten, aber warum nicht ... Im Wettbüro starrt eine Handvoll Gäste auf Großbildleinwände. Es läuft ein Pferderennen. Die Angestellte sitzt hinter Panzerglas. Kein Problem, sagt sie, einfach durchgehen. Die Toilette liegt, wie von Welsh beschrieben, in einem Hinterzimmer. Sie ist extrem sauber. Sogar die Bürste scheint neu. Entweder hatte Welsh eine blühende Fantasie. Oder der neue Betreiber hat aufgeräumt.

Der neue Film hat außer Nostalgie wenig zu bieten

Draußen erzählt Bell, dass er selbst ein Buch schreibt. Über den Roman, die Filme, das Phänomen. Er lebt seit 25 Jahren in Leith, hat hier als Sozialarbeiter und Hafenkaplan gearbeitet. Die Beobachtungen von Welsh seien alle authentisch.

Er sagt, Trainspotting habe viele Menschen inspiriert. Leider manche auch zum Drogenkonsum. Dabei sei das Buch doch eine explizite Warnung. Und Protest gegen das Menschenbild des Thatcherismus, wonach alles und jeder einen Preis habe. Tim Bell kann stundenlang „Trainspotting“-Theorien herleiten.

So viel der erste Film seinen Fans bedeutet, so arg enttäuscht der Nachfolger. „Er ist mehr Comedy“, sagt Tim Bell. Dazu eine, die wenig zu bieten hat außer Nostalgie. Zu den stärksten Momenten von „T2“ gehört die Szene, in der Ex-Junkie Renton den Immer-noch-Junkie Spud zum Joggen überredet. Wenn der schon ein Süchtiger sei, solle er sich wenigstens nach Sport verzehren statt nach Heroin. Sie laufen auf einen Berg, setzen sich ins Gras und blicken auf Edinburgh hinunter. Der Berg heißt „Arthur’s Seat“, ist vulkanischen Ursprungs und steht tatsächlich mitten in der Stadt. Der Aufstieg auf 250 Meter Höhe dauert eine Dreiviertelstunde, der Trampelpfad ist steinig, zum Schluss recht steil. Oben windet es unangenehm, und ohne McGregor wirkt der Ort gleich weniger glamourös. Aber der Ausblick!

Wie viele Bourbons muss man trinken, um Frieden mit "T2" zu schließen?

Beim Abstieg kommen einem Jogger entgegen. Die spurten hier wirklich hoch, wie im Film. Scheinen nicht mal zu schwitzen.

Zurück zum Black Bull. Der Kneipe an der Treppe. Drinnen läuft Hardrock. An den Wänden hängen Schallplatten von AC/DC und Metallica. Auf der Getränkekarte wirbt der Laden mit 30 verschiedenen Sorten Bourbon. Ein rebellisches Statement im Scotch-Land. Wie viele Bourbons muss man wohl trinken, um seinen Frieden mit dem neuen Trainspotting-Film zu schließen? Nach dem ersten Glas wechselt man an die Bar, nach dem zweiten gerät man mit Will, Darrell und der lilahaarigen Kellnerin Alana ins Gespräch. Sie sind sehr nett und wiederholen Sätze auch dreimal.

Welch Schande, sagt Will. Er hätte „T2“ zu gern gemocht. Ging einfach nicht. Darrell hält sich die Ohren zu. Spoiler-Alarm. Aber dann findet er es zu ulkig, dass ein Berliner extra anreist, um die dreckigste Toilette Schottlands zu suchen. Will sagt, der schönste Edinburgh-Film sei sowieso „Kleine Morde unter Freunden“ von Danny Boyle. Die Handlung spiele hier gleich um die Ecke.

Man könnte Will jetzt bitten, den Drehort zu zeigen. Man könnte aber auch einen dritten Bourbon bestellen. An einer Säule mitten im Raum hängt eine Jukebox. Tatsächlich, sie haben Iggy Pop.

Reisetipps für Edinburgh

HINKOMMEN

Von Schönefeld aus fliegt Easyjet mehrmals pro Woche die schottische Hauptstadt an. Die Reisedauer beträgt etwas mehr als zwei Stunden. Vom dortigen Flughafen führen wahlweise Tram oder Bus ins Zentrum.

UNTERKOMMEN

In und entlang der Altstadt gibt es eine Menge mittelpreisiger Hotels und Gästehäuser. Die Nacht im Motel One mit Blick auf das berühmte Edinburgh Castle kostet 70 Euro.

RUMKOMMEN

Tim Bells Trainspotting-Touren dauern zweieinhalb Stunden und kosten sechs Pfund. Infos und Kontakt unter www.leithwalks.co.uk. Auch gut: die abendlichen „Geisterführungen“ durch die engen Gassen der Altstadt.

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